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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Bundes für völlig ausreichend, wenn die Rechte, die sie den Einzelstaaten ver¬
leiht, wie bisher, mit Mäßigung ausgeübt werden. Wenn die Maschinerie zu¬
weilen unregelmäßig arbeitete oder stocken wollte, so war der Grund davon
theils in der Geschäftsordnung des Bundesrathes zu suchen, theils in'dem un¬
zureichenden Werthe, den manche Regierungen ans die Ausübung ihres Stimm¬
rechts legten. Nach der bisherigen Praxis legte man zu viel Gewicht auf die
Ausschüsse, zu wenig auf die Plenarverhandlungen; jene beriethen sehr lange,
die Sitzungen des Plenums dagegen wurden beinahe lediglich zu Abstimmungen
verwendet, nachdem die Ausschüsse bis zur Fragestellung über Ja und Nein
gediehen waren. Wenn dann die im betreffenden Ausschusse nicht vertretenen
oder dort in der Minorität gebliebenen Regierungen im Plenum ihre berechtigte
Meinung zur Geltung bringen wollten, so war das ohne Verschleppung durch
Jnstructionseinholung oder Zurückverweisung an den Ausschuß nicht möglich,
eine rechtzeitige Verständigung also nicht herbeizuführen. In den Ausschüssen
liegt das Stimmenverhältniß anders als im Plenum. Wenn die Ausschu߬
majoritäten ihre Abstimmung festlegen, so werden dadurch die unvertretenen
Regierungen captivirt. Wenn dagegen die Vorverhandlungen und die Discussion
der Gegenstände aus den Ausschüssen ins Plenum verlegt würden, so könnte
jede Ansicht zu rechter Zeit zur Geltung kommen.

Wir müssen noch einmal sagen, was wir zu Anfange bemerkt haben: Es hat
sich bei der häufigen Abwesenheit des Kanzlers unter einem Theile der preußischen
Beamten ein Zustand herausgebildet, der an vollständige Disciplinlosigkeit grenzt,
und wenn es wahr ist, daß der Fürst sich geäußert, daß es ihm ohne sofortige
Stellung der Cabinetsfrage fast niemals gelinge, seiner berechtigten Autorität
Gehör und Beachtung zu verschaffen, so ist aus diesem Gebiete Remedur gewiß
ganz unentbehrlich, wenn nicht das Ansehen des Bundesrathes und des Prä¬
sidiums in demselben unwiederbringlichen Schaden erleiden soll. Der Bundes¬
rath kann keine freie Versammlung werden, die jeder Ministerialbeamte ohne
Vollmacht betreten kann, um dort nach seinem Ermessen und Belieben seine
Persönliche Meinung über die oder jene Frage vorzutragen und geltend zu machen.

Wenn die königliche Ordre den Conflict der Pflichten betont, in welchen
der Reichskanzler durch die Reichsverfassung gerathen kann, so wird diese
Schwierigkeit doch kaum durch Aenderung der letzteren in einer allen Betheiligten
annehmbaren Weise zu lösen sein, sondern nur durch staatsmännisch vorsichtige
Ausübung der einem Jeden durch die Verfassung zugetheilten Rechte. Es ist in
dieser nicht gesagt, daß der Kanzler befugt sei, zur Ausführung eines Beschlusses
des Bundesrathes seine Mitwirkung zu versagen. Wird aber angenommen,
daß er zur Ausführung oder amtlichen Vollziehung und somit auch zu dem-
nächstiger Vertretung jedes derartigen Beschlusses verpflichtet sei, also auch eines


Bundes für völlig ausreichend, wenn die Rechte, die sie den Einzelstaaten ver¬
leiht, wie bisher, mit Mäßigung ausgeübt werden. Wenn die Maschinerie zu¬
weilen unregelmäßig arbeitete oder stocken wollte, so war der Grund davon
theils in der Geschäftsordnung des Bundesrathes zu suchen, theils in'dem un¬
zureichenden Werthe, den manche Regierungen ans die Ausübung ihres Stimm¬
rechts legten. Nach der bisherigen Praxis legte man zu viel Gewicht auf die
Ausschüsse, zu wenig auf die Plenarverhandlungen; jene beriethen sehr lange,
die Sitzungen des Plenums dagegen wurden beinahe lediglich zu Abstimmungen
verwendet, nachdem die Ausschüsse bis zur Fragestellung über Ja und Nein
gediehen waren. Wenn dann die im betreffenden Ausschusse nicht vertretenen
oder dort in der Minorität gebliebenen Regierungen im Plenum ihre berechtigte
Meinung zur Geltung bringen wollten, so war das ohne Verschleppung durch
Jnstructionseinholung oder Zurückverweisung an den Ausschuß nicht möglich,
eine rechtzeitige Verständigung also nicht herbeizuführen. In den Ausschüssen
liegt das Stimmenverhältniß anders als im Plenum. Wenn die Ausschu߬
majoritäten ihre Abstimmung festlegen, so werden dadurch die unvertretenen
Regierungen captivirt. Wenn dagegen die Vorverhandlungen und die Discussion
der Gegenstände aus den Ausschüssen ins Plenum verlegt würden, so könnte
jede Ansicht zu rechter Zeit zur Geltung kommen.

