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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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mächtig und verständlich, daß ein ganzes Stück deutscher Geschichte in ihnen
dauernd fortlebt:


Ich aber kann des Landes nicht, des eigenen
In Schmerz verstummte Klagen mißversteh!?;
Ich kann die stillen Gräber nicht verleugnen.
Wie tief sie jetzt im Unkraut auch vergehn.--
Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde
Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt;
Denn Raum ist auf der heimatlichen Erde
Für Fremde nur und, was dem Fremden dient.
Doch ists das stehendste von den Gebeten,
Ihr mögt dereinst, wenn mir es nicht vergönnt,
Mit festem Fuß auf diese Scholle treten.
Von der sich jetzt mein heißes Auge trennt! --
Und du mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege
Auch noch auf diesem theuren Boden stand,
Hör' mich! -- denn Alles Andere ist Lüge! -
Kein Mann gedeihet ohne Vaterland!
Kannst du den Sinn, den diese Worte führen,
Mit deiner Kinderseele nicht verstehn,
So soll es wie ein Schauer dich berühren
Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn!

Angesichts dieser poetisch festgehaltenen tragischen Erinnerungen wirkt die
Thatsache, daß dem Dichter die Heimkehr in die einst verlassene Heimat ge¬
gönnt worden ist, daß er "den Tag, wo diese deutsche Erde im Ring des großen
Reiches liegt", geschaut hat und seit manchem Jahre wieder ans seinem ursprüng¬
lichen Boden Leben sieht und Leben schafft, versöhnend und erhebend, wenn
sie auch keineswegs vergessen machen soll, was ihm einst auferlegt worden.
Liegt doch einer von Storms tiefsten Vorzügen darin, daß er in seinen spätern
Schöpfungen wohl ernst und mannigfach resignirt, aber niemals bitter oder
mit jenem würdelosen Pessimismus erscheint, der jetzt zu einer literarischen
Renommage und beliebten Reclame geworden ist. Aber verständlich ists, daß
der Dichter das Land seiner Jugend in der Dichtung damals am wenigsten
missen mochte, wo er schmerzlich von demselben getrennt war und nicht mehr
missen konnte, als er endlich auf seinen Boden zurückkehrte. Blieb doch dies
Land der echte Hintergrund zu seinen Gebilden und Gestalten, obschon natür¬
lich beinahe jede specifisch norddeutsche Landschaft ähnliche Menschen und Schick¬
sale aufweisen wird, sobald sie den Dichter findet, der sich ihrer bemächtigt.

Den Uebergang von Storms lyrischen Gedichten zu seinen Novellen im
strengeren Sinne bilden einige wenige erzählende Dichtungen, einige Prosamärchen


mächtig und verständlich, daß ein ganzes Stück deutscher Geschichte in ihnen
dauernd fortlebt:


Ich aber kann des Landes nicht, des eigenen
In Schmerz verstummte Klagen mißversteh!?;
Ich kann die stillen Gräber nicht verleugnen.
Wie tief sie jetzt im Unkraut auch vergehn.--
Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde
Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt;
Denn Raum ist auf der heimatlichen Erde
Für Fremde nur und, was dem Fremden dient.
Doch ists das stehendste von den Gebeten,
Ihr mögt dereinst, wenn mir es nicht vergönnt,
Mit festem Fuß auf diese Scholle treten.
Von der sich jetzt mein heißes Auge trennt! —
Und du mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege
Auch noch auf diesem theuren Boden stand,
Hör' mich! — denn Alles Andere ist Lüge! -
Kein Mann gedeihet ohne Vaterland!
Kannst du den Sinn, den diese Worte führen,
Mit deiner Kinderseele nicht verstehn,
So soll es wie ein Schauer dich berühren
Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn!

