Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Decennium älteren Gemälde am Chorgewölbe von Masolino gemalt, und wahr¬
scheinlich ist, daß sie später gemalt worden sind, als die Bilder der Brancacci-
Capelle. Ich will aber ihre spätere Entstehung nicht betonen, obgleich auch
Thausing und Woltmann an ihr festzuhalten scheinen. Schon ihre ziemlich
gleichzeitige Entstehung mit den dem Masolino in Florenz zugeschriebenen
Bildern (und eine andere Chronologie wird schwerlich herauszubringen oder
hineinzutragen sein) genügt vollkommen, um es den Originalen gegenüber un¬
denkbar erscheinen zu lassen, daß ein fertiger Künstler in gesetzten Jahren, wie
es der 1383--84 geborene Masolino damals war, einen Sprung gemacht haben
sollte, wie von der nicht einmal auf dem Staudpunkte der Körperlichkeit der
früheren Gemälde Fiesoles angekommenen, aber mit holdseligem Ausdruck
erfüllten Darstellungen dieser Deckenfelder zu dem von individuellem Leben er¬
füllten und in fast vollgereifter Körperlichkeit prangenden Petronilla-Bilde in
Florenz. Das ist mir in der Collegiatkirche zu Castiglione selbst wieder so klar
geworden wie nur möglich, und das haben Crowe und Cavalcaselle und Ernst Förster
so detaillirt ausgeführt, daß ich auf keine weiteren Einzelheiten einzugehen brauche.
Ernst Förster, welcher den Masolino des Vasari für die Predigt Petri und
das Petronillabild nicht preisgeben wollte, war trotzdem von dieser Wahrheit
so überzeugt, daß er ihretwegen auf den Gedanken kam, es müsse zwei Masolini
gegeben haben, und der Masolino des Vasari sei ein anderer als derjenige
von Castiglione. So unwahrscheinlich diese Ansicht, wenn man alle Daten und
Ueberlieferungen berücksichtigt, auch erscheint, wahrscheinlicher wäre sie mir immer
noch als die Annahme, daß diese Bilder in Castiglione und jene in Florenz
ziemlich gleichzeitig von derselben Hand desselben fertigen Künstlers gemalt
worden sein sollten.

Meine Eindrücke von den Darstellungen aus dem Leben der heiligen
Catharina in San Elemente in Rom waren diesmal etwas anderer Art.
Ich fand ihren Stil demjenigen der Gemälde von Castiglione allerdings ver¬
wandter, als ich glaubte; aber da sie ein viel ausgebildeteres Raumgefühl
zeigen, so ist es doch schwer, zu glauben, sie seien in früherer Zeit von dem¬
selben Künstler gemalt worden; und doch stimmen alle Kritiker darin überein,
daß sie früher gemalt sein müssen als jene. Diese Schwierigkeit ist aber auch
gar nicht vorhanden, weil Vasari sie in der That gar nicht dem Masolino
zuschreibt, sondern für ein Jugendwerk des Masaccio erklärt; und in diesem
Falle sehe ich daher nicht nur keinen Grund, Vasari des Irrthums zu
zeihen, sondern finde, daß der Augenschein Vasaris Zeugniß vollkommen be¬
stätigt. Trotz ihrer Ueberarbeitung sind sie, wie gesagt, ihren Compositionen
und Formen nach noch wohl erkennbar. Sie machen den Eindruck von jugend-
frischem Compositionen eines tüchtigen jungen Künstlers, der zwar noch nicht


Decennium älteren Gemälde am Chorgewölbe von Masolino gemalt, und wahr¬
scheinlich ist, daß sie später gemalt worden sind, als die Bilder der Brancacci-
Capelle. Ich will aber ihre spätere Entstehung nicht betonen, obgleich auch
Thausing und Woltmann an ihr festzuhalten scheinen. Schon ihre ziemlich
gleichzeitige Entstehung mit den dem Masolino in Florenz zugeschriebenen
Bildern (und eine andere Chronologie wird schwerlich herauszubringen oder
hineinzutragen sein) genügt vollkommen, um es den Originalen gegenüber un¬
denkbar erscheinen zu lassen, daß ein fertiger Künstler in gesetzten Jahren, wie
es der 1383—84 geborene Masolino damals war, einen Sprung gemacht haben
sollte, wie von der nicht einmal auf dem Staudpunkte der Körperlichkeit der
früheren Gemälde Fiesoles angekommenen, aber mit holdseligem Ausdruck
erfüllten Darstellungen dieser Deckenfelder zu dem von individuellem Leben er¬
füllten und in fast vollgereifter Körperlichkeit prangenden Petronilla-Bilde in
Florenz. Das ist mir in der Collegiatkirche zu Castiglione selbst wieder so klar
geworden wie nur möglich, und das haben Crowe und Cavalcaselle und Ernst Förster
so detaillirt ausgeführt, daß ich auf keine weiteren Einzelheiten einzugehen brauche.
