Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

manenfürst Septimius Aistomodins mit seinen Brüdern Philippus und Helio-
dorus, deren römische Namen andeuten, daß sie das römische Bürgerrecht unter
jenem Kaiser gewannen (denn es war Mich, in solchen Fällen den Familien¬
namen des regierenden Kaisers anzunehmen), so ein Narister von jenen, welche
M. Aurel in Pannonien ansiedelte; freilich würde diesem Nävius Primigenins
mit seil?er Frau Nävia und seiner Tochter Crensa classischen Namens Niemand
die germanische Abstammung ansehen, wenn sie nicht auf einem Grabsteine ver¬
rathen würde. So wenig ist aus römischer Benennung hier auf italische Abkunft
zu schließen.

Doch wenn die Bürger der Stadtgemeinden und die aus ihnen sich recrn-
tirenden Legionare doch wenigstens äußerlich als Römer sich gebehrdeten, so
hörte in einiger Entfernung von den Städten und Standlagern auch das auf.
Zwar die kleinen Orte in größerer Nähe oder an den großen Heerstraßen, auf
denen die römische Reichspost ihre Stationen schuf, mögen noch ein wesentlich
römisches Gepräge getragen haben, wie denn die warmen Quellen von Meldung
und Baden bei Wien, das die Römer ^nao nannten, schon vor Trajan
von ihnen benutzt worden sind und auch anderwärts, z. B. in Brück an der
Leitha, römische Spuren sich finden. Aber die Bewohner des Platten Landes
wurden den Städten zu minderem Rechte untergeordnet, entbehrten also zumeist
des Bürgerrechts, über sie ergoß sich die römische Cultur nur spärlich, und so
kann es nicht Wunder nehmen, wenn sie nur theilweise römische Namen sich
wählten, häufig ihre einheimischen beibehielten und anch sonst italische Sitte bei
ihnen wenig Eingang fand. Daher nehmen denn auch in dem Striche zwischen
Wiener Wald und Leitha die Spuren römischen Lebens, je weiter von der
Donaugrenze und ihren Standlagern und Städten entfernt, desto mehr ab; süd¬
lich über Wiener Neustadt hinaus fehlen die Inschriften, und der Procentsatz
der einheimischen Namen auf ihnen steigt höher an. So wird matt sich diese
römischen Standlager und Städte mit ihrer nächsten Umgebung als lateinische
Sprachinseln inmitten einer keltischen Bevölkerung vorzustellen haben, welche von
römischer Cultur nur oberflächlich berührt wurde, freilich aber auch jedes natio¬
nalen Bewußtseins entbehrte.

Wenn aber eine italische Colonisation in erheblicher Ausdehnung nicht
stattfand, so ist die Wucht, mit welcher römisches Staats- und Heerwesen wie
die lebhafte Handelsverbindung mit Italien die Eingebornen zu dem römischen
Wesen hiliüberdrängte, nur um so erstaunlicher. Nirgends trat jenes aber auch
imposanter auf, als an dieser beständig bedrohten Donaugrenze, deren Geschichte
eins's engste verflochten ist mit den gewaltigen Kämpfen gegen die Germanen
und den Thronkriegen der späteren Zeit. Zu Carnuntum zog Kaiser Marcus
am 1. September 178 ein, um den drohenden Einbruch der Markomannen,


manenfürst Septimius Aistomodins mit seinen Brüdern Philippus und Helio-
dorus, deren römische Namen andeuten, daß sie das römische Bürgerrecht unter
jenem Kaiser gewannen (denn es war Mich, in solchen Fällen den Familien¬
namen des regierenden Kaisers anzunehmen), so ein Narister von jenen, welche
M. Aurel in Pannonien ansiedelte; freilich würde diesem Nävius Primigenins
mit seil?er Frau Nävia und seiner Tochter Crensa classischen Namens Niemand
die germanische Abstammung ansehen, wenn sie nicht auf einem Grabsteine ver¬
rathen würde. So wenig ist aus römischer Benennung hier auf italische Abkunft
zu schließen.

