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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Forscherlust im Auge, in ein auf ihren Knien liegendes, aufgeschlagenes Buch,
während ein Genius ihr mit der Fackel leuchtet. Wie in den drei Frauen¬
gestalten, hat der Künstler auch in den sie begleitenden Genien eine gewisse
Altersverschiedenheit beobachtet, die aber nicht so groß ist, daß der älteste der
Genien die Grenze des Jünglingsalters überschreitet, oder daß das Drama als
die reifste der Frauen an den Charakter der Matrone heranstreift. Im Gegensatz
zu Reinhold Begas, welcher seinen Schiller mit vier Frauen umringt hat, von
denen mindestens drei ein gelindes Grauen hervorrufen, hat Schayer bei der Gestal¬
tung seiner Sockelfiguren stets die Schönheit als oberstes Gesetz vor Augen gehabt.
Es ist ihm auch gelungen, die trockene Begriffsmäßigkeit, die solchen allegorischen
Weibern gewöhnlich anzuhaften Pflegt, dadurch zu vermeiden, daß er sie nicht
blos zu Trägerinnen eines Gedankens, sondern auch zugleich zu Trägerinnen
gewisser Seelenstimmungen machte. Die Stimmung aber, welche eine jede dieser
Figuren in mehr oder minder starker Concentration erfüllt und ihren Gesichts¬
ausdruck bewirkt, überträgt sich auch auf ihren jugendlichen Begleiter, so daß
beide Figuren jeder Gruppe nicht bloß durch die Linie" der Composition, sondern
auch durch ein geistiges Band zusammengehalten werden. Die runde Gestalt
des Sockels bringt es mit sich, daß jede der drei Gruppen dem Beschauer nicht
eine, sondern mindestens zwei vortheilhafte Ansichten darbietet. Stehen wir
direct vor dem Denkmal, so fesselt uns, wenn wir nach rechts blicken, die
Schönheit des mit bewunderungswürdiger Feinheit durchgebildeten Knabenkörpers
und das aphrodisische Lächeln der Lyrischen Poesie. Verändern wir unseren
Standpunkt durch ein paar Schritte nach rechts, so erscheint die ganze Gruppe
im strengen Profil, und wir bewundern vorzugsweise den rhythmischen Schwung
der Umrißlinien und den weichen Fluß der Gewandung. Aehnliche Eindrücke
wiederholen sich bei der Betrachtung der beiden anderen Gruppen, bei welchen
freilich gehaltvoller Ernst und Würde über dem Liebreiz der Formen das
Uebergewicht haben.

Indem der Künstler von dem üblichen Denkmalsschema, dem viereckigen
Postament mit seinen vier Sockelwächterinnen, abwich, hat er zugleich die Ge-
sammtwirkung des Ganzen erhöht. Durch den pyramidalen Aufbau wird die
Höhentendenz weit energischer zur Anschauung gebracht; sie wird ferner dnrch
die cylindrische Gestalt des Sockels unterstützt. Dieser Cylinder verhält sich
zum Würfelpostament, auf seine Wirkung betrachtet, ungefähr wie der Pfeiler
zur Säule. Jener verkörpert die Idee des Lasttragens und des Belastet-, also
Gedrücktseins, während diese, trotz der auferlegten Last, kräftig nach oben strebt.

Wir haben noch der meisterlichen Behandlung des Marmors zu gedenken,
welche der Künstler eigenhändig mit liebevollsten Fleiß gleichmäßig auf alle
Theile ausgedehnt hat. Das Fleisch ist ebenso sorgsam durchgeführt wie die


Forscherlust im Auge, in ein auf ihren Knien liegendes, aufgeschlagenes Buch,
während ein Genius ihr mit der Fackel leuchtet. Wie in den drei Frauen¬
gestalten, hat der Künstler auch in den sie begleitenden Genien eine gewisse
Altersverschiedenheit beobachtet, die aber nicht so groß ist, daß der älteste der
Genien die Grenze des Jünglingsalters überschreitet, oder daß das Drama als
die reifste der Frauen an den Charakter der Matrone heranstreift. Im Gegensatz
zu Reinhold Begas, welcher seinen Schiller mit vier Frauen umringt hat, von
denen mindestens drei ein gelindes Grauen hervorrufen, hat Schayer bei der Gestal¬
tung seiner Sockelfiguren stets die Schönheit als oberstes Gesetz vor Augen gehabt.
Es ist ihm auch gelungen, die trockene Begriffsmäßigkeit, die solchen allegorischen
Weibern gewöhnlich anzuhaften Pflegt, dadurch zu vermeiden, daß er sie nicht
blos zu Trägerinnen eines Gedankens, sondern auch zugleich zu Trägerinnen
gewisser Seelenstimmungen machte. Die Stimmung aber, welche eine jede dieser
Figuren in mehr oder minder starker Concentration erfüllt und ihren Gesichts¬
ausdruck bewirkt, überträgt sich auch auf ihren jugendlichen Begleiter, so daß
beide Figuren jeder Gruppe nicht bloß durch die Linie» der Composition, sondern
auch durch ein geistiges Band zusammengehalten werden. Die runde Gestalt
des Sockels bringt es mit sich, daß jede der drei Gruppen dem Beschauer nicht
eine, sondern mindestens zwei vortheilhafte Ansichten darbietet. Stehen wir
direct vor dem Denkmal, so fesselt uns, wenn wir nach rechts blicken, die
Schönheit des mit bewunderungswürdiger Feinheit durchgebildeten Knabenkörpers
und das aphrodisische Lächeln der Lyrischen Poesie. Verändern wir unseren
Standpunkt durch ein paar Schritte nach rechts, so erscheint die ganze Gruppe
im strengen Profil, und wir bewundern vorzugsweise den rhythmischen Schwung
der Umrißlinien und den weichen Fluß der Gewandung. Aehnliche Eindrücke
wiederholen sich bei der Betrachtung der beiden anderen Gruppen, bei welchen
freilich gehaltvoller Ernst und Würde über dem Liebreiz der Formen das
Uebergewicht haben.

