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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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(die nach deutschem Muster eingerichtet und ausgestattet sind, wie wir aus
eigener Erfahrung versichern können) und 17 Gymnasien, außerdem aber ein
Polytechnikum, eine theologische Akademie, drei Priesterseminare, eine Normal¬
schule für Lehrer, eine nautische, eine landwirthschaftliche und eine Handels-
Akademie, vier Handelsschüler und die Universitäten zu Athen und Korfu. Da¬
neben geht als zweites Bildungselement die Presse her, die eine verhältnißmäßig
große Anzahl von Organen besitzt, während früher nichts der Art existirte. Vor
dem Freiheitskriege gab es für die Griechen nur eine Druckerei, die des Patri¬
archats in Konstantinopel; dagegen erschienen 1874 in Griechenland 119 Zei¬
tungen und Zeitschriften, von denen allein 54 auf Athen und 10 auf Patras
kamen.

Sehen wir daher von dem parlamentarischen Leben und dem politischen
Parteitreiben ab, so repräsentirt das Hellenenthum durch seine geistigen und
materiellen Errungenschaften recht wohl das, was sich bei gutem Willen und
Verstand unter den durch die Natur des von ihm bewohnten Landes und dessen
enge Begrenzung gegebenen Umständen erreichen ließ, und so hat es nach dieser
Richtung hin ein entschiedenes Recht nicht bloß auf unsere Sympathien, sondern
auch auf Bethätigung derselben durch Unterstützung bei seinem Bestreben, die
Mittel zu erlangen, die nöthig sind, um mehr zu leisten.

Man hat Griechenland seitens der Mächte, die es schufen, nicht sein volles
Recht widerfahren lassen. Selbst ein so conservativer Staatsmann wie Beacons-
field hat dies offen eingestanden, wenn er in Berlin sagte, Europa habe an
Hellas die Schuld eines halben Jahrhunderts zu sühnen. Man mußte Hellas
gleich anfangs in der Größe schaffen, die es im Hinblick auf das Ueberwiegen
der hellenischen Nationalität in Südepirus und Thessalien beanspruchen konnte,
die es sich durch den Befreiungskrieg verdient hatte, und mit der es sich allein
gedeihlich zu entwickeln im Stande war. Statt dessen sollte es zuerst nur ein
Fürstenthum Morea geben, das im Norden am Isthmus von Korinth seine
Grenze haben und unter der Suzeränetät der Pforte stehen sollte. 1829 wurde
daun zu London von Lieven, Aberdeen und Polignac ein Protocoll unterzeichnet,
welches für Griechenland etwas günstiger lautete, indem es ihm im Norden eine
Grenze gab, die vom Golfe von Arka im Westen bis zum Meerbusen von Volo
im Osten lief. 1830 gewährte man noch etwas mehr: Hellas sollte einen völlig
unabhängigen Staat unter einem Könige bilden, Negroponte, die Insel Skiro
und die Cykladen erhalten und eine Nordgrenze bekommen, die im Westen vom
Ausflusse des Aspropotamo über Vrachori bis zum Golfe von Zeituni gezogen
war. Dabei ist es der Türkei gegenüber bis jetzt geblieben, nur wurde Griechen¬
land 1863 durch die ionischen Inseln vergrößert, die bis dahin eine Republik
unter brittischen Schutze gebildet hatten.


Grenzboten II. 1S30. 73

(die nach deutschem Muster eingerichtet und ausgestattet sind, wie wir aus
eigener Erfahrung versichern können) und 17 Gymnasien, außerdem aber ein
Polytechnikum, eine theologische Akademie, drei Priesterseminare, eine Normal¬
schule für Lehrer, eine nautische, eine landwirthschaftliche und eine Handels-
Akademie, vier Handelsschüler und die Universitäten zu Athen und Korfu. Da¬
neben geht als zweites Bildungselement die Presse her, die eine verhältnißmäßig
große Anzahl von Organen besitzt, während früher nichts der Art existirte. Vor
dem Freiheitskriege gab es für die Griechen nur eine Druckerei, die des Patri¬
archats in Konstantinopel; dagegen erschienen 1874 in Griechenland 119 Zei¬
tungen und Zeitschriften, von denen allein 54 auf Athen und 10 auf Patras
kamen.

Sehen wir daher von dem parlamentarischen Leben und dem politischen
Parteitreiben ab, so repräsentirt das Hellenenthum durch seine geistigen und
materiellen Errungenschaften recht wohl das, was sich bei gutem Willen und
Verstand unter den durch die Natur des von ihm bewohnten Landes und dessen
enge Begrenzung gegebenen Umständen erreichen ließ, und so hat es nach dieser
Richtung hin ein entschiedenes Recht nicht bloß auf unsere Sympathien, sondern
auch auf Bethätigung derselben durch Unterstützung bei seinem Bestreben, die
Mittel zu erlangen, die nöthig sind, um mehr zu leisten.