Ernst Förster, welcher den Masolino des Vasari für die Predigt Petri und
das Petronillabild nicht preisgeben wollte, war trotzdem von dieser Wahrheit
so überzeugt, daß er ihretwegen auf den Gedanken kam, es müsse zwei Masolini
gegeben haben, und der Masolino des Vasari sei ein anderer als derjenige
von Castiglione. So unwahrscheinlich diese Ansicht, wenn man alle Daten und
Ueberlieferungen berücksichtigt, auch erscheint, wahrscheinlicher wäre sie mir immer
noch als die Annahme, daß diese Bilder in Castiglione und jene in Florenz
ziemlich gleichzeitig von derselben Hand desselben fertigen Künstlers gemalt
worden sein sollten.

Meine Eindrücke von den Darstellungen aus dem Leben der heiligen
Catharina in San Elemente in Rom waren diesmal etwas anderer Art.
Ich fand ihren Stil demjenigen der Gemälde von Castiglione allerdings ver¬
wandter, als ich glaubte; aber da sie ein viel ausgebildeteres Raumgefühl
zeigen, so ist es doch schwer, zu glauben, sie seien in früherer Zeit von dem¬
selben Künstler gemalt worden; und doch stimmen alle Kritiker darin überein,
daß sie früher gemalt sein müssen als jene. Diese Schwierigkeit ist aber auch
gar nicht vorhanden, weil Vasari sie in der That gar nicht dem Masolino
zuschreibt, sondern für ein Jugendwerk des Masaccio erklärt; und in diesem
Falle sehe ich daher nicht nur keinen Grund, Vasari des Irrthums zu
zeihen, sondern finde, daß der Augenschein Vasaris Zeugniß vollkommen be¬
stätigt. Trotz ihrer Ueberarbeitung sind sie, wie gesagt, ihren Compositionen
und Formen nach noch wohl erkennbar. Sie machen den Eindruck von jugend-
frischem Compositionen eines tüchtigen jungen Künstlers, der zwar noch nicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146837"/>
          <p xml:id="ID_975" prev="#ID_974"> Decennium älteren Gemälde am Chorgewölbe von Masolino gemalt, und wahr¬<lb/>
scheinlich ist, daß sie später gemalt worden sind, als die Bilder der Brancacci-<lb/>
Capelle. Ich will aber ihre spätere Entstehung nicht betonen, obgleich auch<lb/>
Thausing und Woltmann an ihr festzuhalten scheinen. Schon ihre ziemlich<lb/>
gleichzeitige Entstehung mit den dem Masolino in Florenz zugeschriebenen<lb/>
Bildern (und eine andere Chronologie wird schwerlich herauszubringen oder<lb/>
hineinzutragen sein) genügt vollkommen, um es den Originalen gegenüber un¬<lb/>
denkbar erscheinen zu lassen, daß ein fertiger Künstler in gesetzten Jahren, wie<lb/>
es der 1383&#x2014;84 geborene Masolino damals war, einen Sprung gemacht haben<lb/>
sollte, wie von der nicht einmal auf dem Staudpunkte der Körperlichkeit der<lb/>
früheren Gemälde Fiesoles angekommenen, aber mit holdseligem Ausdruck<lb/>
erfüllten Darstellungen dieser Deckenfelder zu dem von individuellem Leben er¬<lb/>
füllten und in fast vollgereifter Körperlichkeit prangenden Petronilla-Bilde in<lb/>
Florenz. Das ist mir in der Collegiatkirche zu Castiglione selbst wieder so klar<lb/>
geworden wie nur möglich, und das haben Crowe und Cavalcaselle und Ernst Förster<lb/>
so detaillirt ausgeführt, daß ich auf keine weiteren Einzelheiten einzugehen brauche.<lb/>
Ernst Förster, welcher den Masolino des Vasari für die Predigt Petri und<lb/>
das Petronillabild nicht preisgeben wollte, war trotzdem von dieser Wahrheit<lb/>
so überzeugt, daß er ihretwegen auf den Gedanken kam, es müsse zwei Masolini<lb/>
gegeben haben, und der Masolino des Vasari sei ein anderer als derjenige<lb/>
von Castiglione. So unwahrscheinlich diese Ansicht, wenn man alle Daten und<lb/>
Ueberlieferungen berücksichtigt, auch erscheint, wahrscheinlicher wäre sie mir immer<lb/>
noch als die Annahme, daß diese Bilder in Castiglione und jene in Florenz<lb/>
ziemlich gleichzeitig von derselben Hand desselben fertigen Künstlers gemalt<lb/>
worden sein sollten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_976" next="#ID_977"> Meine Eindrücke von den Darstellungen aus dem Leben der heiligen<lb/>
Catharina in San Elemente in Rom waren diesmal etwas anderer Art.<lb/>
