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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Im Jahre 1878 vollendete Schayer auch die neun Fuß hohe Statue eines
altdeutschen Landsknechts, der mit der Sturmfahne des dentschen Reichs in
der Linken, mit dem Schwerte in der Rechten gegen den Feind anstürmend ge¬
dacht ist und jetzt, in Bronze gegossen, die Krönung eines in gothischem Stile
ausgeführten Siegesbrunnens für Halle bildet. In demselben Jahre wurde
ihm auch die Statue des Mathematikers Gauß für Braunschweig übertragen,
die gegenwärtig bereits gegossen wird, und endlich gewann er in der Concurrenz
um ein Lessiugdenkmal für Hamburg den ersten Preis, der ihm von den Mit¬
gliedern der Jury einstimmig zuerkannt wurde. In der Absicht, einem Vergleiche
mit Rietschel, der für ihn unter allen Umständen nachtheilig ausfallen mußte,
aus demi Wege zu gehen, stellte er den Dichter mit gekreuzten Beinen auf einem
Lehnstuhle sitzend dar, wie er gerade in der Lectüre eines Buches innehält, um
seinen Gedanken nachzuhängen. Diese Auffassung des Künstlers, welche zugleich
auch einmal mit der hergebrachten, längst unbequem gewordenen Tradition
brechen wollte, rief in Hamburg einen Sturm der Entrüstung hervor. Tages¬
blätter und Broschüre" wiederholten in allen Variationen die These: Lessing
darf und kann nicht sitzend dargestellt werden, weil das seinem ganzen Wesen
widerspricht! Statt zu fragen: Ist der Schapersche Entwurf schön oder nicht?
wurde diese rein formale Frage zu einer Discussion über Lessings Geist und
Charakter aufgebauscht, die schließlich insofern unfruchtbar geblieben ist, als
Lessing nun doch sitzend dargestellt wird. Schayer hat seinen ursprünglichen
Entwurf einigen Veränderungen unterzogen, die nur gutgeheißen werden können.
Die bedeutendste ist die, daß die häßlichen Linien der gekreuzten Beine dadurch
beseitigt worden sind, daß der linke Fuß etwas vorgeschoben und der erste gegen
den Sessel zurückgezogen ist, als wollte der Dichter sich gerade erheben, um in
einen Disput einzugreifen.

Ein anderes Mal hatte Schayer mit seinen Reformversuchen keinen so
glücklichen Erfolg. Für das Berliner Zeughaus, das bekanntlich in eine Ruhmes¬
halle für die preußische Armee umgewandelt wird, war eine Concurrenz um
die Colossalstatue einer Victoria ausgeschrieben worden. Das war für Schayer
einmal eure Gelegenheit, dem von Rauch geschaffenen Typus etwas Anderes an
die Seite zu stellen. Er bildete die Victoria in sitzender Haltung, reich bewegt,
mit der Rechten den Lorbeerkranz emporhaltend, mit der Linken Palme und
Schwert umfassend. Es war eine der glücklichsten und originellsten Kompo¬
sitionen, die ihm je gelungen, aber so sehr vom Hergebrachten abweichend, daß
die Jury es nicht wagte, sie mit dem ersten Preise zu krönen. Schayer erhielt
den zweiten Preis, zugleich aber auch, da kein erster vertheilt wurde, den Auf¬
trag, einen neuen Entwurf nach dem traditionellen Schema anzufertigen, der
den auch allerhöchsten Orts zur Ausführung genehmigt wurde.


Im Jahre 1878 vollendete Schayer auch die neun Fuß hohe Statue eines
altdeutschen Landsknechts, der mit der Sturmfahne des dentschen Reichs in
der Linken, mit dem Schwerte in der Rechten gegen den Feind anstürmend ge¬
dacht ist und jetzt, in Bronze gegossen, die Krönung eines in gothischem Stile
ausgeführten Siegesbrunnens für Halle bildet. In demselben Jahre wurde
ihm auch die Statue des Mathematikers Gauß für Braunschweig übertragen,
die gegenwärtig bereits gegossen wird, und endlich gewann er in der Concurrenz
um ein Lessiugdenkmal für Hamburg den ersten Preis, der ihm von den Mit¬
gliedern der Jury einstimmig zuerkannt wurde. In der Absicht, einem Vergleiche
mit Rietschel, der für ihn unter allen Umständen nachtheilig ausfallen mußte,
aus demi Wege zu gehen, stellte er den Dichter mit gekreuzten Beinen auf einem
Lehnstuhle sitzend dar, wie er gerade in der Lectüre eines Buches innehält, um
seinen Gedanken nachzuhängen. Diese Auffassung des Künstlers, welche zugleich
auch einmal mit der hergebrachten, längst unbequem gewordenen Tradition
brechen wollte, rief in Hamburg einen Sturm der Entrüstung hervor. Tages¬
blätter und Broschüre» wiederholten in allen Variationen die These: Lessing
darf und kann nicht sitzend dargestellt werden, weil das seinem ganzen Wesen
widerspricht! Statt zu fragen: Ist der Schapersche Entwurf schön oder nicht?
wurde diese rein formale Frage zu einer Discussion über Lessings Geist und
Charakter aufgebauscht, die schließlich insofern unfruchtbar geblieben ist, als
Lessing nun doch sitzend dargestellt wird. Schayer hat seinen ursprünglichen
Entwurf einigen Veränderungen unterzogen, die nur gutgeheißen werden können.
Die bedeutendste ist die, daß die häßlichen Linien der gekreuzten Beine dadurch
beseitigt worden sind, daß der linke Fuß etwas vorgeschoben und der erste gegen
den Sessel zurückgezogen ist, als wollte der Dichter sich gerade erheben, um in
einen Disput einzugreifen.

Ein anderes Mal hatte Schayer mit seinen Reformversuchen keinen so
glücklichen Erfolg. Für das Berliner Zeughaus, das bekanntlich in eine Ruhmes¬
halle für die preußische Armee umgewandelt wird, war eine Concurrenz um
die Colossalstatue einer Victoria ausgeschrieben worden. Das war für Schayer
einmal eure Gelegenheit, dem von Rauch geschaffenen Typus etwas Anderes an
die Seite zu stellen. Er bildete die Victoria in sitzender Haltung, reich bewegt,
mit der Rechten den Lorbeerkranz emporhaltend, mit der Linken Palme und
Schwert umfassend. Es war eine der glücklichsten und originellsten Kompo¬
sitionen, die ihm je gelungen, aber so sehr vom Hergebrachten abweichend, daß
die Jury es nicht wagte, sie mit dem ersten Preise zu krönen. Schayer erhielt
den zweiten Preis, zugleich aber auch, da kein erster vertheilt wurde, den Auf¬
trag, einen neuen Entwurf nach dem traditionellen Schema anzufertigen, der
den auch allerhöchsten Orts zur Ausführung genehmigt wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/386>, abgerufen am 22.07.2024.