Man hat Griechenland seitens der Mächte, die es schufen, nicht sein volles
Recht widerfahren lassen. Selbst ein so conservativer Staatsmann wie Beacons-
field hat dies offen eingestanden, wenn er in Berlin sagte, Europa habe an
Hellas die Schuld eines halben Jahrhunderts zu sühnen. Man mußte Hellas
gleich anfangs in der Größe schaffen, die es im Hinblick auf das Ueberwiegen
der hellenischen Nationalität in Südepirus und Thessalien beanspruchen konnte,
die es sich durch den Befreiungskrieg verdient hatte, und mit der es sich allein
gedeihlich zu entwickeln im Stande war. Statt dessen sollte es zuerst nur ein
Fürstenthum Morea geben, das im Norden am Isthmus von Korinth seine
Grenze haben und unter der Suzeränetät der Pforte stehen sollte. 1829 wurde
daun zu London von Lieven, Aberdeen und Polignac ein Protocoll unterzeichnet,
welches für Griechenland etwas günstiger lautete, indem es ihm im Norden eine
Grenze gab, die vom Golfe von Arka im Westen bis zum Meerbusen von Volo
im Osten lief. 1830 gewährte man noch etwas mehr: Hellas sollte einen völlig
unabhängigen Staat unter einem Könige bilden, Negroponte, die Insel Skiro
und die Cykladen erhalten und eine Nordgrenze bekommen, die im Westen vom
Ausflusse des Aspropotamo über Vrachori bis zum Golfe von Zeituni gezogen
war. Dabei ist es der Türkei gegenüber bis jetzt geblieben, nur wurde Griechen¬
land 1863 durch die ionischen Inseln vergrößert, die bis dahin eine Republik
unter brittischen Schutze gebildet hatten.


Grenzboten II. 1S30. 73
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[0573] (die nach deutschem Muster eingerichtet und ausgestattet sind, wie wir aus eigener Erfahrung versichern können) und 17 Gymnasien, außerdem aber ein Polytechnikum, eine theologische Akademie, drei Priesterseminare, eine Normal¬ schule für Lehrer, eine nautische, eine landwirthschaftliche und eine Handels- Akademie, vier Handelsschüler und die Universitäten zu Athen und Korfu. Da¬ neben geht als zweites Bildungselement die Presse her, die eine verhältnißmäßig große Anzahl von Organen besitzt, während früher nichts der Art existirte. Vor dem Freiheitskriege gab es für die Griechen nur eine Druckerei, die des Patri¬ archats in Konstantinopel; dagegen erschienen 1874 in Griechenland 119 Zei¬ tungen und Zeitschriften, von denen allein 54 auf Athen und 10 auf Patras kamen. Sehen wir daher von dem parlamentarischen Leben und dem politischen Parteitreiben ab, so repräsentirt das Hellenenthum durch seine geistigen und materiellen Errungenschaften recht wohl das, was sich bei gutem Willen und Verstand unter den durch die Natur des von ihm bewohnten Landes und dessen enge Begrenzung gegebenen Umständen erreichen ließ, und so hat es nach dieser Richtung hin ein entschiedenes Recht nicht bloß auf unsere Sympathien, sondern auch auf Bethätigung derselben durch Unterstützung bei seinem Bestreben, die Mittel zu erlangen, die nöthig sind, um mehr zu leisten. Man hat Griechenland seitens der Mächte, die es schufen, nicht sein volles Recht widerfahren lassen. Selbst ein so conservativer Staatsmann wie Beacons- field hat dies offen eingestanden, wenn er in Berlin sagte, Europa habe an Hellas die Schuld eines halben Jahrhunderts zu sühnen. Man mußte Hellas gleich anfangs in der Größe schaffen, die es im Hinblick auf das Ueberwiegen der hellenischen Nationalität in Südepirus und Thessalien beanspruchen konnte, die es sich durch den Befreiungskrieg verdient hatte, und mit der es sich allein gedeihlich zu entwickeln im Stande war. Statt dessen sollte es zuerst nur ein Fürstenthum Morea geben, das im Norden am Isthmus von Korinth seine Grenze haben und unter der Suzeränetät der Pforte stehen sollte. 1829 wurde daun zu London von Lieven, Aberdeen und Polignac ein Protocoll unterzeichnet, welches für Griechenland etwas günstiger lautete, indem es ihm im Norden eine Grenze gab, die vom Golfe von Arka im Westen bis zum Meerbusen von Volo im Osten lief. 1830 gewährte man noch etwas mehr: Hellas sollte einen völlig unabhängigen Staat unter einem Könige bilden, Negroponte, die Insel Skiro und die Cykladen erhalten und eine Nordgrenze bekommen, die im Westen vom Ausflusse des Aspropotamo über Vrachori bis zum Golfe von Zeituni gezogen war. Dabei ist es der Türkei gegenüber bis jetzt geblieben, nur wurde Griechen¬ land 1863 durch die ionischen Inseln vergrößert, die bis dahin eine Republik unter brittischen Schutze gebildet hatten. Grenzboten II. 1S30. 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/573>, abgerufen am 03.07.2024.