Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Küste bis in die Gegend, die der seit etwa anderthalb Jahrzehnten zu Griechen¬
land gehörigen Insel Korfu gegenüberliegt. Im Innern überwiegt das alba-
nesische Element bei weitem. Jedenfalls stoßen Griechen und Albanesen in
Epiric aufeinander, und je weiter nördlich, desto mehr. Ganz anders liegen
die Dinge im Nordosten. Hier zieht sich das Hellenenthum, im ethnographischen
Sinne gesprochen, in ununterbrochner Zone durch den größten Theil Thassaliens,
über die Ausläufer des Olymps durch ganz Südwest-Mazedonien über Salonik
mit Einschluß der chalkidischen Halbinsel mit den Klöstern des Athos hin; es
säumt ferner die thrakischen Küsten und verläuft endlich in der Richtung auf
Konstantinopel, zu dessen Einwohnerschaft die Griechen nächst den Türken das
stärkste Kontingent stellen. In dieser Richtung ist also eine Gebietsvergrößerung
für Griechenland um so passender und billiger, als die neuen Grenzsteine in
griechischer Erde stehen und keine Albanesen von Albanien abschneiden würden.
Die jüngsten Ereignisse ferner haben gezeigt, daß die hellenische Bevölkerung
Mazedoniens und Ostrumeliens, namentlich die im letztgenannten Landstriche,
durch die Bestrebungen der Bulgaren und die nationale Unduldsamkeit der
Slaven überhaupt viel ärgeren Beeinträchtigungen und Mißhandlungen aus¬
gesetzt ist als je zuvor unter unmittelbar türkischem Regiments.

So klug sür die Pforte eine Anlehnung an das griechische Element sein
würde, nicht weniger klug und verständig würde ein billiges Verfahren der
Hellenen des Königreiches gegenüber derjenigen Nachbarmacht sein, die noch
immer über eine sehr große Anzahl von Griechen herrscht und aller Wahrschein¬
lichkeit nach uoch manches Jahrzehnt herrschen wird; denn auch der ganze
Westrand Anatoliens ist vorwiegend von Griechen bewohnt, und sogar im
Innern dieser mächtigen Halbinsel gibt es Städte, deren Einwohner hellenischen
Stammes sind, wenn sie auch meist die türkische Sprache angenommen haben.
Wenn also auf beiden Seiten der Stimme der Vernunft endlich Gehör gegeben
wird, so wird Folgendes ungefähr als das Richtige erkannt werden: zunächst
im allgemeinen Verständigung des Kabinets von Athen mit der Pforte zur
Klarstellung des zukünftigen Verhältnisses zwischen dieser und der griechischen
Rajcch, Vermeidung eines jeden drohenden oder gar feindseligen Auftretens der
Griechen des Königreiches gegenüber den Albanesen, die mehr als einmal, z. B.
unter Ali Pascha von Janina, Bundesgenossen und Mitkämpfer der Hellenen
waren und bei dem drohenden Ueberwiegen und Umsichgreifen des Slaven-
thums auf der Balkanhalbinsel, wenn sie wohl berathen sind, sich in Zukunft
wieder an deren Seite stellen müssen, drittens endlich Gewährung einer möglichst
großen Erweiterung der griechischen Grenze auf der thessalischen und Sichbe¬
gnügen mit einer kleinen Abtretung von Gebiet auf der epirotischen Seite.
Die hellenischen Kommissäre müssen, wenn die Verhandlungen bald zu gedeih-


Küste bis in die Gegend, die der seit etwa anderthalb Jahrzehnten zu Griechen¬
land gehörigen Insel Korfu gegenüberliegt. Im Innern überwiegt das alba-
nesische Element bei weitem. Jedenfalls stoßen Griechen und Albanesen in
Epiric aufeinander, und je weiter nördlich, desto mehr. Ganz anders liegen
die Dinge im Nordosten. Hier zieht sich das Hellenenthum, im ethnographischen
Sinne gesprochen, in ununterbrochner Zone durch den größten Theil Thassaliens,
über die Ausläufer des Olymps durch ganz Südwest-Mazedonien über Salonik
mit Einschluß der chalkidischen Halbinsel mit den Klöstern des Athos hin; es
säumt ferner die thrakischen Küsten und verläuft endlich in der Richtung auf
Konstantinopel, zu dessen Einwohnerschaft die Griechen nächst den Türken das
stärkste Kontingent stellen. In dieser Richtung ist also eine Gebietsvergrößerung
für Griechenland um so passender und billiger, als die neuen Grenzsteine in
griechischer Erde stehen und keine Albanesen von Albanien abschneiden würden.
