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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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strirtm" Biicherwciare, mit der wir seit 1870 überschwemmt worden sind, verräth
deutlich diesen Ursprung. Die vervielfältigenden Techniken, die dem Buchhandel
dienen, haben große Fortschritte gemacht; sie arbeiten billig und zum Theil sehr
gut; die Lust zum Bild erbetrachten ist durch die illustrirten Zeitungen in den wei¬
testen Kreisel: angestachelt; so ist es denn gekommen, daß jene Techniken zu einem
entscheidenden Factor in der Bücherherstellung unserer Zeit geworden sind. Wie die
Nähmaschinen die "Ideen" des Damenschneiders, die Fortschritte des musikalischen
Jnstrumentenbans die Ideen des Componisten beeinflußt haben, so trottet jetzt der
Schriftsteller hinter dem Xylographen her -- die Wissenschaft im Schlepptau des
Handwerks. Leider giebt es müssige und dienstwillige Federn genug, die zu solcher
Art von Schriftstellerei sich hergeben, bisweilen verschämt hinter Pseudonymen sich
bergend, oft genug aber auch unverschämt den eigenen Namen preisgebend. Daß
diese ganze Literatur nur auf die Urteilslosigkeit der großen Masse speculirt, liegt
auf der Hand. Ein Bedürfniß darnach ist nicht vorhanden, es wird erst künstlich
durch systematisch betriebene Reclame hervorgerufen. Und die Kritik? Daß Gott
erbarm'! Wir haben ja gar keine Kritik mehr in Deutschland!

Ein bedenklicher Umstand, der mit dieser Buchmacherci Hand in Hand geht, be¬
steht in dem verführerischen Ausgeben der Bücher "in Lieferungen". Der menschen¬
freundliche Verleger will dem Publikum "die Anschaffung erleichtern". In welche
Gefahren kann sich aber hier der Käufer begeben! Von einem Buche, das in "circa"
25 Lieferungen erscheinen soll, sind vielleicht eben für die vierte Lieferung die Holz¬
stöcke in Arbeit, zur dritten schreibt der Verfasser den Text, die zweite ist im Druck,
und da soll das Publikum die erste -- kaufen! Ist denn ein Buch wie ein Pack
Leinwand oder ein Groß Knöpfe, von dem man blos den Ausbund gesehen zu
haben braucht, um über den Werth des ganzen Stückes ein Urtheil zu haben?
Und wer bürgt dafür, daß aus den "circa" 25 Lieferungen nicht dreißig werden,
daß der Verfasser nicht krank wird und stirbt, daß der Verleger nicht -- Bankerott
macht? Daß ein Buch lieferungsweise abgegeben wird, dagegen ist an sich nichts
einzuwenden; nur müssen selbstverständlich sämmtliche Lieferungen des Buches fix
und fertig vorliegen, ich muß das Ganze sehen und prüfen können, und dann
muß es mir freistehen, ob ich das Buch lieferungsweise oder auf einmal er¬
werben will. Das wäre anständig, klug und liberal.

Zwei "illustrirte" Musikgeschichten! Es ist klar, was das Vorbild von beiden
gewesen ist: kein anderes Buch als die "Jllustrirte Literaturgeschichte" von Robert
König. Mit diesem Buche haben seine Verleger ein so glänzendes Geschäft gemacht,
daß es vorauszusehen war, daß verschiedene Leute es nachmachen würden. Vom
nachmachen lebt ja überhaupt diese ganze Sorte von Verlegerliteratur. Originelle
Gedanken siud äußerst selten darunter, taucht einmal einer auf, so stürzen sofort ein
Dutzend andere drüberher, um das, was der erste in Roth gemacht hat, nun in Grün,
Blau oder Lila zu machen. Alle die Holzschnittprachtwerke der letzten sechs, sieben
Jahre sind dem 1872 erschienenen Werke des Krönerschen Verlags in Stuttgart: "Aus