Indem der Künstler von dem üblichen Denkmalsschema, dem viereckigen
Postament mit seinen vier Sockelwächterinnen, abwich, hat er zugleich die Ge-
sammtwirkung des Ganzen erhöht. Durch den pyramidalen Aufbau wird die
Höhentendenz weit energischer zur Anschauung gebracht; sie wird ferner dnrch
die cylindrische Gestalt des Sockels unterstützt. Dieser Cylinder verhält sich
zum Würfelpostament, auf seine Wirkung betrachtet, ungefähr wie der Pfeiler
zur Säule. Jener verkörpert die Idee des Lasttragens und des Belastet-, also
Gedrücktseins, während diese, trotz der auferlegten Last, kräftig nach oben strebt.

Wir haben noch der meisterlichen Behandlung des Marmors zu gedenken,
welche der Künstler eigenhändig mit liebevollsten Fleiß gleichmäßig auf alle
Theile ausgedehnt hat. Das Fleisch ist ebenso sorgsam durchgeführt wie die


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[0384] Forscherlust im Auge, in ein auf ihren Knien liegendes, aufgeschlagenes Buch, während ein Genius ihr mit der Fackel leuchtet. Wie in den drei Frauen¬ gestalten, hat der Künstler auch in den sie begleitenden Genien eine gewisse Altersverschiedenheit beobachtet, die aber nicht so groß ist, daß der älteste der Genien die Grenze des Jünglingsalters überschreitet, oder daß das Drama als die reifste der Frauen an den Charakter der Matrone heranstreift. Im Gegensatz zu Reinhold Begas, welcher seinen Schiller mit vier Frauen umringt hat, von denen mindestens drei ein gelindes Grauen hervorrufen, hat Schayer bei der Gestal¬ tung seiner Sockelfiguren stets die Schönheit als oberstes Gesetz vor Augen gehabt. Es ist ihm auch gelungen, die trockene Begriffsmäßigkeit, die solchen allegorischen Weibern gewöhnlich anzuhaften Pflegt, dadurch zu vermeiden, daß er sie nicht blos zu Trägerinnen eines Gedankens, sondern auch zugleich zu Trägerinnen gewisser Seelenstimmungen machte. Die Stimmung aber, welche eine jede dieser Figuren in mehr oder minder starker Concentration erfüllt und ihren Gesichts¬ ausdruck bewirkt, überträgt sich auch auf ihren jugendlichen Begleiter, so daß beide Figuren jeder Gruppe nicht bloß durch die Linie» der Composition, sondern auch durch ein geistiges Band zusammengehalten werden. Die runde Gestalt des Sockels bringt es mit sich, daß jede der drei Gruppen dem Beschauer nicht eine, sondern mindestens zwei vortheilhafte Ansichten darbietet. Stehen wir direct vor dem Denkmal, so fesselt uns, wenn wir nach rechts blicken, die Schönheit des mit bewunderungswürdiger Feinheit durchgebildeten Knabenkörpers und das aphrodisische Lächeln der Lyrischen Poesie. Verändern wir unseren Standpunkt durch ein paar Schritte nach rechts, so erscheint die ganze Gruppe im strengen Profil, und wir bewundern vorzugsweise den rhythmischen Schwung der Umrißlinien und den weichen Fluß der Gewandung. Aehnliche Eindrücke wiederholen sich bei der Betrachtung der beiden anderen Gruppen, bei welchen freilich gehaltvoller Ernst und Würde über dem Liebreiz der Formen das Uebergewicht haben. Indem der Künstler von dem üblichen Denkmalsschema, dem viereckigen Postament mit seinen vier Sockelwächterinnen, abwich, hat er zugleich die Ge- sammtwirkung des Ganzen erhöht. Durch den pyramidalen Aufbau wird die Höhentendenz weit energischer zur Anschauung gebracht; sie wird ferner dnrch die cylindrische Gestalt des Sockels unterstützt. Dieser Cylinder verhält sich zum Würfelpostament, auf seine Wirkung betrachtet, ungefähr wie der Pfeiler zur Säule. Jener verkörpert die Idee des Lasttragens und des Belastet-, also Gedrücktseins, während diese, trotz der auferlegten Last, kräftig nach oben strebt. Wir haben noch der meisterlichen Behandlung des Marmors zu gedenken, welche der Künstler eigenhändig mit liebevollsten Fleiß gleichmäßig auf alle Theile ausgedehnt hat. Das Fleisch ist ebenso sorgsam durchgeführt wie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/384>, abgerufen am 22.07.2024.