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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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ebensowenig zum besonderen Verdienst angerechnet, wie es dein als fleißig und
kenntnisreich bekannten etwa zum Nachtheil gereichen kann, wenn er Unglück
hat. Den Ausschlag geben doch immer die während eines jahrelangen Unter¬
richtes gemachten Erfahrungen. Wozu aber dann die ganze Comödie? An
einem großen Gymnasium, das jährlich seine vierzig Abiturienten auf die Uni¬
versität sendet und drei volle Tage allein über den mündlichen Prüfungen ver¬
sitzt, muß die ganze Procedur nothwendig zu einer Qual für die Prüfuugs-
commission werden; für die ganze Schule aber, die inzwischen zur Unthätigkeit
verurtheilt ist, ist sie unter allen Umständen eine beklagenswerthe Zeitver¬
schwendung, selbst an kleineren Anstalten, wo sie weniger Zeit in Anspruch
nimmt. Nach unsrer Meinung wäre es das Richtige, wenn die Abiturienten
ebenso wie alle übrigen Schüler unter Clausur ihre schriftlichen Examenarbeiten
anfertigten und auf Grund derselben, vor allem aber natürlich auf Grund der
im letzten Schuljahre gemachten Erfahrungen ihre Censuren erhielten, und wenn
nnr die kleine Zahl der ganz Schwachen und Zweifelhaften zu einer mündlichen
Ergänzungsprüfung in denjenigen Fächern verwiesen würde, in denen sie einen
bestimmten Minimalgrad (etwa 3") nicht erreicht haben. An dieser Ergänzungs¬
prüfung würden sich auch die etwa der Schule zur Prüfung zugewiesenett
Fremden zu betheiligen haben, denen dann reichlichere Gelegenheit geboten
sein würde, sich zu exhibiren, als wenn sie mit demselben Maße gemessen
werden, wie die große Schaar der wirklichen Abiturienten. Für Träge und
Schwache würde sicherlich der Wunsch, diese Ergänzungsprüfung womöglich zu
vermeiden, ein wohlthätiger Sporn sein.

L"za dass lmotsnus, wie wir Lateiner sagen. Daß in den Wochen zwischen
Weihnachten und Ostern an unsern höheren Lehranstalten dem Unterrichte durch
mancherlei recht überflüssige Dinge kostbare Zeit entzogen wird, ist nicht zu
läugnen- Nur darf man nicht die einzelnen Schulen, man muß die geschlichen
Einrichtungen dafür verantwortlich machen. Und ob in diesen in den nächsten
Jahrzehnten etwas geändert werden wird? Wir haben nicht viel Hoffnung.
Von wem sollte auch eine Aenderung ausgehen? Die Rectoren haben in ihren
Directorialconferenzen viel wichtigere Dinge zu thun, sie müssen fünfzigmal
gelöste tiefe pädagogische Probleme zum einundfünfzigsten Male lösen. Der
gewöhnliche Schulmeister aber ist eine Lmnmsuatur; er klagt und seufzt, aber er
revoltirt nicht, und so bleibt eben alles beim Alte". Es wird wenig menschliche
Einrichtungen geben, in denen sich Anachronismen einer so gewissenhaften Pflege
erfreuen, wie an der Schule.




ebensowenig zum besonderen Verdienst angerechnet, wie es dein als fleißig und
kenntnisreich bekannten etwa zum Nachtheil gereichen kann, wenn er Unglück
hat. Den Ausschlag geben doch immer die während eines jahrelangen Unter¬
richtes gemachten Erfahrungen. Wozu aber dann die ganze Comödie? An
einem großen Gymnasium, das jährlich seine vierzig Abiturienten auf die Uni¬
versität sendet und drei volle Tage allein über den mündlichen Prüfungen ver¬
sitzt, muß die ganze Procedur nothwendig zu einer Qual für die Prüfuugs-
commission werden; für die ganze Schule aber, die inzwischen zur Unthätigkeit
verurtheilt ist, ist sie unter allen Umständen eine beklagenswerthe Zeitver¬
schwendung, selbst an kleineren Anstalten, wo sie weniger Zeit in Anspruch
nimmt. Nach unsrer Meinung wäre es das Richtige, wenn die Abiturienten
ebenso wie alle übrigen Schüler unter Clausur ihre schriftlichen Examenarbeiten
anfertigten und auf Grund derselben, vor allem aber natürlich auf Grund der
im letzten Schuljahre gemachten Erfahrungen ihre Censuren erhielten, und wenn
nnr die kleine Zahl der ganz Schwachen und Zweifelhaften zu einer mündlichen
Ergänzungsprüfung in denjenigen Fächern verwiesen würde, in denen sie einen
bestimmten Minimalgrad (etwa 3") nicht erreicht haben. An dieser Ergänzungs¬
prüfung würden sich auch die etwa der Schule zur Prüfung zugewiesenett
Fremden zu betheiligen haben, denen dann reichlichere Gelegenheit geboten
sein würde, sich zu exhibiren, als wenn sie mit demselben Maße gemessen
werden, wie die große Schaar der wirklichen Abiturienten. Für Träge und
Schwache würde sicherlich der Wunsch, diese Ergänzungsprüfung womöglich zu
vermeiden, ein wohlthätiger Sporn sein.

