Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum Gedächtniß- (Lari Friedrich Lessings.

Einem schönen Leben voll rastloser Thätigkeit, einer von großen und sel¬
tenen Erfolgen begleiteten Künstlerlaufbahn hat der Tod am 5. Juni ein frühes
Ziel gesetzt. Ein frühes Ziel! Denn obwohl der Altmeister der neueren deut¬
schen Historienmalerei bereits die siebzig überschritten hatte, lebte er noch keines¬
wegs thatenlos und halbvergessen unter uns. Jahr um Jahr schmückte er noch
von Karlsruhe aus die deutschen Ausstellungen mit tief empfundenen Land¬
schaften von großartigen! Charakter und von einer Schönheit und Kraft der
Farbe, die mit dem Jüngsten der modernen Coloristen wetteiferte. Wenn man
auf einer solchen farbenprächtigen, mit breitem Pinsel flott und sicher gemalten
Landschaft das Monogramm 0. erblickte, glaubte man seinen Augen nicht
zu trauen. Fünfzig Jahre lang haben Bilder, welche dieses Handzeichen trugen,
ans den Allsstellungen eine erste Stelle behauptet. Alle bedeutsamen Wand¬
lungen, welche die deutsche Malerei in einem halben Jahrhundert erlebt, hat
Lessing durchgemacht; alle namhaften Fortschritte, welche sie während dieses
Zeitraums verzeichnen durfte, sind auch die seinigen gewesen, und am Abende
seines Lebens stand der greise Meister noch in ungebrochener Kraft unter den
Ersten. Wer die Geschichte seines Schaffens zu schreiben unternimmt, der kann
als Motto an den Anfang das stolze Wort setzen: Allezeit voran!

Carl Friedrich Lessing wurde am 8. Februar 1808 in Breslau geboren.
Doch verlebte er seine Kindheit nicht in dieser Stadt, sondern in Polnisch-
Wartenberg, wohin sein Vater noch im August 1808 als Justizcommissarius
versetzt wurde. Der letztere war der Sohn Carl Gotthelf Lessings, des Bru¬
ders von Gotthold Ephraim. Der Maler also, dem wir dieses Gedenkblatt
widmen, war der Großneffe unseres nationalen Dichters und Denkers. So
wenig Werth auch im Allgemeinen auf solche Verwandtschaften zu legen ist, in
diesem Falle scheint doch etwas von dem Geiste des großen Ahnherrn ans Carl
Friedrich übergegangen zu sein. Auch des Malers Name sollte einst wie ein
Wetterstrahl in das Dunkel kirchlicher Unduldsamkeit hineinfahren.

Viel unmittelbarer als diese geistige Erbschaft wirkte indessen, vorläufig
wenigstens, auf den heranwachsenden Knaben die waldreiche Umgebung Warten¬
bergs, ni welcher er sich mit einem Bruder, der später ein tüchtiger Botaniker
wurde, nach Herzenslust tummeln dürfte. So mag schon frühzeitig die Liebe
für die Natur, welche nachmals eine so große Rolle in seiner künstlerischen
Thätigkeit spielen sollte, in ihm erwacht sein. Sonst war die Erziehung seines
Vaters sehr streng. Wenn mau liest, daß die Knaben, gleichviel ob Winter


Zum Gedächtniß- (Lari Friedrich Lessings.

Einem schönen Leben voll rastloser Thätigkeit, einer von großen und sel¬
tenen Erfolgen begleiteten Künstlerlaufbahn hat der Tod am 5. Juni ein frühes
Ziel gesetzt. Ein frühes Ziel! Denn obwohl der Altmeister der neueren deut¬
schen Historienmalerei bereits die siebzig überschritten hatte, lebte er noch keines¬
wegs thatenlos und halbvergessen unter uns. Jahr um Jahr schmückte er noch
von Karlsruhe aus die deutschen Ausstellungen mit tief empfundenen Land¬
schaften von großartigen! Charakter und von einer Schönheit und Kraft der
Farbe, die mit dem Jüngsten der modernen Coloristen wetteiferte. Wenn man
auf einer solchen farbenprächtigen, mit breitem Pinsel flott und sicher gemalten
Landschaft das Monogramm 0. erblickte, glaubte man seinen Augen nicht
zu trauen. Fünfzig Jahre lang haben Bilder, welche dieses Handzeichen trugen,
ans den Allsstellungen eine erste Stelle behauptet. Alle bedeutsamen Wand¬
lungen, welche die deutsche Malerei in einem halben Jahrhundert erlebt, hat
Lessing durchgemacht; alle namhaften Fortschritte, welche sie während dieses
Zeitraums verzeichnen durfte, sind auch die seinigen gewesen, und am Abende
seines Lebens stand der greise Meister noch in ungebrochener Kraft unter den
Ersten. Wer die Geschichte seines Schaffens zu schreiben unternimmt, der kann
als Motto an den Anfang das stolze Wort setzen: Allezeit voran!

