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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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daß sogar bei verminderter Production doch die Wirkungen der Ueberproduction
sich geltend machen. Trotzdem schwebt die Gefahr der Ueberproduction über
jeder energischen Schutzzollpolitik, denn bei einer solchen wird die ohnedies nicht
leichte Aufgabe, die Grenze zu merken, wo die Production in Ueberproduction
umschlägt, wo die gesunde ungesund und unproductiv wird, noch erschwert.
Wenn aber auch diese Gefahr vorliegt, so braucht man deshalb doch nicht auch
auf die Vortheile zu verzichten, welche zugleich damit verbunden sind. Oder
sollen wir etwa die Eisenbahnen abschaffen und uns wieder in die Postkutschen
setzen, weil in letztern die Gefahren für Leib Und Leben geringer waren? Je
weniger man die Schutzzölle als Panaceen preist und je klarer man sich auch
ihrer Schattenseiten bewußt ist, desto wirkungsvoller und heilsamer wird man
sich ihrer bedienen können. Wie gewöhnlich, liegt auch hier die Wahrheit in
der Mitte.

"Die Ausgleichszölle Passen überallhin", sagte ihrer Zeit die Kölnische Zei¬
tung, "wo durch solche Zölle die Erzeugnisse fremder Arbeit von unserm heimischen
Markte verdrängt und durch Erzeugnisse nationaler Arbeit ersetzt werden können.
Der radikale Unterschied beider Standpunkte besteht darin, daß nach der Auf¬
fassung von Adam Smith und aller auch noch so gemäßigten Freihändler der
nationale Wohlstand durch die Benutzung der ,internationalen Arbeitstheilung'
gewinnt, während nach der Anweisung der Schutzzöllner, auch Lifts, der natio¬
nale Wohlstand im Gegentheil dadurch gewinnt, daß eine Nation möglichst
Alles selbst producirt, selbst mit Mehrkosten. Das sind diametral entgegenge¬
setzte Standpunkte, zwischen welchen es eine Vermittlung nicht giebt." Hier
haben wir die Anerkennung der getadelten Extreme in ihrer ganzen Schroffheit
nach rechts und links, von einem der ersten publieistischen Organe. Doch ist
nur der manchesterliche Standpunkt correct wiedergegeben, nicht der sogenannte
schutzzöllnerische, deu wir den "national-freihändlerischen" nennen.

Der nationale Freihandel will nicht womöglich Alles -- denn mit Mehr¬
kosten ist eben Alles absolut möglich -- selbst produciren, sondern nur dasjenige,
was der wirthschaftlichen Stufe und den Productionsbedingungen des Landes
entsprechend und natürlich ist, und was sich in der Folge ohne Schutz mit
Sicherheit wird behaupten können. Hat uns denn die Zollpolitik des
Zollvereins nicht etwa erst jene Industrien geschaffen, welche wir heute besitzen,
würde sie uns nicht auch die Baumwollspinnerei geschaffen haben, wenn
nicht der blinde Freiheitswahn die Entwicklung dieser Branche gehindert Hütte?
Sind nicht im Laufe der 40 Jahre von 1838 an die Zölle ganz erheblich ge¬
mindert, ja größtentheils aufgehoben worden? Wenn wir von vornherein eine
ronseguente und keine schwankende Handelspolitik befolgt hätten, würden diese


daß sogar bei verminderter Production doch die Wirkungen der Ueberproduction
sich geltend machen. Trotzdem schwebt die Gefahr der Ueberproduction über
jeder energischen Schutzzollpolitik, denn bei einer solchen wird die ohnedies nicht
leichte Aufgabe, die Grenze zu merken, wo die Production in Ueberproduction
umschlägt, wo die gesunde ungesund und unproductiv wird, noch erschwert.
Wenn aber auch diese Gefahr vorliegt, so braucht man deshalb doch nicht auch
auf die Vortheile zu verzichten, welche zugleich damit verbunden sind. Oder
sollen wir etwa die Eisenbahnen abschaffen und uns wieder in die Postkutschen
setzen, weil in letztern die Gefahren für Leib Und Leben geringer waren? Je
weniger man die Schutzzölle als Panaceen preist und je klarer man sich auch
ihrer Schattenseiten bewußt ist, desto wirkungsvoller und heilsamer wird man
sich ihrer bedienen können. Wie gewöhnlich, liegt auch hier die Wahrheit in
der Mitte.

„Die Ausgleichszölle Passen überallhin", sagte ihrer Zeit die Kölnische Zei¬
tung, „wo durch solche Zölle die Erzeugnisse fremder Arbeit von unserm heimischen
Markte verdrängt und durch Erzeugnisse nationaler Arbeit ersetzt werden können.
Der radikale Unterschied beider Standpunkte besteht darin, daß nach der Auf¬
fassung von Adam Smith und aller auch noch so gemäßigten Freihändler der
nationale Wohlstand durch die Benutzung der ,internationalen Arbeitstheilung'
gewinnt, während nach der Anweisung der Schutzzöllner, auch Lifts, der natio¬
nale Wohlstand im Gegentheil dadurch gewinnt, daß eine Nation möglichst
Alles selbst producirt, selbst mit Mehrkosten. Das sind diametral entgegenge¬
setzte Standpunkte, zwischen welchen es eine Vermittlung nicht giebt." Hier
haben wir die Anerkennung der getadelten Extreme in ihrer ganzen Schroffheit
nach rechts und links, von einem der ersten publieistischen Organe. Doch ist
nur der manchesterliche Standpunkt correct wiedergegeben, nicht der sogenannte
schutzzöllnerische, deu wir den „national-freihändlerischen" nennen.

Der nationale Freihandel will nicht womöglich Alles — denn mit Mehr¬
kosten ist eben Alles absolut möglich — selbst produciren, sondern nur dasjenige,
was der wirthschaftlichen Stufe und den Productionsbedingungen des Landes
entsprechend und natürlich ist, und was sich in der Folge ohne Schutz mit
Sicherheit wird behaupten können. Hat uns denn die Zollpolitik des
Zollvereins nicht etwa erst jene Industrien geschaffen, welche wir heute besitzen,
würde sie uns nicht auch die Baumwollspinnerei geschaffen haben, wenn
nicht der blinde Freiheitswahn die Entwicklung dieser Branche gehindert Hütte?
Sind nicht im Laufe der 40 Jahre von 1838 an die Zölle ganz erheblich ge¬
mindert, ja größtentheils aufgehoben worden? Wenn wir von vornherein eine
ronseguente und keine schwankende Handelspolitik befolgt hätten, würden diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/103>, abgerufen am 22.07.2024.