Doch wenn die Bürger der Stadtgemeinden und die aus ihnen sich recrn-
tirenden Legionare doch wenigstens äußerlich als Römer sich gebehrdeten, so
hörte in einiger Entfernung von den Städten und Standlagern auch das auf.
Zwar die kleinen Orte in größerer Nähe oder an den großen Heerstraßen, auf
denen die römische Reichspost ihre Stationen schuf, mögen noch ein wesentlich
römisches Gepräge getragen haben, wie denn die warmen Quellen von Meldung
und Baden bei Wien, das die Römer ^nao nannten, schon vor Trajan
von ihnen benutzt worden sind und auch anderwärts, z. B. in Brück an der
Leitha, römische Spuren sich finden. Aber die Bewohner des Platten Landes
wurden den Städten zu minderem Rechte untergeordnet, entbehrten also zumeist
des Bürgerrechts, über sie ergoß sich die römische Cultur nur spärlich, und so
kann es nicht Wunder nehmen, wenn sie nur theilweise römische Namen sich
wählten, häufig ihre einheimischen beibehielten und anch sonst italische Sitte bei
ihnen wenig Eingang fand. Daher nehmen denn auch in dem Striche zwischen
Wiener Wald und Leitha die Spuren römischen Lebens, je weiter von der
Donaugrenze und ihren Standlagern und Städten entfernt, desto mehr ab; süd¬
lich über Wiener Neustadt hinaus fehlen die Inschriften, und der Procentsatz
der einheimischen Namen auf ihnen steigt höher an. So wird matt sich diese
römischen Standlager und Städte mit ihrer nächsten Umgebung als lateinische
Sprachinseln inmitten einer keltischen Bevölkerung vorzustellen haben, welche von
römischer Cultur nur oberflächlich berührt wurde, freilich aber auch jedes natio¬
nalen Bewußtseins entbehrte.

