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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Wörtern und Autoritäten zu vertrauen, als den Thatsachen und dein eigenen
Urtheil. Der Grund für die Begriffsverwirrung in der Volkswirthschaft liegt
aber tiefer als in den Vorurtheilen des Dilettantismus, er liegt in dem Mangel
einer endgiltigen und abschließenden Kritik über Adam Smith. Auch heute
noch ist dieser Mangel weit entfernt davon, gehoben zu sein. Zwar existirt
eine gewaltige Literatur über Smith, aber diese ist mehr oder weniger befangen
in den Vorurtheilen des Meisters.

In einem kürzlich erschienenen Buche von Ang. Oncken werden Adam
Smith und Immanuel Kant mit einander verglichen. Vielleicht ebenso berechtigt
ist ein Vergleich zwischen Charles Darwin und Smith, und zwar sowohl wegen
ihrer Aehnlichkeiten als wegen ihrer Gegensätze. Beide waren die Entdecker
großer genereller Wahrheiten. Beide unternahmen es, den Beweis dafür durch
inductive Methode mittels eines mit erstaunlichem Fleiß und ungewöhnlicher
Gelehrsamkeit zusammengetragenen Beweismaterials zu führen. Beide zeigen
neben diesen außerordentlichen Eigenschaften die Einseitigkeit der englischen wissen¬
schaftlichen Forschung. Doch in einem Punkte unterscheiden sich Beide gewaltig
von einander: in der Art und Weise der Aufnahme und der Kritik ihrer
Studien von Seiten der Mitwelt.

Die geistige Disposition der civilisirten und wissenschaftlich gebildeten Mit¬
welt war den Fehlern Adam Smiths günstig, während sie den Einseitigkeiten
Darwins in reifer Kritik und gründlicher Wissenschaftlichkeit gegenübertrat.
Dies war der Grund, weshalb Smith von seinem Jahrhundert weit überschätzt,
von der gesunden, aber maßlosen Reaction jedoch ebenso unterschätzt wurde, um
endlich von der Halbbildung und den Sonderinteressen weit über eigne Absicht
und bis in das ihm und seiner ganzen Lehre direct widersprechende Extrem
hinein interpretirt zu werden. Darwin aber hat seinen Wigand und Andere
gefunden und ist, nach verständnißvoller Kritik und nach Zurückführung seiner
Einseitigkeiten auf das gebührende Maß, als ein nicht geringerer Wissenschafter
und Entdecker erschienen als vordem.

Die Naturwissenschaften hatten bisher das größere Interesse und das
allgemeinere Verständniß, sowohl der Gelehrten als der großen Masse, vor der
Volkswirthschaft voraus. Das wird sich ändern. Die bedeutsamsten Anzeichen
sprechen dafür, daß sich gerade jetzt das deutsche Volk in einer Epoche befindet,
welche nothwendigerweise Kräfte und Interessen auf die Volkswirthschaftslehre
lenkt. Ein Umschwung thut aber auch wahrlich noth in einem Lande, wo sich
hervorragende Mitglieder des Reichstages durch die Motivirung ihrer Wirth¬
schaftspolitik thatsächlich, wenn auch nicht wörtlich, zum Manchesterthum
bekannt haben und noch bekennen. Dem Wesen nach ist dieser Umschwung
übrigens schon da, und zwar schon länger da, als man glauben sollte. Es


Wörtern und Autoritäten zu vertrauen, als den Thatsachen und dein eigenen
Urtheil. Der Grund für die Begriffsverwirrung in der Volkswirthschaft liegt
aber tiefer als in den Vorurtheilen des Dilettantismus, er liegt in dem Mangel
einer endgiltigen und abschließenden Kritik über Adam Smith. Auch heute
noch ist dieser Mangel weit entfernt davon, gehoben zu sein. Zwar existirt
eine gewaltige Literatur über Smith, aber diese ist mehr oder weniger befangen
in den Vorurtheilen des Meisters.

In einem kürzlich erschienenen Buche von Ang. Oncken werden Adam
Smith und Immanuel Kant mit einander verglichen. Vielleicht ebenso berechtigt
ist ein Vergleich zwischen Charles Darwin und Smith, und zwar sowohl wegen
ihrer Aehnlichkeiten als wegen ihrer Gegensätze. Beide waren die Entdecker
großer genereller Wahrheiten. Beide unternahmen es, den Beweis dafür durch
inductive Methode mittels eines mit erstaunlichem Fleiß und ungewöhnlicher
Gelehrsamkeit zusammengetragenen Beweismaterials zu führen. Beide zeigen
neben diesen außerordentlichen Eigenschaften die Einseitigkeit der englischen wissen¬
schaftlichen Forschung. Doch in einem Punkte unterscheiden sich Beide gewaltig
von einander: in der Art und Weise der Aufnahme und der Kritik ihrer
Studien von Seiten der Mitwelt.

