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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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des Giganten schroff nach hinten gefallen, sodaß der Charakter trotziger Wild¬
heit auch über den Tod hinaus andauert. Neben diesen erschütternden Motiven
macht sich in dem sterbenden Gallier (8) ein milderes Moment geltend: der
Kampf hat ganz aufgehört, der zum Tode Verwundete ist sich selbst überlassen
und verblutet, langsam dahinsterbend, dem Ziele zu, das der Perser (10) schon
erreicht hat, der zusammensinkend wie zu friedlichem Schlafe sich auf die Seite
geneigt hat. Tiefes Mitleid wird rege, und Rührung ist die Empfindung, die
uns als Ziel des Künstlers, als Resultat seiner Schöpfung entgegentritt.

Noch deutlicher treten uns diese Wirkungen, Erschütterung und Mitleid, in
den beiden anderen Werken entgegen, welche derselben Zeit und denselben
Ereignissen ihre Entstehung verdanken; ja in diesen können jene Empfindungen
um so concentrirter zur Geltung kommen, je weniger die Aufmerksamkeit durch
die Mannigfaltigkeit einer großen Gruppe zersplittert wird, wie es ursprünglich
bei des Königs Weihgeschenk der Fall gewesen sein muß, das jedoch andrerseits
durch Wiederholung und immer neue Betonung derselben Grundempfindungen
in den mannigfaltigsten Wendungen für die bei dem Einzelwerk mögliche Versen¬
kung wieder Ersatz bot. Dagegen konnten nicht wie hier die Empfindungen
zerlegt und einzelne Figuren zu Trägern der einen, andere zu Trägern der
anderen Empfindung gemacht werden, wie es in den großen Gruppen des
Weihgeschenkes in der That geschehen ist. So sehen wir denn in dem Gallier
mit seinem Weibe in Villa Ludovisi, wie der Künstler uns erschüttern will durch
Mord und Selbstmord, und zwar ist es der Mann, der sein eignes Weib tödtet.
Geschwächt wird freilich diese Empfindung der Erschütterung dadurch, daß der
Mord bereits geschehen ist, der Selbstmord also nur als eine selbstverständliche,
man kann fast sagen, versöhnende Konsequenz sich ergiebt. Um so mächtiger
tritt das Mitleid in sein Recht, das Mitleid mit dem Manne, der um sich und
sein Weib vor der Sclaverei zu retten, zu diesem Aeußersten gedrängt wird,
das Mitleid besonders mit der Frau, deren todesmattes Zusammenbrechen der
Künstler so meisterhaft zum Ausdruck gebracht hat. Ebenso ist bei dem sterbenden
Gallier auf dem Capitol das Erschütternde zwar vorhanden: der am Siege, ja
selbst an der Rettung Verzweifelnde tödtet sich selbst; aber auch hier tritt
das Mitleid durchaus als die herrschende Empfindung hervor, und zwar getrübt
durch die Bitterkeit des Schmerzes, mit welcher der Besiegte in den Tod sinkt.

Erschütterung und Mitleid, die hier überall hervorstechenden Ziele der
Wirkung der Künstler, sind Elemente der tragischen Empfindung. Die tragische
Empfindung ist zweifellos der höchste Grad der künstlerischen Wirkung nach der
ernsten Seite hin, und man wird annehmen dürfen, daß Künstler von der
Bedeutung der Schöpfer dieser Werke das höchste Ziel vor Augen gehabt haben,
welches ihrer Kunst erreichbar ist, daß der Meister des Weihgeschenks sicherlich


des Giganten schroff nach hinten gefallen, sodaß der Charakter trotziger Wild¬
heit auch über den Tod hinaus andauert. Neben diesen erschütternden Motiven
macht sich in dem sterbenden Gallier (8) ein milderes Moment geltend: der
Kampf hat ganz aufgehört, der zum Tode Verwundete ist sich selbst überlassen
und verblutet, langsam dahinsterbend, dem Ziele zu, das der Perser (10) schon
erreicht hat, der zusammensinkend wie zu friedlichem Schlafe sich auf die Seite
geneigt hat. Tiefes Mitleid wird rege, und Rührung ist die Empfindung, die
uns als Ziel des Künstlers, als Resultat seiner Schöpfung entgegentritt.