Wenn aber eine italische Colonisation in erheblicher Ausdehnung nicht
stattfand, so ist die Wucht, mit welcher römisches Staats- und Heerwesen wie
die lebhafte Handelsverbindung mit Italien die Eingebornen zu dem römischen
Wesen hiliüberdrängte, nur um so erstaunlicher. Nirgends trat jenes aber auch
imposanter auf, als an dieser beständig bedrohten Donaugrenze, deren Geschichte
eins's engste verflochten ist mit den gewaltigen Kämpfen gegen die Germanen
und den Thronkriegen der späteren Zeit. Zu Carnuntum zog Kaiser Marcus
am 1. September 178 ein, um den drohenden Einbruch der Markomannen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146533"/>
          <p xml:id="ID_65" prev="#ID_64"> manenfürst Septimius Aistomodins mit seinen Brüdern Philippus und Helio-<lb/>
dorus, deren römische Namen andeuten, daß sie das römische Bürgerrecht unter<lb/>
jenem Kaiser gewannen (denn es war Mich, in solchen Fällen den Familien¬<lb/>
namen des regierenden Kaisers anzunehmen), so ein Narister von jenen, welche<lb/>
M. Aurel in Pannonien ansiedelte; freilich würde diesem Nävius Primigenins<lb/>
mit seil?er Frau Nävia und seiner Tochter Crensa classischen Namens Niemand<lb/>
die germanische Abstammung ansehen, wenn sie nicht auf einem Grabsteine ver¬<lb/>
rathen würde. So wenig ist aus römischer Benennung hier auf italische Abkunft<lb/>
zu schließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_66"> Doch wenn die Bürger der Stadtgemeinden und die aus ihnen sich recrn-<lb/>
tirenden Legionare doch wenigstens äußerlich als Römer sich gebehrdeten, so<lb/>
hörte in einiger Entfernung von den Städten und Standlagern auch das auf.<lb/>
Zwar die kleinen Orte in größerer Nähe oder an den großen Heerstraßen, auf<lb/>
denen die römische Reichspost ihre Stationen schuf, mögen noch ein wesentlich<lb/>
römisches Gepräge getragen haben, wie denn die warmen Quellen von Meldung<lb/>
und Baden bei Wien, das die Römer ^nao nannten, schon vor Trajan<lb/>
von ihnen benutzt worden sind und auch anderwärts, z. B. in Brück an der<lb/>
Leitha, römische Spuren sich finden. Aber die Bewohner des Platten Landes<lb/>
wurden den Städten zu minderem Rechte untergeordnet, entbehrten also zumeist<lb/>
des Bürgerrechts, über sie ergoß sich die römische Cultur nur spärlich, und so<lb/>
kann es nicht Wunder nehmen, wenn sie nur theilweise römische Namen sich<lb/>
wählten, häufig ihre einheimischen beibehielten und anch sonst italische Sitte bei<lb/>
ihnen wenig Eingang fand. Daher nehmen denn auch in dem Striche zwischen<lb/>
Wiener Wald und Leitha die Spuren römischen Lebens, je weiter von der<lb/>
Donaugrenze und ihren Standlagern und Städten entfernt, desto mehr ab; süd¬<lb/>
lich über Wiener Neustadt hinaus fehlen die Inschriften, und der Procentsatz<lb/>
der einheimischen Namen auf ihnen steigt höher an. So wird matt sich diese<lb/>
römischen Standlager und Städte mit ihrer nächsten Umgebung als lateinische<lb/>
Sprachinseln inmitten einer keltischen Bevölkerung vorzustellen haben, welche von<lb/>
römischer Cultur nur oberflächlich berührt wurde, freilich aber auch jedes natio¬<lb/>
nalen Bewußtseins entbehrte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_67" next="#ID_68"> Wenn aber eine italische Colonisation in erheblicher Ausdehnung nicht<lb/>
stattfand, so ist die Wucht, mit welcher römisches Staats- und Heerwesen wie<lb/>
die lebhafte Handelsverbindung mit Italien die Eingebornen zu dem römischen<lb/>
Wesen hiliüberdrängte, nur um so erstaunlicher. Nirgends trat jenes aber auch<lb/>
imposanter auf, als an dieser beständig bedrohten Donaugrenze, deren Geschichte<lb/>
eins's engste verflochten ist mit den gewaltigen Kämpfen gegen die Germanen<lb/>
und den Thronkriegen der späteren Zeit. Zu Carnuntum zog Kaiser Marcus<lb/>
am 1. September 178 ein, um den drohenden Einbruch der Markomannen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0028] manenfürst Septimius Aistomodins mit seinen Brüdern Philippus und Helio- dorus, deren römische Namen andeuten, daß sie das römische Bürgerrecht unter jenem Kaiser gewannen (denn es war Mich, in solchen Fällen den Familien¬ namen des regierenden Kaisers anzunehmen), so ein Narister von jenen, welche M. Aurel in Pannonien ansiedelte; freilich würde diesem Nävius Primigenins mit seil?er Frau Nävia und seiner Tochter Crensa classischen Namens Niemand die germanische Abstammung ansehen, wenn sie nicht auf einem Grabsteine ver¬ rathen würde. So wenig ist aus römischer Benennung hier auf italische Abkunft zu schließen. Doch wenn die Bürger der Stadtgemeinden und die aus ihnen sich recrn- tirenden Legionare doch wenigstens äußerlich als Römer sich gebehrdeten, so hörte in einiger Entfernung von den Städten und Standlagern auch das auf. Zwar die kleinen Orte in größerer Nähe oder an den großen Heerstraßen, auf denen die römische Reichspost ihre Stationen schuf, mögen noch ein wesentlich römisches Gepräge getragen haben, wie denn die warmen Quellen von Meldung und Baden bei Wien, das die Römer ^nao nannten, schon vor Trajan von ihnen benutzt worden sind und auch anderwärts, z. B. in Brück an der Leitha, römische Spuren sich finden. Aber die Bewohner des Platten Landes wurden den Städten zu minderem Rechte untergeordnet, entbehrten also zumeist des Bürgerrechts, über sie ergoß sich die römische Cultur nur spärlich, und so kann es nicht Wunder nehmen, wenn sie nur theilweise römische Namen sich wählten, häufig ihre einheimischen beibehielten und anch sonst italische Sitte bei ihnen wenig Eingang fand. Daher nehmen denn auch in dem Striche zwischen Wiener Wald und Leitha die Spuren römischen Lebens, je weiter von der Donaugrenze und ihren Standlagern und Städten entfernt, desto mehr ab; süd¬ lich über Wiener Neustadt hinaus fehlen die Inschriften, und der Procentsatz der einheimischen Namen auf ihnen steigt höher an. So wird matt sich diese römischen Standlager und Städte mit ihrer nächsten Umgebung als lateinische Sprachinseln inmitten einer keltischen Bevölkerung vorzustellen haben, welche von römischer Cultur nur oberflächlich berührt wurde, freilich aber auch jedes natio¬ nalen Bewußtseins entbehrte. Wenn aber eine italische Colonisation in erheblicher Ausdehnung nicht stattfand, so ist die Wucht, mit welcher römisches Staats- und Heerwesen wie die lebhafte Handelsverbindung mit Italien die Eingebornen zu dem römischen Wesen hiliüberdrängte, nur um so erstaunlicher. Nirgends trat jenes aber auch imposanter auf, als an dieser beständig bedrohten Donaugrenze, deren Geschichte eins's engste verflochten ist mit den gewaltigen Kämpfen gegen die Germanen und den Thronkriegen der späteren Zeit. Zu Carnuntum zog Kaiser Marcus am 1. September 178 ein, um den drohenden Einbruch der Markomannen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/28
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/28>, abgerufen am 03.07.2024.