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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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letzten Unterrichtswochen sind die denkbar nnerqnicklichste Zeit des ganzen Schul¬
jahres. Das Schicksal der Schüler, Censur und Versetzung, ist durch die schrift¬
lichen Arbeiten so gut wie entschieden; sie sind es, bei deren Anfertigung die
Schüler die größte Spannkraft entwickelt haben. Was darnach noch kommt,
interessirt sie nur halb, und sie haben damit gar nicht so unrecht, denn was
kaun ihnen noch Großes geboten werden? Das Pensum des Semesters muß
vor Beginn der Examenarbeiten zu Eude gebracht sein; was bleibt also, wenn
die Examenarbeiten durchgesprochen sind, in diesen Wochen weiter übrig, als
Repetition und immer wieder RePetition, Einprägen, Befestigen? Auf beiden
Theilen, auf Lehrern und Schülern, lastet die unangenehme Empfindung, daß
vielfach nur die Zeit hingebracht wird, und das ist ein großer Uebelstand. Leider
sprechen hier aber eben noch andere Rücksichten mit, die nicht ohne Weiteres bei
Seite gesetzt werden können.

Ein guter Theil der Abiturienten tritt alljährlich am 1. April in die Armee
ein, um sofort sein Freiwilligenjahr zu absolviren und später durch den Mili¬
tärdienst in den Universitätsstudien nicht unterbrochen zu werden. Ihnen ist es
gewiß zu gönnen, daß sie nicht direct von der Schulbank auf den Exereierplatz
laufen, sondern nach jahrelanger Geistesarbeit zunächst sich einer kurzen Frei¬
heit erfreuen. Schon dies ist ein Grund, mit dem Abiturientenexamen nicht bis
zu den letzten Wochen zu zögern. Es ist ferner nothwendig, nach den münd¬
lichen Prüfungen eine Pause von mindestens einer Woche zu machen, um die
Vorbereitungen zum Valedictiousaetus treffen und die Zeugnisse ausfertigen und
unterzeichnen lassen zu können. Von der entscheidendsten Wichtigkeit aber ist
die der Prüfungseommission durch die schriftlichen Arbeiten erwachsende Correc-
turenlast. Wenn ein Gymnasium, wie in dem oben geschilderten Falle, ca. 40
Primaner ans einmal zur Universität zu entlassen hat, wie soll es für eine
einzelne Lehrkraft möglich sein, die gewissenhafte Durchsicht einer solchen Anzahl
von deutschen oder lateinischen Aufsätzen zu bewältigen und gleichzeitig noch in
anderen Klassen den gewöhnlichen Unterricht weiterzugehen, wie soll es möglich
sein, daß alle Arbeiten bei den Mitgliedern der Prüfungscommisfion circuliren,
wenn zwischen den schriftlichen und mündlichen Prüfungen nicht mindestens eine
Flucht von zwei bis drei Wochen gelassen wird? Wir haben hier eine Schatten¬
seite unserer modernen, mit fünf bis sechs Hundert Schülern angefüllten Gym-
nasialcasernen vor uns. Für die eigentliche Unterrichtsarbeit ist es ja am Ende
gleichgiltig, wie weit eine Schule anwächst. Durch Errichtung der jetzt be¬
liebten "Parallelklassen" und Vergrößerung des Lehrercollegiums läßt sich's ver¬
meiden, daß die Klassen überfüllt werden und die Arbeit des Lehrers am Einzelnen
erfolglos werde. Aber, ganz abgesehen von der Last unwürdiger Bureauarbeit,
die dem Rector eines solchen Monstregymnasiums erwächst, abgesehen von der


letzten Unterrichtswochen sind die denkbar nnerqnicklichste Zeit des ganzen Schul¬
jahres. Das Schicksal der Schüler, Censur und Versetzung, ist durch die schrift¬
lichen Arbeiten so gut wie entschieden; sie sind es, bei deren Anfertigung die
Schüler die größte Spannkraft entwickelt haben. Was darnach noch kommt,
interessirt sie nur halb, und sie haben damit gar nicht so unrecht, denn was
kaun ihnen noch Großes geboten werden? Das Pensum des Semesters muß
vor Beginn der Examenarbeiten zu Eude gebracht sein; was bleibt also, wenn
die Examenarbeiten durchgesprochen sind, in diesen Wochen weiter übrig, als
Repetition und immer wieder RePetition, Einprägen, Befestigen? Auf beiden
Theilen, auf Lehrern und Schülern, lastet die unangenehme Empfindung, daß
vielfach nur die Zeit hingebracht wird, und das ist ein großer Uebelstand. Leider
sprechen hier aber eben noch andere Rücksichten mit, die nicht ohne Weiteres bei
Seite gesetzt werden können.

