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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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schaft mit ihren Collegen und Kolleginnen, bewundern die vorgerückteren und fühlen
den heilsamen Sporn der Conmrrenz. Zunächst ist es natürlich die technische
Fertigkeit, die ihnen imponirt, und sie begeben sich daher nun mit aller Energie
ans Neben. Besonders die jungen Töchter Albions und die freien Bürger
Amerikas übertreiben das bald in solcher Weise, daß sie nach wenigen Wochen
krank sind. Das Spielen muß ihnen für längere Zeit gänzlich verboten wer¬
den. Hier fangen bereits die Fehler der innern Organisation der Konservatorien
an, sich bemerklich zu machen. Wäre der Besuch der theoretischen Stunden, der
Ensemblestunden (auch für nicht mitwirkende), der Vorlesungen über Musikge¬
schichte obligatorisch, derart, daß ihre Versäumniß Strafen nach sich zöge,
so würde es schon besser sein, d. h. das übermäßig andauernde Spielen (sechs,
acht, zehn, ja noch mehr Stunden täglich) wäre unmöglich. Noch leichter
freilich würde dieses Ziel zu erreichen sein, wenn die Musikschulen wie andere
Fachschule" sich nicht einzig und allein auf Fachunterricht beschränkten, sondern
diesen nur zum Mittelpunkte des Unterrichtsplanes machten. Davon zum Schlüsse.

Wenn der erste Enthusiasmus verflogen ist -- was gewöhnlich nach einem
halben, längstens uach einem Jahre der Fall ist -- so fängt die Kritik an sich in
den jungen Künstlerseelen zu regen; sie bemerken, daß es mit ihren Leistungen
nicht so schnell vorwärts geht, wie sie wohl möchten und wie sie anfangs träumten.
Sie begreifen, daß es das bloße Neben und das Selbststudium nicht thut, und
fühlen das Bedürfniß, sich mehr an die Lehrer anzuschließen, um vou ihrer Unter¬
weisung zu profitiren -- sie fangen an, die Stunden regelmäßiger zu besuchen.
Da fällt ihnen nun unangenehm auf, was sie früher gar nicht bemerkt hatten,
daß der Lehrer sehr wenig Zeit sür sie hat. Für eine und dieselbe Stunde
sind drei oder noch mehr Schüler bestimmt, aber einer oder zwei absorbiren die
ganze Zeit; die andern müssen zu anderer Zeit (wo sie nach dem Plane nicht
hingehören) wiederbestellt werden, wodurch natürlich die Zahl der Reflectanten
auf diese andere Stunde eine noch höhere wird. So geht der bescheidene,
zaghafte Schüler wiederholt unverrichteter Sache nach Hause. Es ist uns nicht
selten vorgekommen, daß Schüler der oben erwähnten berühmten Anstalt sich
beschwerten, wochenlang die Stunden besucht zu haben, ohne ein einziges Mal
zum Spielen gekommen zusein; wir konnten ihnen nur rathen, sich vorzudrängen
und ihr Recht vom Lehrer zu fordern. Es geht in dieser Beziehung auf Musik¬
schulen gerade so wie es wohl auch auf anderen Schulen geht, daß nämlich die
Lehrer sich der vorgerückteren und befähigteren Schüler besonders annehmen
und die minder begabten vernachlässigen. Wenn das auch, hier wie dort, sehr
begreiflich und nirgend zu billigen ist, so ist doch der Vorwurf, der hier den
Lehrer trifft, ein viel schwererer als dort. Zweifellos macht es den Lehrer viel
Mehr Mühe, einen schwer begreifenden Schüler vorwärts zu bringen; bequemer


schaft mit ihren Collegen und Kolleginnen, bewundern die vorgerückteren und fühlen
den heilsamen Sporn der Conmrrenz. Zunächst ist es natürlich die technische
Fertigkeit, die ihnen imponirt, und sie begeben sich daher nun mit aller Energie
ans Neben. Besonders die jungen Töchter Albions und die freien Bürger
Amerikas übertreiben das bald in solcher Weise, daß sie nach wenigen Wochen
krank sind. Das Spielen muß ihnen für längere Zeit gänzlich verboten wer¬
den. Hier fangen bereits die Fehler der innern Organisation der Konservatorien
an, sich bemerklich zu machen. Wäre der Besuch der theoretischen Stunden, der
Ensemblestunden (auch für nicht mitwirkende), der Vorlesungen über Musikge¬
schichte obligatorisch, derart, daß ihre Versäumniß Strafen nach sich zöge,
so würde es schon besser sein, d. h. das übermäßig andauernde Spielen (sechs,
acht, zehn, ja noch mehr Stunden täglich) wäre unmöglich. Noch leichter
freilich würde dieses Ziel zu erreichen sein, wenn die Musikschulen wie andere
Fachschule» sich nicht einzig und allein auf Fachunterricht beschränkten, sondern
diesen nur zum Mittelpunkte des Unterrichtsplanes machten. Davon zum Schlüsse.

Wenn der erste Enthusiasmus verflogen ist — was gewöhnlich nach einem
halben, längstens uach einem Jahre der Fall ist — so fängt die Kritik an sich in
den jungen Künstlerseelen zu regen; sie bemerken, daß es mit ihren Leistungen
nicht so schnell vorwärts geht, wie sie wohl möchten und wie sie anfangs träumten.
Sie begreifen, daß es das bloße Neben und das Selbststudium nicht thut, und
fühlen das Bedürfniß, sich mehr an die Lehrer anzuschließen, um vou ihrer Unter¬
weisung zu profitiren — sie fangen an, die Stunden regelmäßiger zu besuchen.
Da fällt ihnen nun unangenehm auf, was sie früher gar nicht bemerkt hatten,
daß der Lehrer sehr wenig Zeit sür sie hat. Für eine und dieselbe Stunde
sind drei oder noch mehr Schüler bestimmt, aber einer oder zwei absorbiren die
ganze Zeit; die andern müssen zu anderer Zeit (wo sie nach dem Plane nicht
hingehören) wiederbestellt werden, wodurch natürlich die Zahl der Reflectanten
auf diese andere Stunde eine noch höhere wird. So geht der bescheidene,
zaghafte Schüler wiederholt unverrichteter Sache nach Hause. Es ist uns nicht
selten vorgekommen, daß Schüler der oben erwähnten berühmten Anstalt sich
beschwerten, wochenlang die Stunden besucht zu haben, ohne ein einziges Mal
zum Spielen gekommen zusein; wir konnten ihnen nur rathen, sich vorzudrängen
und ihr Recht vom Lehrer zu fordern. Es geht in dieser Beziehung auf Musik¬
schulen gerade so wie es wohl auch auf anderen Schulen geht, daß nämlich die
Lehrer sich der vorgerückteren und befähigteren Schüler besonders annehmen
und die minder begabten vernachlässigen. Wenn das auch, hier wie dort, sehr
begreiflich und nirgend zu billigen ist, so ist doch der Vorwurf, der hier den
Lehrer trifft, ein viel schwererer als dort. Zweifellos macht es den Lehrer viel
Mehr Mühe, einen schwer begreifenden Schüler vorwärts zu bringen; bequemer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/219>, abgerufen am 03.07.2024.