L«za dass lmotsnus, wie wir Lateiner sagen. Daß in den Wochen zwischen
Weihnachten und Ostern an unsern höheren Lehranstalten dem Unterrichte durch
mancherlei recht überflüssige Dinge kostbare Zeit entzogen wird, ist nicht zu
läugnen- Nur darf man nicht die einzelnen Schulen, man muß die geschlichen
Einrichtungen dafür verantwortlich machen. Und ob in diesen in den nächsten
Jahrzehnten etwas geändert werden wird? Wir haben nicht viel Hoffnung.
Von wem sollte auch eine Aenderung ausgehen? Die Rectoren haben in ihren
Directorialconferenzen viel wichtigere Dinge zu thun, sie müssen fünfzigmal
gelöste tiefe pädagogische Probleme zum einundfünfzigsten Male lösen. Der
gewöhnliche Schulmeister aber ist eine Lmnmsuatur; er klagt und seufzt, aber er
revoltirt nicht, und so bleibt eben alles beim Alte«. Es wird wenig menschliche
Einrichtungen geben, in denen sich Anachronismen einer so gewissenhaften Pflege
erfreuen, wie an der Schule.




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[0038] ebensowenig zum besonderen Verdienst angerechnet, wie es dein als fleißig und kenntnisreich bekannten etwa zum Nachtheil gereichen kann, wenn er Unglück hat. Den Ausschlag geben doch immer die während eines jahrelangen Unter¬ richtes gemachten Erfahrungen. Wozu aber dann die ganze Comödie? An einem großen Gymnasium, das jährlich seine vierzig Abiturienten auf die Uni¬ versität sendet und drei volle Tage allein über den mündlichen Prüfungen ver¬ sitzt, muß die ganze Procedur nothwendig zu einer Qual für die Prüfuugs- commission werden; für die ganze Schule aber, die inzwischen zur Unthätigkeit verurtheilt ist, ist sie unter allen Umständen eine beklagenswerthe Zeitver¬ schwendung, selbst an kleineren Anstalten, wo sie weniger Zeit in Anspruch nimmt. Nach unsrer Meinung wäre es das Richtige, wenn die Abiturienten ebenso wie alle übrigen Schüler unter Clausur ihre schriftlichen Examenarbeiten anfertigten und auf Grund derselben, vor allem aber natürlich auf Grund der im letzten Schuljahre gemachten Erfahrungen ihre Censuren erhielten, und wenn nnr die kleine Zahl der ganz Schwachen und Zweifelhaften zu einer mündlichen Ergänzungsprüfung in denjenigen Fächern verwiesen würde, in denen sie einen bestimmten Minimalgrad (etwa 3") nicht erreicht haben. An dieser Ergänzungs¬ prüfung würden sich auch die etwa der Schule zur Prüfung zugewiesenett Fremden zu betheiligen haben, denen dann reichlichere Gelegenheit geboten sein würde, sich zu exhibiren, als wenn sie mit demselben Maße gemessen werden, wie die große Schaar der wirklichen Abiturienten. Für Träge und Schwache würde sicherlich der Wunsch, diese Ergänzungsprüfung womöglich zu vermeiden, ein wohlthätiger Sporn sein. L«za dass lmotsnus, wie wir Lateiner sagen. Daß in den Wochen zwischen Weihnachten und Ostern an unsern höheren Lehranstalten dem Unterrichte durch mancherlei recht überflüssige Dinge kostbare Zeit entzogen wird, ist nicht zu läugnen- Nur darf man nicht die einzelnen Schulen, man muß die geschlichen Einrichtungen dafür verantwortlich machen. Und ob in diesen in den nächsten Jahrzehnten etwas geändert werden wird? Wir haben nicht viel Hoffnung. Von wem sollte auch eine Aenderung ausgehen? Die Rectoren haben in ihren Directorialconferenzen viel wichtigere Dinge zu thun, sie müssen fünfzigmal gelöste tiefe pädagogische Probleme zum einundfünfzigsten Male lösen. Der gewöhnliche Schulmeister aber ist eine Lmnmsuatur; er klagt und seufzt, aber er revoltirt nicht, und so bleibt eben alles beim Alte«. Es wird wenig menschliche Einrichtungen geben, in denen sich Anachronismen einer so gewissenhaften Pflege erfreuen, wie an der Schule.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/38>, abgerufen am 22.07.2024.