Carl Friedrich Lessing wurde am 8. Februar 1808 in Breslau geboren.
Doch verlebte er seine Kindheit nicht in dieser Stadt, sondern in Polnisch-
Wartenberg, wohin sein Vater noch im August 1808 als Justizcommissarius
versetzt wurde. Der letztere war der Sohn Carl Gotthelf Lessings, des Bru¬
ders von Gotthold Ephraim. Der Maler also, dem wir dieses Gedenkblatt
widmen, war der Großneffe unseres nationalen Dichters und Denkers. So
wenig Werth auch im Allgemeinen auf solche Verwandtschaften zu legen ist, in
diesem Falle scheint doch etwas von dem Geiste des großen Ahnherrn ans Carl
Friedrich übergegangen zu sein. Auch des Malers Name sollte einst wie ein
Wetterstrahl in das Dunkel kirchlicher Unduldsamkeit hineinfahren.

Viel unmittelbarer als diese geistige Erbschaft wirkte indessen, vorläufig
wenigstens, auf den heranwachsenden Knaben die waldreiche Umgebung Warten¬
bergs, ni welcher er sich mit einem Bruder, der später ein tüchtiger Botaniker
wurde, nach Herzenslust tummeln dürfte. So mag schon frühzeitig die Liebe
für die Natur, welche nachmals eine so große Rolle in seiner künstlerischen
Thätigkeit spielen sollte, in ihm erwacht sein. Sonst war die Erziehung seines
Vaters sehr streng. Wenn mau liest, daß die Knaben, gleichviel ob Winter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147017"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zum Gedächtniß- (Lari Friedrich Lessings.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1477"> Einem schönen Leben voll rastloser Thätigkeit, einer von großen und sel¬<lb/>
tenen Erfolgen begleiteten Künstlerlaufbahn hat der Tod am 5. Juni ein frühes<lb/>
Ziel gesetzt. Ein frühes Ziel! Denn obwohl der Altmeister der neueren deut¬<lb/>
schen Historienmalerei bereits die siebzig überschritten hatte, lebte er noch keines¬<lb/>
wegs thatenlos und halbvergessen unter uns. Jahr um Jahr schmückte er noch<lb/>
von Karlsruhe aus die deutschen Ausstellungen mit tief empfundenen Land¬<lb/>
schaften von großartigen! Charakter und von einer Schönheit und Kraft der<lb/>
Farbe, die mit dem Jüngsten der modernen Coloristen wetteiferte. Wenn man<lb/>
auf einer solchen farbenprächtigen, mit breitem Pinsel flott und sicher gemalten<lb/>
Landschaft das Monogramm 0. erblickte, glaubte man seinen Augen nicht<lb/>
zu trauen. Fünfzig Jahre lang haben Bilder, welche dieses Handzeichen trugen,<lb/>
ans den Allsstellungen eine erste Stelle behauptet. Alle bedeutsamen Wand¬<lb/>
lungen, welche die deutsche Malerei in einem halben Jahrhundert erlebt, hat<lb/>
Lessing durchgemacht; alle namhaften Fortschritte, welche sie während dieses<lb/>
Zeitraums verzeichnen durfte, sind auch die seinigen gewesen, und am Abende<lb/>
seines Lebens stand der greise Meister noch in ungebrochener Kraft unter den<lb/>
Ersten. Wer die Geschichte seines Schaffens zu schreiben unternimmt, der kann<lb/>
als Motto an den Anfang das stolze Wort setzen: Allezeit voran!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1478"> Carl Friedrich Lessing wurde am 8. Februar 1808 in Breslau geboren.<lb/>
Doch verlebte er seine Kindheit nicht in dieser Stadt, sondern in Polnisch-<lb/>
Wartenberg, wohin sein Vater noch im August 1808 als Justizcommissarius<lb/>
versetzt wurde. Der letztere war der Sohn Carl Gotthelf Lessings, des Bru¬<lb/>
ders von Gotthold Ephraim. Der Maler also, dem wir dieses Gedenkblatt<lb/>
widmen, war der Großneffe unseres nationalen Dichters und Denkers. So<lb/>
wenig Werth auch im Allgemeinen auf solche Verwandtschaften zu legen ist, in<lb/>
diesem Falle scheint doch etwas von dem Geiste des großen Ahnherrn ans Carl<lb/>