Ein guter Theil der Abiturienten tritt alljährlich am 1. April in die Armee
ein, um sofort sein Freiwilligenjahr zu absolviren und später durch den Mili¬
tärdienst in den Universitätsstudien nicht unterbrochen zu werden. Ihnen ist es
gewiß zu gönnen, daß sie nicht direct von der Schulbank auf den Exereierplatz
laufen, sondern nach jahrelanger Geistesarbeit zunächst sich einer kurzen Frei¬
heit erfreuen. Schon dies ist ein Grund, mit dem Abiturientenexamen nicht bis
zu den letzten Wochen zu zögern. Es ist ferner nothwendig, nach den münd¬
lichen Prüfungen eine Pause von mindestens einer Woche zu machen, um die
Vorbereitungen zum Valedictiousaetus treffen und die Zeugnisse ausfertigen und
unterzeichnen lassen zu können. Von der entscheidendsten Wichtigkeit aber ist
die der Prüfungseommission durch die schriftlichen Arbeiten erwachsende Correc-
turenlast. Wenn ein Gymnasium, wie in dem oben geschilderten Falle, ca. 40
Primaner ans einmal zur Universität zu entlassen hat, wie soll es für eine
einzelne Lehrkraft möglich sein, die gewissenhafte Durchsicht einer solchen Anzahl
von deutschen oder lateinischen Aufsätzen zu bewältigen und gleichzeitig noch in
anderen Klassen den gewöhnlichen Unterricht weiterzugehen, wie soll es möglich
sein, daß alle Arbeiten bei den Mitgliedern der Prüfungscommisfion circuliren,
wenn zwischen den schriftlichen und mündlichen Prüfungen nicht mindestens eine
Flucht von zwei bis drei Wochen gelassen wird? Wir haben hier eine Schatten¬
seite unserer modernen, mit fünf bis sechs Hundert Schülern angefüllten Gym-
nasialcasernen vor uns. Für die eigentliche Unterrichtsarbeit ist es ja am Ende
gleichgiltig, wie weit eine Schule anwächst. Durch Errichtung der jetzt be¬
liebten „Parallelklassen" und Vergrößerung des Lehrercollegiums läßt sich's ver¬
meiden, daß die Klassen überfüllt werden und die Arbeit des Lehrers am Einzelnen
erfolglos werde. Aber, ganz abgesehen von der Last unwürdiger Bureauarbeit,
die dem Rector eines solchen Monstregymnasiums erwächst, abgesehen von der


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[0033] letzten Unterrichtswochen sind die denkbar nnerqnicklichste Zeit des ganzen Schul¬ jahres. Das Schicksal der Schüler, Censur und Versetzung, ist durch die schrift¬ lichen Arbeiten so gut wie entschieden; sie sind es, bei deren Anfertigung die Schüler die größte Spannkraft entwickelt haben. Was darnach noch kommt, interessirt sie nur halb, und sie haben damit gar nicht so unrecht, denn was kaun ihnen noch Großes geboten werden? Das Pensum des Semesters muß vor Beginn der Examenarbeiten zu Eude gebracht sein; was bleibt also, wenn die Examenarbeiten durchgesprochen sind, in diesen Wochen weiter übrig, als Repetition und immer wieder RePetition, Einprägen, Befestigen? Auf beiden Theilen, auf Lehrern und Schülern, lastet die unangenehme Empfindung, daß vielfach nur die Zeit hingebracht wird, und das ist ein großer Uebelstand. Leider sprechen hier aber eben noch andere Rücksichten mit, die nicht ohne Weiteres bei Seite gesetzt werden können. Ein guter Theil der Abiturienten tritt alljährlich am 1. April in die Armee ein, um sofort sein Freiwilligenjahr zu absolviren und später durch den Mili¬ tärdienst in den Universitätsstudien nicht unterbrochen zu werden. Ihnen ist es gewiß zu gönnen, daß sie nicht direct von der Schulbank auf den Exereierplatz laufen, sondern nach jahrelanger Geistesarbeit zunächst sich einer kurzen Frei¬ heit erfreuen. Schon dies ist ein Grund, mit dem Abiturientenexamen nicht bis zu den letzten Wochen zu zögern. Es ist ferner nothwendig, nach den münd¬ lichen Prüfungen eine Pause von mindestens einer Woche zu machen, um die Vorbereitungen zum Valedictiousaetus treffen und die Zeugnisse ausfertigen und unterzeichnen lassen zu können. Von der entscheidendsten Wichtigkeit aber ist die der Prüfungseommission durch die schriftlichen Arbeiten erwachsende Correc- turenlast. Wenn ein Gymnasium, wie in dem oben geschilderten Falle, ca. 40 Primaner ans einmal zur Universität zu entlassen hat, wie soll es für eine einzelne Lehrkraft möglich sein, die gewissenhafte Durchsicht einer solchen Anzahl von deutschen oder lateinischen Aufsätzen zu bewältigen und gleichzeitig noch in anderen Klassen den gewöhnlichen Unterricht weiterzugehen, wie soll es möglich sein, daß alle Arbeiten bei den Mitgliedern der Prüfungscommisfion circuliren, wenn zwischen den schriftlichen und mündlichen Prüfungen nicht mindestens eine Flucht von zwei bis drei Wochen gelassen wird? Wir haben hier eine Schatten¬ seite unserer modernen, mit fünf bis sechs Hundert Schülern angefüllten Gym- nasialcasernen vor uns. Für die eigentliche Unterrichtsarbeit ist es ja am Ende gleichgiltig, wie weit eine Schule anwächst. Durch Errichtung der jetzt be¬ liebten „Parallelklassen" und Vergrößerung des Lehrercollegiums läßt sich's ver¬ meiden, daß die Klassen überfüllt werden und die Arbeit des Lehrers am Einzelnen erfolglos werde. Aber, ganz abgesehen von der Last unwürdiger Bureauarbeit, die dem Rector eines solchen Monstregymnasiums erwächst, abgesehen von der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/33>, abgerufen am 03.07.2024.