Noch deutlicher treten uns diese Wirkungen, Erschütterung und Mitleid, in
den beiden anderen Werken entgegen, welche derselben Zeit und denselben
Ereignissen ihre Entstehung verdanken; ja in diesen können jene Empfindungen
um so concentrirter zur Geltung kommen, je weniger die Aufmerksamkeit durch
die Mannigfaltigkeit einer großen Gruppe zersplittert wird, wie es ursprünglich
bei des Königs Weihgeschenk der Fall gewesen sein muß, das jedoch andrerseits
durch Wiederholung und immer neue Betonung derselben Grundempfindungen
in den mannigfaltigsten Wendungen für die bei dem Einzelwerk mögliche Versen¬
kung wieder Ersatz bot. Dagegen konnten nicht wie hier die Empfindungen
zerlegt und einzelne Figuren zu Trägern der einen, andere zu Trägern der
anderen Empfindung gemacht werden, wie es in den großen Gruppen des
Weihgeschenkes in der That geschehen ist. So sehen wir denn in dem Gallier
mit seinem Weibe in Villa Ludovisi, wie der Künstler uns erschüttern will durch
Mord und Selbstmord, und zwar ist es der Mann, der sein eignes Weib tödtet.
Geschwächt wird freilich diese Empfindung der Erschütterung dadurch, daß der
Mord bereits geschehen ist, der Selbstmord also nur als eine selbstverständliche,
man kann fast sagen, versöhnende Konsequenz sich ergiebt. Um so mächtiger
tritt das Mitleid in sein Recht, das Mitleid mit dem Manne, der um sich und
sein Weib vor der Sclaverei zu retten, zu diesem Aeußersten gedrängt wird,
das Mitleid besonders mit der Frau, deren todesmattes Zusammenbrechen der
Künstler so meisterhaft zum Ausdruck gebracht hat. Ebenso ist bei dem sterbenden
Gallier auf dem Capitol das Erschütternde zwar vorhanden: der am Siege, ja
selbst an der Rettung Verzweifelnde tödtet sich selbst; aber auch hier tritt
das Mitleid durchaus als die herrschende Empfindung hervor, und zwar getrübt
durch die Bitterkeit des Schmerzes, mit welcher der Besiegte in den Tod sinkt.

Erschütterung und Mitleid, die hier überall hervorstechenden Ziele der
Wirkung der Künstler, sind Elemente der tragischen Empfindung. Die tragische
Empfindung ist zweifellos der höchste Grad der künstlerischen Wirkung nach der
ernsten Seite hin, und man wird annehmen dürfen, daß Künstler von der
Bedeutung der Schöpfer dieser Werke das höchste Ziel vor Augen gehabt haben,
welches ihrer Kunst erreichbar ist, daß der Meister des Weihgeschenks sicherlich


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[0079] des Giganten schroff nach hinten gefallen, sodaß der Charakter trotziger Wild¬ heit auch über den Tod hinaus andauert. Neben diesen erschütternden Motiven macht sich in dem sterbenden Gallier (8) ein milderes Moment geltend: der Kampf hat ganz aufgehört, der zum Tode Verwundete ist sich selbst überlassen und verblutet, langsam dahinsterbend, dem Ziele zu, das der Perser (10) schon erreicht hat, der zusammensinkend wie zu friedlichem Schlafe sich auf die Seite geneigt hat. Tiefes Mitleid wird rege, und Rührung ist die Empfindung, die uns als Ziel des Künstlers, als Resultat seiner Schöpfung entgegentritt. Noch deutlicher treten uns diese Wirkungen, Erschütterung und Mitleid, in den beiden anderen Werken entgegen, welche derselben Zeit und denselben Ereignissen ihre Entstehung verdanken; ja in diesen können jene Empfindungen um so concentrirter zur Geltung kommen, je weniger die Aufmerksamkeit durch die Mannigfaltigkeit einer großen Gruppe zersplittert wird, wie es ursprünglich bei des Königs Weihgeschenk der Fall gewesen sein muß, das jedoch andrerseits durch Wiederholung und immer neue Betonung derselben Grundempfindungen in den mannigfaltigsten Wendungen für die bei dem Einzelwerk mögliche Versen¬ kung wieder Ersatz bot. Dagegen konnten nicht wie hier die Empfindungen zerlegt und einzelne Figuren zu Trägern der einen, andere zu Trägern der anderen Empfindung gemacht werden, wie es in den großen Gruppen des Weihgeschenkes in der That geschehen ist. So sehen wir denn in dem Gallier mit seinem Weibe in Villa Ludovisi, wie der Künstler uns erschüttern will durch Mord und Selbstmord, und zwar ist es der Mann, der sein eignes Weib tödtet. Geschwächt wird freilich diese Empfindung der Erschütterung dadurch, daß der Mord bereits geschehen ist, der Selbstmord also nur als eine selbstverständliche, man kann fast sagen, versöhnende Konsequenz sich ergiebt. Um so mächtiger tritt das Mitleid in sein Recht, das Mitleid mit dem Manne, der um sich und sein Weib vor der Sclaverei zu retten, zu diesem Aeußersten gedrängt wird, das Mitleid besonders mit der Frau, deren todesmattes Zusammenbrechen der Künstler so meisterhaft zum Ausdruck gebracht hat. Ebenso ist bei dem sterbenden Gallier auf dem Capitol das Erschütternde zwar vorhanden: der am Siege, ja selbst an der Rettung Verzweifelnde tödtet sich selbst; aber auch hier tritt das Mitleid durchaus als die herrschende Empfindung hervor, und zwar getrübt durch die Bitterkeit des Schmerzes, mit welcher der Besiegte in den Tod sinkt. Erschütterung und Mitleid, die hier überall hervorstechenden Ziele der Wirkung der Künstler, sind Elemente der tragischen Empfindung. Die tragische Empfindung ist zweifellos der höchste Grad der künstlerischen Wirkung nach der ernsten Seite hin, und man wird annehmen dürfen, daß Künstler von der Bedeutung der Schöpfer dieser Werke das höchste Ziel vor Augen gehabt haben, welches ihrer Kunst erreichbar ist, daß der Meister des Weihgeschenks sicherlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/79>, abgerufen am 03.07.2024.