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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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verschiedenen Stellen und aus verschiedenen Motiven beachtet werden wird.
Während es ihr wahrscheinlich nicht gelingen wird, die Bewunderung für die
jugendliche Genialität in der Tragödie "Dantons Tod" weithin zu verbreiten,
so wird sie doch voraussichtlich die Augen Vieler auf Georg Büchners persön¬
liche Schicksale zurücklenken. Die auf das beste Material gestützte, sehr ausge¬
führte, aber leider nicht völlig vollendete biographische Einleitung des Heraus¬
gebers ist wohl geeignet, die charakteristisch-originelle und doch so typische Er¬
scheinung des frühgeschiedenen Poeten ins rechte Licht zu setzen, wenn auch
keineswegs Alle die fast unbedingte Bewunderung des Biographen für seinen
Helden theilen werden. In Georg Büchners Persönlichkeit haben wir gleichsam
prophetisch die Kämpfe und Erregungen der nächstfolgenden Jahrzehnte vor uus.
Seine frühe trotzige Wendung zu den realistischen Wissenschaften, sein skeptischer
Pessimismus, seine revolutionäre Rolle, seine socialistischen Ueberzeugungen und
republikanischen Träume -- das alles, was nachher Tausende ergriffen und er¬
füllt hat, ist in den individuelle" Anfängen bei ihm von Wichtigkeit und wesent¬
lichem Interesse.

Freilich gelingt es auch der Biographie von Franzos nicht völlig, den
Hintergrund, auf welchem sich dies seltsame Poetenschicksal abspielt, ganz deutlich
zu machen. Als der Sohn eines tüchtigen Arztes am 17. October 1813 (einem
der Schlachttage von Leipzig) in Goddelan in Hessen geboren, in Darmstadt,
wohin sein Vater als Amtsarzt versetzt worden war, erzogen und unterrichtet,
gehörte Georg Büchner einer gebildeten Familie an, in der es von vornherein
fest stand, daß den Söhnen mit aller Aufopferung eine vorzügliche Erziehung
gegeben und eine freie Laufbahn eröffnet werden müsse. Büchner bestimmte sich
nach dem Beispiele des Vaters und dem innersten Drange seines Wesens für
das Studium der Naturwissenschaften, er erreichte das Jünglingsalter, bevor
sich die glühende Phantasie und der poetische Gestaltungstrieb bei ihm irgend¬
wie regten, und er gehörte zu jenen eigenartigen Naturen, die eine Reihe von
Illusionen bereits hinter sich haben, bevor ihnen Ideale aufgehen. Daß diese
Ideale die republikanischen waren, welche im Gefolge der französischen Juli-
revolution sich rasch nach Deutschland verbreiteten, dafür sorgten die Eindrücke
der heimatlichen Residenz und zwei Studienjahre, welche er nach dem Wunsche
seines durchaus französisch (obschon streng monarchisch) gesinnten Vaters in
Straßbnrg, damals einem der Hanptherde des französischen Radicalismus, ver¬
brachte. Der jugendliche Poet war nicht deutschfeindlich gesinnt, wie eine große
Zahl seiner Genossen und Nachfahren. Aber ohne daß er es wußte und wollte,
lagen ihm die rheinbündischen Sympathien, das wunderliche Gefühl eines ge¬
wissen Zusammenhangs mit Frankreich, das man in Südwestdeutschland viel¬
fach bewahrte, im Blute. Büchner mag schon in seiner Straßburger Zeit mit


verschiedenen Stellen und aus verschiedenen Motiven beachtet werden wird.
Während es ihr wahrscheinlich nicht gelingen wird, die Bewunderung für die
jugendliche Genialität in der Tragödie „Dantons Tod" weithin zu verbreiten,
so wird sie doch voraussichtlich die Augen Vieler auf Georg Büchners persön¬
liche Schicksale zurücklenken. Die auf das beste Material gestützte, sehr ausge¬
führte, aber leider nicht völlig vollendete biographische Einleitung des Heraus¬
gebers ist wohl geeignet, die charakteristisch-originelle und doch so typische Er¬
scheinung des frühgeschiedenen Poeten ins rechte Licht zu setzen, wenn auch
keineswegs Alle die fast unbedingte Bewunderung des Biographen für seinen
Helden theilen werden. In Georg Büchners Persönlichkeit haben wir gleichsam
prophetisch die Kämpfe und Erregungen der nächstfolgenden Jahrzehnte vor uus.
Seine frühe trotzige Wendung zu den realistischen Wissenschaften, sein skeptischer
Pessimismus, seine revolutionäre Rolle, seine socialistischen Ueberzeugungen und
republikanischen Träume — das alles, was nachher Tausende ergriffen und er¬
füllt hat, ist in den individuelle« Anfängen bei ihm von Wichtigkeit und wesent¬
lichem Interesse.