Ich fand ihren Stil demjenigen der Gemälde von Castiglione allerdings ver¬<lb/>
wandter, als ich glaubte; aber da sie ein viel ausgebildeteres Raumgefühl<lb/>
zeigen, so ist es doch schwer, zu glauben, sie seien in früherer Zeit von dem¬<lb/>
selben Künstler gemalt worden; und doch stimmen alle Kritiker darin überein,<lb/>
daß sie früher gemalt sein müssen als jene. Diese Schwierigkeit ist aber auch<lb/>
gar nicht vorhanden, weil Vasari sie in der That gar nicht dem Masolino<lb/>
zuschreibt, sondern für ein Jugendwerk des Masaccio erklärt; und in diesem<lb/>
Falle sehe ich daher nicht nur keinen Grund, Vasari des Irrthums zu<lb/>
zeihen, sondern finde, daß der Augenschein Vasaris Zeugniß vollkommen be¬<lb/>
stätigt. Trotz ihrer Ueberarbeitung sind sie, wie gesagt, ihren Compositionen<lb/>
und Formen nach noch wohl erkennbar. Sie machen den Eindruck von jugend-<lb/>
frischem Compositionen eines tüchtigen jungen Künstlers, der zwar noch nicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0332] Decennium älteren Gemälde am Chorgewölbe von Masolino gemalt, und wahr¬ scheinlich ist, daß sie später gemalt worden sind, als die Bilder der Brancacci- Capelle. Ich will aber ihre spätere Entstehung nicht betonen, obgleich auch Thausing und Woltmann an ihr festzuhalten scheinen. Schon ihre ziemlich gleichzeitige Entstehung mit den dem Masolino in Florenz zugeschriebenen Bildern (und eine andere Chronologie wird schwerlich herauszubringen oder hineinzutragen sein) genügt vollkommen, um es den Originalen gegenüber un¬ denkbar erscheinen zu lassen, daß ein fertiger Künstler in gesetzten Jahren, wie es der 1383—84 geborene Masolino damals war, einen Sprung gemacht haben sollte, wie von der nicht einmal auf dem Staudpunkte der Körperlichkeit der früheren Gemälde Fiesoles angekommenen, aber mit holdseligem Ausdruck erfüllten Darstellungen dieser Deckenfelder zu dem von individuellem Leben er¬ füllten und in fast vollgereifter Körperlichkeit prangenden Petronilla-Bilde in Florenz. Das ist mir in der Collegiatkirche zu Castiglione selbst wieder so klar geworden wie nur möglich, und das haben Crowe und Cavalcaselle und Ernst Förster so detaillirt ausgeführt, daß ich auf keine weiteren Einzelheiten einzugehen brauche. Ernst Förster, welcher den Masolino des Vasari für die Predigt Petri und das Petronillabild nicht preisgeben wollte, war trotzdem von dieser Wahrheit so überzeugt, daß er ihretwegen auf den Gedanken kam, es müsse zwei Masolini gegeben haben, und der Masolino des Vasari sei ein anderer als derjenige von Castiglione. So unwahrscheinlich diese Ansicht, wenn man alle Daten und Ueberlieferungen berücksichtigt, auch erscheint, wahrscheinlicher wäre sie mir immer noch als die Annahme, daß diese Bilder in Castiglione und jene in Florenz ziemlich gleichzeitig von derselben Hand desselben fertigen Künstlers gemalt worden sein sollten. Meine Eindrücke von den Darstellungen aus dem Leben der heiligen Catharina in San Elemente in Rom waren diesmal etwas anderer Art. Ich fand ihren Stil demjenigen der Gemälde von Castiglione allerdings ver¬ wandter, als ich glaubte; aber da sie ein viel ausgebildeteres Raumgefühl zeigen, so ist es doch schwer, zu glauben, sie seien in früherer Zeit von dem¬ selben Künstler gemalt worden; und doch stimmen alle Kritiker darin überein, daß sie früher gemalt sein müssen als jene. Diese Schwierigkeit ist aber auch gar nicht vorhanden, weil Vasari sie in der That gar nicht dem Masolino zuschreibt, sondern für ein Jugendwerk des Masaccio erklärt; und in diesem Falle sehe ich daher nicht nur keinen Grund, Vasari des Irrthums zu zeihen, sondern finde, daß der Augenschein Vasaris Zeugniß vollkommen be¬ stätigt. Trotz ihrer Ueberarbeitung sind sie, wie gesagt, ihren Compositionen und Formen nach noch wohl erkennbar. Sie machen den Eindruck von jugend- frischem Compositionen eines tüchtigen jungen Künstlers, der zwar noch nicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/332
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/332>, abgerufen am 22.07.2024.