Wir müssen noch einmal sagen, was wir zu Anfange bemerkt haben: Es hat
sich bei der häufigen Abwesenheit des Kanzlers unter einem Theile der preußischen
Beamten ein Zustand herausgebildet, der an vollständige Disciplinlosigkeit grenzt,
und wenn es wahr ist, daß der Fürst sich geäußert, daß es ihm ohne sofortige
Stellung der Cabinetsfrage fast niemals gelinge, seiner berechtigten Autorität
Gehör und Beachtung zu verschaffen, so ist aus diesem Gebiete Remedur gewiß
ganz unentbehrlich, wenn nicht das Ansehen des Bundesrathes und des Prä¬
sidiums in demselben unwiederbringlichen Schaden erleiden soll. Der Bundes¬
rath kann keine freie Versammlung werden, die jeder Ministerialbeamte ohne
Vollmacht betreten kann, um dort nach seinem Ermessen und Belieben seine
Persönliche Meinung über die oder jene Frage vorzutragen und geltend zu machen.

Wenn die königliche Ordre den Conflict der Pflichten betont, in welchen
der Reichskanzler durch die Reichsverfassung gerathen kann, so wird diese
Schwierigkeit doch kaum durch Aenderung der letzteren in einer allen Betheiligten
annehmbaren Weise zu lösen sein, sondern nur durch staatsmännisch vorsichtige
Ausübung der einem Jeden durch die Verfassung zugetheilten Rechte. Es ist in
dieser nicht gesagt, daß der Kanzler befugt sei, zur Ausführung eines Beschlusses
des Bundesrathes seine Mitwirkung zu versagen. Wird aber angenommen,
daß er zur Ausführung oder amtlichen Vollziehung und somit auch zu dem-
nächstiger Vertretung jedes derartigen Beschlusses verpflichtet sei, also auch eines


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[0129] Bundes für völlig ausreichend, wenn die Rechte, die sie den Einzelstaaten ver¬ leiht, wie bisher, mit Mäßigung ausgeübt werden. Wenn die Maschinerie zu¬ weilen unregelmäßig arbeitete oder stocken wollte, so war der Grund davon theils in der Geschäftsordnung des Bundesrathes zu suchen, theils in'dem un¬ zureichenden Werthe, den manche Regierungen ans die Ausübung ihres Stimm¬ rechts legten. Nach der bisherigen Praxis legte man zu viel Gewicht auf die Ausschüsse, zu wenig auf die Plenarverhandlungen; jene beriethen sehr lange, die Sitzungen des Plenums dagegen wurden beinahe lediglich zu Abstimmungen verwendet, nachdem die Ausschüsse bis zur Fragestellung über Ja und Nein gediehen waren. Wenn dann die im betreffenden Ausschusse nicht vertretenen oder dort in der Minorität gebliebenen Regierungen im Plenum ihre berechtigte Meinung zur Geltung bringen wollten, so war das ohne Verschleppung durch Jnstructionseinholung oder Zurückverweisung an den Ausschuß nicht möglich, eine rechtzeitige Verständigung also nicht herbeizuführen. In den Ausschüssen liegt das Stimmenverhältniß anders als im Plenum. Wenn die Ausschu߬ majoritäten ihre Abstimmung festlegen, so werden dadurch die unvertretenen Regierungen captivirt. Wenn dagegen die Vorverhandlungen und die Discussion der Gegenstände aus den Ausschüssen ins Plenum verlegt würden, so könnte jede Ansicht zu rechter Zeit zur Geltung kommen. Wir müssen noch einmal sagen, was wir zu Anfange bemerkt haben: Es hat sich bei der häufigen Abwesenheit des Kanzlers unter einem Theile der preußischen Beamten ein Zustand herausgebildet, der an vollständige Disciplinlosigkeit grenzt, und wenn es wahr ist, daß der Fürst sich geäußert, daß es ihm ohne sofortige Stellung der Cabinetsfrage fast niemals gelinge, seiner berechtigten Autorität Gehör und Beachtung zu verschaffen, so ist aus diesem Gebiete Remedur gewiß ganz unentbehrlich, wenn nicht das Ansehen des Bundesrathes und des Prä¬ sidiums in demselben unwiederbringlichen Schaden erleiden soll. Der Bundes¬ rath kann keine freie Versammlung werden, die jeder Ministerialbeamte ohne Vollmacht betreten kann, um dort nach seinem Ermessen und Belieben seine Persönliche Meinung über die oder jene Frage vorzutragen und geltend zu machen. Wenn die königliche Ordre den Conflict der Pflichten betont, in welchen der Reichskanzler durch die Reichsverfassung gerathen kann, so wird diese Schwierigkeit doch kaum durch Aenderung der letzteren in einer allen Betheiligten annehmbaren Weise zu lösen sein, sondern nur durch staatsmännisch vorsichtige Ausübung der einem Jeden durch die Verfassung zugetheilten Rechte. Es ist in dieser nicht gesagt, daß der Kanzler befugt sei, zur Ausführung eines Beschlusses des Bundesrathes seine Mitwirkung zu versagen. Wird aber angenommen, daß er zur Ausführung oder amtlichen Vollziehung und somit auch zu dem- nächstiger Vertretung jedes derartigen Beschlusses verpflichtet sei, also auch eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/129>, abgerufen am 22.07.2024.