Die jüngsten Ereignisse ferner haben gezeigt, daß die hellenische Bevölkerung
Mazedoniens und Ostrumeliens, namentlich die im letztgenannten Landstriche,
durch die Bestrebungen der Bulgaren und die nationale Unduldsamkeit der
Slaven überhaupt viel ärgeren Beeinträchtigungen und Mißhandlungen aus¬
gesetzt ist als je zuvor unter unmittelbar türkischem Regiments.

So klug sür die Pforte eine Anlehnung an das griechische Element sein
würde, nicht weniger klug und verständig würde ein billiges Verfahren der
Hellenen des Königreiches gegenüber derjenigen Nachbarmacht sein, die noch
immer über eine sehr große Anzahl von Griechen herrscht und aller Wahrschein¬
lichkeit nach uoch manches Jahrzehnt herrschen wird; denn auch der ganze
Westrand Anatoliens ist vorwiegend von Griechen bewohnt, und sogar im
Innern dieser mächtigen Halbinsel gibt es Städte, deren Einwohner hellenischen
Stammes sind, wenn sie auch meist die türkische Sprache angenommen haben.
Wenn also auf beiden Seiten der Stimme der Vernunft endlich Gehör gegeben
wird, so wird Folgendes ungefähr als das Richtige erkannt werden: zunächst
im allgemeinen Verständigung des Kabinets von Athen mit der Pforte zur
Klarstellung des zukünftigen Verhältnisses zwischen dieser und der griechischen
Rajcch, Vermeidung eines jeden drohenden oder gar feindseligen Auftretens der
Griechen des Königreiches gegenüber den Albanesen, die mehr als einmal, z. B.
unter Ali Pascha von Janina, Bundesgenossen und Mitkämpfer der Hellenen
waren und bei dem drohenden Ueberwiegen und Umsichgreifen des Slaven-
thums auf der Balkanhalbinsel, wenn sie wohl berathen sind, sich in Zukunft
wieder an deren Seite stellen müssen, drittens endlich Gewährung einer möglichst
großen Erweiterung der griechischen Grenze auf der thessalischen und Sichbe¬
gnügen mit einer kleinen Abtretung von Gebiet auf der epirotischen Seite.
Die hellenischen Kommissäre müssen, wenn die Verhandlungen bald zu gedeih-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143142"/>
          <p xml:id="ID_292" prev="#ID_291"> Küste bis in die Gegend, die der seit etwa anderthalb Jahrzehnten zu Griechen¬<lb/>
land gehörigen Insel Korfu gegenüberliegt. Im Innern überwiegt das alba-<lb/>
nesische Element bei weitem. Jedenfalls stoßen Griechen und Albanesen in<lb/>
Epiric aufeinander, und je weiter nördlich, desto mehr. Ganz anders liegen<lb/>
die Dinge im Nordosten. Hier zieht sich das Hellenenthum, im ethnographischen<lb/>
Sinne gesprochen, in ununterbrochner Zone durch den größten Theil Thassaliens,<lb/>
über die Ausläufer des Olymps durch ganz Südwest-Mazedonien über Salonik<lb/>
mit Einschluß der chalkidischen Halbinsel mit den Klöstern des Athos hin; es<lb/>
säumt ferner die thrakischen Küsten und verläuft endlich in der Richtung auf<lb/>
Konstantinopel, zu dessen Einwohnerschaft die Griechen nächst den Türken das<lb/>
stärkste Kontingent stellen. In dieser Richtung ist also eine Gebietsvergrößerung<lb/>
für Griechenland um so passender und billiger, als die neuen Grenzsteine in<lb/>
griechischer Erde stehen und keine Albanesen von Albanien abschneiden würden.<lb/>
Die jüngsten Ereignisse ferner haben gezeigt, daß die hellenische Bevölkerung<lb/>
Mazedoniens und Ostrumeliens, namentlich die im letztgenannten Landstriche,<lb/>
durch die Bestrebungen der Bulgaren und die nationale Unduldsamkeit der<lb/>
Slaven überhaupt viel ärgeren Beeinträchtigungen und Mißhandlungen aus¬<lb/>
gesetzt ist als je zuvor unter unmittelbar türkischem Regiments.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_293" next="#ID_294"> So klug sür die Pforte eine Anlehnung an das griechische Element sein<lb/>
würde, nicht weniger klug und verständig würde ein billiges Verfahren der<lb/>
Hellenen des Königreiches gegenüber derjenigen Nachbarmacht sein, die noch<lb/>
immer über eine sehr große Anzahl von Griechen herrscht und aller Wahrschein¬<lb/>
lichkeit nach uoch manches Jahrzehnt herrschen wird; denn auch der ganze<lb/>
Westrand Anatoliens ist vorwiegend von Griechen bewohnt, und sogar im<lb/>
Innern dieser mächtigen Halbinsel gibt es Städte, deren Einwohner hellenischen<lb/>