Die geistige Disposition der civilisirten und wissenschaftlich gebildeten Mit¬
welt war den Fehlern Adam Smiths günstig, während sie den Einseitigkeiten
Darwins in reifer Kritik und gründlicher Wissenschaftlichkeit gegenübertrat.
Dies war der Grund, weshalb Smith von seinem Jahrhundert weit überschätzt,
von der gesunden, aber maßlosen Reaction jedoch ebenso unterschätzt wurde, um
endlich von der Halbbildung und den Sonderinteressen weit über eigne Absicht
und bis in das ihm und seiner ganzen Lehre direct widersprechende Extrem
hinein interpretirt zu werden. Darwin aber hat seinen Wigand und Andere
gefunden und ist, nach verständnißvoller Kritik und nach Zurückführung seiner
Einseitigkeiten auf das gebührende Maß, als ein nicht geringerer Wissenschafter
und Entdecker erschienen als vordem.

Die Naturwissenschaften hatten bisher das größere Interesse und das
allgemeinere Verständniß, sowohl der Gelehrten als der großen Masse, vor der
Volkswirthschaft voraus. Das wird sich ändern. Die bedeutsamsten Anzeichen
sprechen dafür, daß sich gerade jetzt das deutsche Volk in einer Epoche befindet,
welche nothwendigerweise Kräfte und Interessen auf die Volkswirthschaftslehre
lenkt. Ein Umschwung thut aber auch wahrlich noth in einem Lande, wo sich
hervorragende Mitglieder des Reichstages durch die Motivirung ihrer Wirth¬
schaftspolitik thatsächlich, wenn auch nicht wörtlich, zum Manchesterthum
bekannt haben und noch bekennen. Dem Wesen nach ist dieser Umschwung
übrigens schon da, und zwar schon länger da, als man glauben sollte. Es


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[0096] Wörtern und Autoritäten zu vertrauen, als den Thatsachen und dein eigenen Urtheil. Der Grund für die Begriffsverwirrung in der Volkswirthschaft liegt aber tiefer als in den Vorurtheilen des Dilettantismus, er liegt in dem Mangel einer endgiltigen und abschließenden Kritik über Adam Smith. Auch heute noch ist dieser Mangel weit entfernt davon, gehoben zu sein. Zwar existirt eine gewaltige Literatur über Smith, aber diese ist mehr oder weniger befangen in den Vorurtheilen des Meisters. In einem kürzlich erschienenen Buche von Ang. Oncken werden Adam Smith und Immanuel Kant mit einander verglichen. Vielleicht ebenso berechtigt ist ein Vergleich zwischen Charles Darwin und Smith, und zwar sowohl wegen ihrer Aehnlichkeiten als wegen ihrer Gegensätze. Beide waren die Entdecker großer genereller Wahrheiten. Beide unternahmen es, den Beweis dafür durch inductive Methode mittels eines mit erstaunlichem Fleiß und ungewöhnlicher Gelehrsamkeit zusammengetragenen Beweismaterials zu führen. Beide zeigen neben diesen außerordentlichen Eigenschaften die Einseitigkeit der englischen wissen¬ schaftlichen Forschung. Doch in einem Punkte unterscheiden sich Beide gewaltig von einander: in der Art und Weise der Aufnahme und der Kritik ihrer Studien von Seiten der Mitwelt. Die geistige Disposition der civilisirten und wissenschaftlich gebildeten Mit¬ welt war den Fehlern Adam Smiths günstig, während sie den Einseitigkeiten Darwins in reifer Kritik und gründlicher Wissenschaftlichkeit gegenübertrat. Dies war der Grund, weshalb Smith von seinem Jahrhundert weit überschätzt, von der gesunden, aber maßlosen Reaction jedoch ebenso unterschätzt wurde, um endlich von der Halbbildung und den Sonderinteressen weit über eigne Absicht und bis in das ihm und seiner ganzen Lehre direct widersprechende Extrem hinein interpretirt zu werden. Darwin aber hat seinen Wigand und Andere gefunden und ist, nach verständnißvoller Kritik und nach Zurückführung seiner Einseitigkeiten auf das gebührende Maß, als ein nicht geringerer Wissenschafter und Entdecker erschienen als vordem. Die Naturwissenschaften hatten bisher das größere Interesse und das allgemeinere Verständniß, sowohl der Gelehrten als der großen Masse, vor der Volkswirthschaft voraus. Das wird sich ändern. Die bedeutsamsten Anzeichen sprechen dafür, daß sich gerade jetzt das deutsche Volk in einer Epoche befindet, welche nothwendigerweise Kräfte und Interessen auf die Volkswirthschaftslehre lenkt. Ein Umschwung thut aber auch wahrlich noth in einem Lande, wo sich hervorragende Mitglieder des Reichstages durch die Motivirung ihrer Wirth¬ schaftspolitik thatsächlich, wenn auch nicht wörtlich, zum Manchesterthum bekannt haben und noch bekennen. Dem Wesen nach ist dieser Umschwung übrigens schon da, und zwar schon länger da, als man glauben sollte. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/96>, abgerufen am 22.07.2024.