Angesichts dieser poetisch festgehaltenen tragischen Erinnerungen wirkt die
Thatsache, daß dem Dichter die Heimkehr in die einst verlassene Heimat ge¬
gönnt worden ist, daß er „den Tag, wo diese deutsche Erde im Ring des großen
Reiches liegt", geschaut hat und seit manchem Jahre wieder ans seinem ursprüng¬
lichen Boden Leben sieht und Leben schafft, versöhnend und erhebend, wenn
sie auch keineswegs vergessen machen soll, was ihm einst auferlegt worden.
Liegt doch einer von Storms tiefsten Vorzügen darin, daß er in seinen spätern
Schöpfungen wohl ernst und mannigfach resignirt, aber niemals bitter oder
mit jenem würdelosen Pessimismus erscheint, der jetzt zu einer literarischen
Renommage und beliebten Reclame geworden ist. Aber verständlich ists, daß
der Dichter das Land seiner Jugend in der Dichtung damals am wenigsten
missen mochte, wo er schmerzlich von demselben getrennt war und nicht mehr
missen konnte, als er endlich auf seinen Boden zurückkehrte. Blieb doch dies
Land der echte Hintergrund zu seinen Gebilden und Gestalten, obschon natür¬
lich beinahe jede specifisch norddeutsche Landschaft ähnliche Menschen und Schick¬
sale aufweisen wird, sobald sie den Dichter findet, der sich ihrer bemächtigt.

Den Uebergang von Storms lyrischen Gedichten zu seinen Novellen im
strengeren Sinne bilden einige wenige erzählende Dichtungen, einige Prosamärchen


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[0322] mächtig und verständlich, daß ein ganzes Stück deutscher Geschichte in ihnen dauernd fortlebt: Ich aber kann des Landes nicht, des eigenen In Schmerz verstummte Klagen mißversteh!?; Ich kann die stillen Gräber nicht verleugnen. Wie tief sie jetzt im Unkraut auch vergehn.-- Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt; Denn Raum ist auf der heimatlichen Erde Für Fremde nur und, was dem Fremden dient. Doch ists das stehendste von den Gebeten, Ihr mögt dereinst, wenn mir es nicht vergönnt, Mit festem Fuß auf diese Scholle treten. Von der sich jetzt mein heißes Auge trennt! — Und du mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege Auch noch auf diesem theuren Boden stand, Hör' mich! — denn Alles Andere ist Lüge! - Kein Mann gedeihet ohne Vaterland! Kannst du den Sinn, den diese Worte führen, Mit deiner Kinderseele nicht verstehn, So soll es wie ein Schauer dich berühren Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn! Angesichts dieser poetisch festgehaltenen tragischen Erinnerungen wirkt die Thatsache, daß dem Dichter die Heimkehr in die einst verlassene Heimat ge¬ gönnt worden ist, daß er „den Tag, wo diese deutsche Erde im Ring des großen Reiches liegt", geschaut hat und seit manchem Jahre wieder ans seinem ursprüng¬ lichen Boden Leben sieht und Leben schafft, versöhnend und erhebend, wenn sie auch keineswegs vergessen machen soll, was ihm einst auferlegt worden. Liegt doch einer von Storms tiefsten Vorzügen darin, daß er in seinen spätern Schöpfungen wohl ernst und mannigfach resignirt, aber niemals bitter oder mit jenem würdelosen Pessimismus erscheint, der jetzt zu einer literarischen Renommage und beliebten Reclame geworden ist. Aber verständlich ists, daß der Dichter das Land seiner Jugend in der Dichtung damals am wenigsten missen mochte, wo er schmerzlich von demselben getrennt war und nicht mehr missen konnte, als er endlich auf seinen Boden zurückkehrte. Blieb doch dies Land der echte Hintergrund zu seinen Gebilden und Gestalten, obschon natür¬ lich beinahe jede specifisch norddeutsche Landschaft ähnliche Menschen und Schick¬ sale aufweisen wird, sobald sie den Dichter findet, der sich ihrer bemächtigt. Den Uebergang von Storms lyrischen Gedichten zu seinen Novellen im strengeren Sinne bilden einige wenige erzählende Dichtungen, einige Prosamärchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/322>, abgerufen am 25.08.2024.