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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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weniger leicht zu nehmen. Der Hinblick auf das Haus am Dönhofsplatze
läßt ziemlich kühl und gelassen, auf der Wilhelmsstraße aber sah es in der
verflossenen Woche wieder einmal bedenklich aus. Es ist jetzt im Auswärtigen
Amte recht still geworden. Der Reichskanzler ist vor einigen Tagen wieder
abgereist und zwar nicht nach dem verhältnißmäßig nahe gelegenen Friedrichs¬
ruhe, sondern nach Varzin im fernen Hinterpommern, und er hat unseres
Wissens keinen Beamten mitgenommen. Die Geschäfte folgen ihm also diesmal
nicht in seinen Urlaub nach. Sein Gesundheitszustand ist gegenwärtig kein
befriedigender. Kissingen hatte ihm wohlgethan, aber Ueberbürdung mit hoch¬
wichtigen Arbeiten in Gastein und, wie unser Gewährsmann sich ausdrückte,
"Friktionen, die sich nur leise andeuten lassen, und die noch fortdauern", ließen
die dortige Kur nicht gelingen. Desgleichen wird der Staatssekretär v. Bülow,
der vor kurzem wegen dauernden Unwohlseins Urlaub nahm, seine Thätig¬
keit dem Vernehmen nach nicht so bald und möglicherweise überhaupt nicht
wieder aufnehmen. Die Krankheit, an welcher er leidet, ist aller Wahrscheinlich¬
keit zufolge ein Nervenübel, welches, dnrch Ueberanstrengung im Dienste und
gewisse damit verbundene Friktionen herbeigeführt, kurz nach der Zeit, wo er
beim Kaiser unmittelbar vor dessen Abreise nach Alexandrowo zum letzten Male
Vortrag gehalten, so bedenklich auftrat, daß er seine Arbeiten im Auswärtigen
Amte, wohin er sich von seiner Sommerfrische in Potsdam täglich zu begeben
gepflegt, einzustellen und um einen längeren Urlaub nachzusuchen genöthigt
war, den er, wenn sein Zustand dies erlaubt, zu einer Erholungsreise nach
Italien verwenden wird. Er wird während dieser Zeit durch einen der Ge¬
sandten, vielleicht v. Alvensleben, vielleicht v. Styrum oder auch v. Schlözer,
vertrete" werden, aber schwer zu ersetzen sein. Das von Berliner Blättern
verbreitete Gerücht, daß in der letzten Zeit Meinungsverschiedenheiten zwischen
ihm und dem Kanzler hervorgetreten seien, und daß letzterer mit ihm unzu¬
frieden sei, weil er auf gewisse Versicherungen der russischen Diplomatie
zuviel gegeben und deren Nichtübereinstimmung mit den Thatsachen übersehen,
ist eine auf absoluter Nichtkenntniß der hohen Befähigung des Staatssekretärs
beruhende oder in perfider Absicht erdachte Erfindung. Er hat, wie in andern
Fragen, auch hier durchweg das Nichtige erkannt und vertreten, der Reichs¬
kanzler weiß, was er an ihm hat, und jene Friktionen fanden -- an anderer
Stelle statt. Wenn es dafür noch des Beweises bedürfte, so lag er in dem
Besuche, den der Fürst mit seiner Gemahlin am Nachmittag des 6, Oktober seinem
erkrankten Kollegen, den er schon in Frankfurt, als beide noch Bundestags¬
gesandte waren, schätzen gelernt, und von dessen Tüchtigkeit er sich in der Zeit,
wo v. Bülow die Interessen Mecklenburgs im Bundesrathe vertrat, aufs neue
überzeugt hatte, in Potsdam abstattete.


weniger leicht zu nehmen. Der Hinblick auf das Haus am Dönhofsplatze
läßt ziemlich kühl und gelassen, auf der Wilhelmsstraße aber sah es in der
verflossenen Woche wieder einmal bedenklich aus. Es ist jetzt im Auswärtigen
Amte recht still geworden. Der Reichskanzler ist vor einigen Tagen wieder
abgereist und zwar nicht nach dem verhältnißmäßig nahe gelegenen Friedrichs¬
ruhe, sondern nach Varzin im fernen Hinterpommern, und er hat unseres
Wissens keinen Beamten mitgenommen. Die Geschäfte folgen ihm also diesmal
nicht in seinen Urlaub nach. Sein Gesundheitszustand ist gegenwärtig kein
befriedigender. Kissingen hatte ihm wohlgethan, aber Ueberbürdung mit hoch¬
wichtigen Arbeiten in Gastein und, wie unser Gewährsmann sich ausdrückte,
„Friktionen, die sich nur leise andeuten lassen, und die noch fortdauern", ließen
die dortige Kur nicht gelingen. Desgleichen wird der Staatssekretär v. Bülow,
der vor kurzem wegen dauernden Unwohlseins Urlaub nahm, seine Thätig¬
keit dem Vernehmen nach nicht so bald und möglicherweise überhaupt nicht
wieder aufnehmen. Die Krankheit, an welcher er leidet, ist aller Wahrscheinlich¬
keit zufolge ein Nervenübel, welches, dnrch Ueberanstrengung im Dienste und
gewisse damit verbundene Friktionen herbeigeführt, kurz nach der Zeit, wo er
beim Kaiser unmittelbar vor dessen Abreise nach Alexandrowo zum letzten Male
Vortrag gehalten, so bedenklich auftrat, daß er seine Arbeiten im Auswärtigen
Amte, wohin er sich von seiner Sommerfrische in Potsdam täglich zu begeben
gepflegt, einzustellen und um einen längeren Urlaub nachzusuchen genöthigt
war, den er, wenn sein Zustand dies erlaubt, zu einer Erholungsreise nach
Italien verwenden wird. Er wird während dieser Zeit durch einen der Ge¬
sandten, vielleicht v. Alvensleben, vielleicht v. Styrum oder auch v. Schlözer,
vertrete« werden, aber schwer zu ersetzen sein. Das von Berliner Blättern
verbreitete Gerücht, daß in der letzten Zeit Meinungsverschiedenheiten zwischen
ihm und dem Kanzler hervorgetreten seien, und daß letzterer mit ihm unzu¬
frieden sei, weil er auf gewisse Versicherungen der russischen Diplomatie
zuviel gegeben und deren Nichtübereinstimmung mit den Thatsachen übersehen,
ist eine auf absoluter Nichtkenntniß der hohen Befähigung des Staatssekretärs
beruhende oder in perfider Absicht erdachte Erfindung. Er hat, wie in andern
Fragen, auch hier durchweg das Nichtige erkannt und vertreten, der Reichs¬
kanzler weiß, was er an ihm hat, und jene Friktionen fanden — an anderer
Stelle statt. Wenn es dafür noch des Beweises bedürfte, so lag er in dem
Besuche, den der Fürst mit seiner Gemahlin am Nachmittag des 6, Oktober seinem
erkrankten Kollegen, den er schon in Frankfurt, als beide noch Bundestags¬
gesandte waren, schätzen gelernt, und von dessen Tüchtigkeit er sich in der Zeit,
wo v. Bülow die Interessen Mecklenburgs im Bundesrathe vertrat, aufs neue
überzeugt hatte, in Potsdam abstattete.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/94>, abgerufen am 03.07.2024.