Friedrich übergegangen zu sein. Auch des Malers Name sollte einst wie ein<lb/>
Wetterstrahl in das Dunkel kirchlicher Unduldsamkeit hineinfahren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1479" next="#ID_1480"> Viel unmittelbarer als diese geistige Erbschaft wirkte indessen, vorläufig<lb/>
wenigstens, auf den heranwachsenden Knaben die waldreiche Umgebung Warten¬<lb/>
bergs, ni welcher er sich mit einem Bruder, der später ein tüchtiger Botaniker<lb/>
wurde, nach Herzenslust tummeln dürfte. So mag schon frühzeitig die Liebe<lb/>
für die Natur, welche nachmals eine so große Rolle in seiner künstlerischen<lb/>
Thätigkeit spielen sollte, in ihm erwacht sein. Sonst war die Erziehung seines<lb/>
Vaters sehr streng. Wenn mau liest, daß die Knaben, gleichviel ob Winter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0512] Zum Gedächtniß- (Lari Friedrich Lessings. Einem schönen Leben voll rastloser Thätigkeit, einer von großen und sel¬ tenen Erfolgen begleiteten Künstlerlaufbahn hat der Tod am 5. Juni ein frühes Ziel gesetzt. Ein frühes Ziel! Denn obwohl der Altmeister der neueren deut¬ schen Historienmalerei bereits die siebzig überschritten hatte, lebte er noch keines¬ wegs thatenlos und halbvergessen unter uns. Jahr um Jahr schmückte er noch von Karlsruhe aus die deutschen Ausstellungen mit tief empfundenen Land¬ schaften von großartigen! Charakter und von einer Schönheit und Kraft der Farbe, die mit dem Jüngsten der modernen Coloristen wetteiferte. Wenn man auf einer solchen farbenprächtigen, mit breitem Pinsel flott und sicher gemalten Landschaft das Monogramm 0. erblickte, glaubte man seinen Augen nicht zu trauen. Fünfzig Jahre lang haben Bilder, welche dieses Handzeichen trugen, ans den Allsstellungen eine erste Stelle behauptet. Alle bedeutsamen Wand¬ lungen, welche die deutsche Malerei in einem halben Jahrhundert erlebt, hat Lessing durchgemacht; alle namhaften Fortschritte, welche sie während dieses Zeitraums verzeichnen durfte, sind auch die seinigen gewesen, und am Abende seines Lebens stand der greise Meister noch in ungebrochener Kraft unter den Ersten. Wer die Geschichte seines Schaffens zu schreiben unternimmt, der kann als Motto an den Anfang das stolze Wort setzen: Allezeit voran! Carl Friedrich Lessing wurde am 8. Februar 1808 in Breslau geboren. Doch verlebte er seine Kindheit nicht in dieser Stadt, sondern in Polnisch- Wartenberg, wohin sein Vater noch im August 1808 als Justizcommissarius versetzt wurde. Der letztere war der Sohn Carl Gotthelf Lessings, des Bru¬ ders von Gotthold Ephraim. Der Maler also, dem wir dieses Gedenkblatt widmen, war der Großneffe unseres nationalen Dichters und Denkers. So wenig Werth auch im Allgemeinen auf solche Verwandtschaften zu legen ist, in diesem Falle scheint doch etwas von dem Geiste des großen Ahnherrn ans Carl Friedrich übergegangen zu sein. Auch des Malers Name sollte einst wie ein Wetterstrahl in das Dunkel kirchlicher Unduldsamkeit hineinfahren. Viel unmittelbarer als diese geistige Erbschaft wirkte indessen, vorläufig wenigstens, auf den heranwachsenden Knaben die waldreiche Umgebung Warten¬ bergs, ni welcher er sich mit einem Bruder, der später ein tüchtiger Botaniker wurde, nach Herzenslust tummeln dürfte. So mag schon frühzeitig die Liebe für die Natur, welche nachmals eine so große Rolle in seiner künstlerischen Thätigkeit spielen sollte, in ihm erwacht sein. Sonst war die Erziehung seines Vaters sehr streng. Wenn mau liest, daß die Knaben, gleichviel ob Winter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/512
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/512>, abgerufen am 22.07.2024.