strirtm" Biicherwciare, mit der wir seit 1870 überschwemmt worden sind, verräth
deutlich diesen Ursprung. Die vervielfältigenden Techniken, die dem Buchhandel
dienen, haben große Fortschritte gemacht; sie arbeiten billig und zum Theil sehr
gut; die Lust zum Bild erbetrachten ist durch die illustrirten Zeitungen in den wei¬
testen Kreisel: angestachelt; so ist es denn gekommen, daß jene Techniken zu einem
entscheidenden Factor in der Bücherherstellung unserer Zeit geworden sind. Wie die
Nähmaschinen die „Ideen" des Damenschneiders, die Fortschritte des musikalischen
Jnstrumentenbans die Ideen des Componisten beeinflußt haben, so trottet jetzt der
Schriftsteller hinter dem Xylographen her — die Wissenschaft im Schlepptau des
Handwerks. Leider giebt es müssige und dienstwillige Federn genug, die zu solcher
Art von Schriftstellerei sich hergeben, bisweilen verschämt hinter Pseudonymen sich
bergend, oft genug aber auch unverschämt den eigenen Namen preisgebend. Daß
diese ganze Literatur nur auf die Urteilslosigkeit der großen Masse speculirt, liegt
auf der Hand. Ein Bedürfniß darnach ist nicht vorhanden, es wird erst künstlich
durch systematisch betriebene Reclame hervorgerufen. Und die Kritik? Daß Gott
erbarm'! Wir haben ja gar keine Kritik mehr in Deutschland!

Ein bedenklicher Umstand, der mit dieser Buchmacherci Hand in Hand geht, be¬
steht in dem verführerischen Ausgeben der Bücher „in Lieferungen". Der menschen¬
freundliche Verleger will dem Publikum „die Anschaffung erleichtern". In welche
Gefahren kann sich aber hier der Käufer begeben! Von einem Buche, das in „circa"
25 Lieferungen erscheinen soll, sind vielleicht eben für die vierte Lieferung die Holz¬
stöcke in Arbeit, zur dritten schreibt der Verfasser den Text, die zweite ist im Druck,
und da soll das Publikum die erste — kaufen! Ist denn ein Buch wie ein Pack
Leinwand oder ein Groß Knöpfe, von dem man blos den Ausbund gesehen zu
haben braucht, um über den Werth des ganzen Stückes ein Urtheil zu haben?
Und wer bürgt dafür, daß aus den „circa" 25 Lieferungen nicht dreißig werden,
daß der Verfasser nicht krank wird und stirbt, daß der Verleger nicht — Bankerott
macht? Daß ein Buch lieferungsweise abgegeben wird, dagegen ist an sich nichts
einzuwenden; nur müssen selbstverständlich sämmtliche Lieferungen des Buches fix
und fertig vorliegen, ich muß das Ganze sehen und prüfen können, und dann
muß es mir freistehen, ob ich das Buch lieferungsweise oder auf einmal er¬
werben will. Das wäre anständig, klug und liberal.

Zwei „illustrirte" Musikgeschichten! Es ist klar, was das Vorbild von beiden
gewesen ist: kein anderes Buch als die „Jllustrirte Literaturgeschichte" von Robert
König. Mit diesem Buche haben seine Verleger ein so glänzendes Geschäft gemacht,
daß es vorauszusehen war, daß verschiedene Leute es nachmachen würden. Vom
nachmachen lebt ja überhaupt diese ganze Sorte von Verlegerliteratur. Originelle
Gedanken siud äußerst selten darunter, taucht einmal einer auf, so stürzen sofort ein
Dutzend andere drüberher, um das, was der erste in Roth gemacht hat, nun in Grün,
Blau oder Lila zu machen. Alle die Holzschnittprachtwerke der letzten sechs, sieben
Jahre sind dem 1872 erschienenen Werke des Krönerschen Verlags in Stuttgart: „Aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/388>, abgerufen am 24.08.2024.