Freilich gelingt es auch der Biographie von Franzos nicht völlig, den
Hintergrund, auf welchem sich dies seltsame Poetenschicksal abspielt, ganz deutlich
zu machen. Als der Sohn eines tüchtigen Arztes am 17. October 1813 (einem
der Schlachttage von Leipzig) in Goddelan in Hessen geboren, in Darmstadt,
wohin sein Vater als Amtsarzt versetzt worden war, erzogen und unterrichtet,
gehörte Georg Büchner einer gebildeten Familie an, in der es von vornherein
fest stand, daß den Söhnen mit aller Aufopferung eine vorzügliche Erziehung
gegeben und eine freie Laufbahn eröffnet werden müsse. Büchner bestimmte sich
nach dem Beispiele des Vaters und dem innersten Drange seines Wesens für
das Studium der Naturwissenschaften, er erreichte das Jünglingsalter, bevor
sich die glühende Phantasie und der poetische Gestaltungstrieb bei ihm irgend¬
wie regten, und er gehörte zu jenen eigenartigen Naturen, die eine Reihe von
Illusionen bereits hinter sich haben, bevor ihnen Ideale aufgehen. Daß diese
Ideale die republikanischen waren, welche im Gefolge der französischen Juli-
revolution sich rasch nach Deutschland verbreiteten, dafür sorgten die Eindrücke
der heimatlichen Residenz und zwei Studienjahre, welche er nach dem Wunsche
seines durchaus französisch (obschon streng monarchisch) gesinnten Vaters in
Straßbnrg, damals einem der Hanptherde des französischen Radicalismus, ver¬
brachte. Der jugendliche Poet war nicht deutschfeindlich gesinnt, wie eine große
Zahl seiner Genossen und Nachfahren. Aber ohne daß er es wußte und wollte,
lagen ihm die rheinbündischen Sympathien, das wunderliche Gefühl eines ge¬
wissen Zusammenhangs mit Frankreich, das man in Südwestdeutschland viel¬
fach bewahrte, im Blute. Büchner mag schon in seiner Straßburger Zeit mit


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[0506] verschiedenen Stellen und aus verschiedenen Motiven beachtet werden wird. Während es ihr wahrscheinlich nicht gelingen wird, die Bewunderung für die jugendliche Genialität in der Tragödie „Dantons Tod" weithin zu verbreiten, so wird sie doch voraussichtlich die Augen Vieler auf Georg Büchners persön¬ liche Schicksale zurücklenken. Die auf das beste Material gestützte, sehr ausge¬ führte, aber leider nicht völlig vollendete biographische Einleitung des Heraus¬ gebers ist wohl geeignet, die charakteristisch-originelle und doch so typische Er¬ scheinung des frühgeschiedenen Poeten ins rechte Licht zu setzen, wenn auch keineswegs Alle die fast unbedingte Bewunderung des Biographen für seinen Helden theilen werden. In Georg Büchners Persönlichkeit haben wir gleichsam prophetisch die Kämpfe und Erregungen der nächstfolgenden Jahrzehnte vor uus. Seine frühe trotzige Wendung zu den realistischen Wissenschaften, sein skeptischer Pessimismus, seine revolutionäre Rolle, seine socialistischen Ueberzeugungen und republikanischen Träume — das alles, was nachher Tausende ergriffen und er¬ füllt hat, ist in den individuelle« Anfängen bei ihm von Wichtigkeit und wesent¬ lichem Interesse. Freilich gelingt es auch der Biographie von Franzos nicht völlig, den Hintergrund, auf welchem sich dies seltsame Poetenschicksal abspielt, ganz deutlich zu machen. Als der Sohn eines tüchtigen Arztes am 17. October 1813 (einem der Schlachttage von Leipzig) in Goddelan in Hessen geboren, in Darmstadt, wohin sein Vater als Amtsarzt versetzt worden war, erzogen und unterrichtet, gehörte Georg Büchner einer gebildeten Familie an, in der es von vornherein fest stand, daß den Söhnen mit aller Aufopferung eine vorzügliche Erziehung gegeben und eine freie Laufbahn eröffnet werden müsse. Büchner bestimmte sich nach dem Beispiele des Vaters und dem innersten Drange seines Wesens für das Studium der Naturwissenschaften, er erreichte das Jünglingsalter, bevor sich die glühende Phantasie und der poetische Gestaltungstrieb bei ihm irgend¬ wie regten, und er gehörte zu jenen eigenartigen Naturen, die eine Reihe von Illusionen bereits hinter sich haben, bevor ihnen Ideale aufgehen. Daß diese Ideale die republikanischen waren, welche im Gefolge der französischen Juli- revolution sich rasch nach Deutschland verbreiteten, dafür sorgten die Eindrücke der heimatlichen Residenz und zwei Studienjahre, welche er nach dem Wunsche seines durchaus französisch (obschon streng monarchisch) gesinnten Vaters in Straßbnrg, damals einem der Hanptherde des französischen Radicalismus, ver¬ brachte. Der jugendliche Poet war nicht deutschfeindlich gesinnt, wie eine große Zahl seiner Genossen und Nachfahren. Aber ohne daß er es wußte und wollte, lagen ihm die rheinbündischen Sympathien, das wunderliche Gefühl eines ge¬ wissen Zusammenhangs mit Frankreich, das man in Südwestdeutschland viel¬ fach bewahrte, im Blute. Büchner mag schon in seiner Straßburger Zeit mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/506>, abgerufen am 22.07.2024.