Stammes sind, wenn sie auch meist die türkische Sprache angenommen haben.<lb/>
Wenn also auf beiden Seiten der Stimme der Vernunft endlich Gehör gegeben<lb/>
wird, so wird Folgendes ungefähr als das Richtige erkannt werden: zunächst<lb/>
im allgemeinen Verständigung des Kabinets von Athen mit der Pforte zur<lb/>
Klarstellung des zukünftigen Verhältnisses zwischen dieser und der griechischen<lb/>
Rajcch, Vermeidung eines jeden drohenden oder gar feindseligen Auftretens der<lb/>
Griechen des Königreiches gegenüber den Albanesen, die mehr als einmal, z. B.<lb/>
unter Ali Pascha von Janina, Bundesgenossen und Mitkämpfer der Hellenen<lb/>
waren und bei dem drohenden Ueberwiegen und Umsichgreifen des Slaven-<lb/>
thums auf der Balkanhalbinsel, wenn sie wohl berathen sind, sich in Zukunft<lb/>
wieder an deren Seite stellen müssen, drittens endlich Gewährung einer möglichst<lb/>
großen Erweiterung der griechischen Grenze auf der thessalischen und Sichbe¬<lb/>
gnügen mit einer kleinen Abtretung von Gebiet auf der epirotischen Seite.<lb/>
Die hellenischen Kommissäre müssen, wenn die Verhandlungen bald zu gedeih-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] Küste bis in die Gegend, die der seit etwa anderthalb Jahrzehnten zu Griechen¬ land gehörigen Insel Korfu gegenüberliegt. Im Innern überwiegt das alba- nesische Element bei weitem. Jedenfalls stoßen Griechen und Albanesen in Epiric aufeinander, und je weiter nördlich, desto mehr. Ganz anders liegen die Dinge im Nordosten. Hier zieht sich das Hellenenthum, im ethnographischen Sinne gesprochen, in ununterbrochner Zone durch den größten Theil Thassaliens, über die Ausläufer des Olymps durch ganz Südwest-Mazedonien über Salonik mit Einschluß der chalkidischen Halbinsel mit den Klöstern des Athos hin; es säumt ferner die thrakischen Küsten und verläuft endlich in der Richtung auf Konstantinopel, zu dessen Einwohnerschaft die Griechen nächst den Türken das stärkste Kontingent stellen. In dieser Richtung ist also eine Gebietsvergrößerung für Griechenland um so passender und billiger, als die neuen Grenzsteine in griechischer Erde stehen und keine Albanesen von Albanien abschneiden würden. Die jüngsten Ereignisse ferner haben gezeigt, daß die hellenische Bevölkerung Mazedoniens und Ostrumeliens, namentlich die im letztgenannten Landstriche, durch die Bestrebungen der Bulgaren und die nationale Unduldsamkeit der Slaven überhaupt viel ärgeren Beeinträchtigungen und Mißhandlungen aus¬ gesetzt ist als je zuvor unter unmittelbar türkischem Regiments. So klug sür die Pforte eine Anlehnung an das griechische Element sein würde, nicht weniger klug und verständig würde ein billiges Verfahren der Hellenen des Königreiches gegenüber derjenigen Nachbarmacht sein, die noch immer über eine sehr große Anzahl von Griechen herrscht und aller Wahrschein¬ lichkeit nach uoch manches Jahrzehnt herrschen wird; denn auch der ganze Westrand Anatoliens ist vorwiegend von Griechen bewohnt, und sogar im Innern dieser mächtigen Halbinsel gibt es Städte, deren Einwohner hellenischen Stammes sind, wenn sie auch meist die türkische Sprache angenommen haben. Wenn also auf beiden Seiten der Stimme der Vernunft endlich Gehör gegeben wird, so wird Folgendes ungefähr als das Richtige erkannt werden: zunächst im allgemeinen Verständigung des Kabinets von Athen mit der Pforte zur Klarstellung des zukünftigen Verhältnisses zwischen dieser und der griechischen Rajcch, Vermeidung eines jeden drohenden oder gar feindseligen Auftretens der Griechen des Königreiches gegenüber den Albanesen, die mehr als einmal, z. B. unter Ali Pascha von Janina, Bundesgenossen und Mitkämpfer der Hellenen waren und bei dem drohenden Ueberwiegen und Umsichgreifen des Slaven- thums auf der Balkanhalbinsel, wenn sie wohl berathen sind, sich in Zukunft wieder an deren Seite stellen müssen, drittens endlich Gewährung einer möglichst großen Erweiterung der griechischen Grenze auf der thessalischen und Sichbe¬ gnügen mit einer kleinen Abtretung von Gebiet auf der epirotischen Seite. Die hellenischen Kommissäre müssen, wenn die Verhandlungen bald zu gedeih-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/87>, abgerufen am 23.07.2024.