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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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hatte, von wo man sich indeß, da Rußland diesen Bundesgenossen und -- Kon¬
kurrenten nicht ermuntern konnte und auch die übrigen Mächte dieses Vor¬
gehen, welches kein Krieg sein, sondern nur zum Schutze der Grenze erfolgt
sein sollte, nicht billigten, bald wieder rückwärts konzentrirte. Beim Friedens¬
schlüsse wurde indeß das Begehren des griechischen Kabinets, sür das sich
Frankreich mit Eifer verwendete, der Pforte bis zu einem gewissen Grade zur
Berücksichtigung empfohlen. Dieselbe zögerte lange damit, aus dahin gehende
Verhandlungen mit griechischen Bevollmächtigten einzugehen. Indeß Waddington
ließ durch den französischen Gesandten wiederholt an diese Verpflichtung erinnern
und zu ihrer Erfüllung drängen, und England scheint sich dem umsoweniger
entgegengestellt zu haben, als es wissen mußte, daß Rußland sich in Konstan¬
tinopel bemühte, die Regelung der Angelegenheit zu hintertreiben. So entschloß
sich denn um Mitte August d. I. der Sultan, insofern nachzugeben, als er die
Paschas Savfet, Ali Said und Savas beauftragte, sich mit den von Griechen¬
land ernannten Kommissären zur Regulirung der nordgriechischen Grenze ins
Einvernehmen zu setzen. Die Rüstungen, mit denen die Griechen in Athen
ihre Pression unterstützen zu müssen meinten, werden ihn dazu nicht bewogen
haben; denn auch die geschwächte Türkei ist den Griechen militärisch weit über¬
legen, zumal da ihr in Südepirus die Mehrheit der Bevölkerung zur Seite
steht. Wohl aber darf es die Pforte mit Frankreich nicht verderben, auch muß
ihr daran gelegen sein, die leidige Angelegenheit endlich aus der Welt zu
schaffen, die nur ein Hinderniß für die vollständige Reduktion der osmanischen
Armee und die Ausführung der hochnothwendigen Reformen in der Verwal¬
tung des Reiches ist. Man wird sich in Konstantinopel zu den nun einmal
unvermeidlichen Zugeständnissen bestimmen lassen, und man wird in Athen
seine Forderungen herabmindern, da man mit bramarbasirenden Demonstra¬
tionen, wie Einberufung des zweiten Aufgebots der Nationalgarde, niemand
imponirt, da man sich ferner der Erkenntniß nicht verschließen kann, daß Europa
in seinem Friedensbedürfnisse keinerlei Neigung verspüren dürfte, die Meinungs¬
verschiedenheit wegen einiger Quadratmeilen Land und einiger Tausende halb¬
wilder Griechen und Arnauten zu einem blutigen Konflikte auswachsen zu lassen,
und da Griechenland alle Aussicht hat, ohne einen Schuß Pulver verbraucht
zu haben, einen ansehnlichen Gebietszuwachs einzuheimsen.

Die im Jahre 1832 gezogene Grenzlinie ist in der That keine vortheil¬
hafte gewesen, und zwar weder für Griechenland noch für die Pforte. Sie
durchschnitt eine Region, die einer gesetzlosen Bevölkerung diesseits und jenseits
Schutz und Sicherheit gewährte. Das Räuberwesen, unter dem Griechenland
bis auf die neueste Zeit zu leiden hatte, ist unzweifelhaft auf diesen Umstand
zurückzuführen. Ferner hat jene Grenzlinie große Distrikte von Griechenland


Greiizlwtm IV, 1879. 11

hatte, von wo man sich indeß, da Rußland diesen Bundesgenossen und — Kon¬
kurrenten nicht ermuntern konnte und auch die übrigen Mächte dieses Vor¬
gehen, welches kein Krieg sein, sondern nur zum Schutze der Grenze erfolgt
sein sollte, nicht billigten, bald wieder rückwärts konzentrirte. Beim Friedens¬
schlüsse wurde indeß das Begehren des griechischen Kabinets, sür das sich
Frankreich mit Eifer verwendete, der Pforte bis zu einem gewissen Grade zur
Berücksichtigung empfohlen. Dieselbe zögerte lange damit, aus dahin gehende
Verhandlungen mit griechischen Bevollmächtigten einzugehen. Indeß Waddington
ließ durch den französischen Gesandten wiederholt an diese Verpflichtung erinnern
und zu ihrer Erfüllung drängen, und England scheint sich dem umsoweniger
entgegengestellt zu haben, als es wissen mußte, daß Rußland sich in Konstan¬
tinopel bemühte, die Regelung der Angelegenheit zu hintertreiben. So entschloß
sich denn um Mitte August d. I. der Sultan, insofern nachzugeben, als er die
Paschas Savfet, Ali Said und Savas beauftragte, sich mit den von Griechen¬
land ernannten Kommissären zur Regulirung der nordgriechischen Grenze ins
Einvernehmen zu setzen. Die Rüstungen, mit denen die Griechen in Athen
ihre Pression unterstützen zu müssen meinten, werden ihn dazu nicht bewogen
haben; denn auch die geschwächte Türkei ist den Griechen militärisch weit über¬
legen, zumal da ihr in Südepirus die Mehrheit der Bevölkerung zur Seite
steht. Wohl aber darf es die Pforte mit Frankreich nicht verderben, auch muß
ihr daran gelegen sein, die leidige Angelegenheit endlich aus der Welt zu
schaffen, die nur ein Hinderniß für die vollständige Reduktion der osmanischen
Armee und die Ausführung der hochnothwendigen Reformen in der Verwal¬
tung des Reiches ist. Man wird sich in Konstantinopel zu den nun einmal
unvermeidlichen Zugeständnissen bestimmen lassen, und man wird in Athen
seine Forderungen herabmindern, da man mit bramarbasirenden Demonstra¬
tionen, wie Einberufung des zweiten Aufgebots der Nationalgarde, niemand
imponirt, da man sich ferner der Erkenntniß nicht verschließen kann, daß Europa
in seinem Friedensbedürfnisse keinerlei Neigung verspüren dürfte, die Meinungs¬
verschiedenheit wegen einiger Quadratmeilen Land und einiger Tausende halb¬
wilder Griechen und Arnauten zu einem blutigen Konflikte auswachsen zu lassen,
und da Griechenland alle Aussicht hat, ohne einen Schuß Pulver verbraucht
zu haben, einen ansehnlichen Gebietszuwachs einzuheimsen.

Die im Jahre 1832 gezogene Grenzlinie ist in der That keine vortheil¬
hafte gewesen, und zwar weder für Griechenland noch für die Pforte. Sie
durchschnitt eine Region, die einer gesetzlosen Bevölkerung diesseits und jenseits
Schutz und Sicherheit gewährte. Das Räuberwesen, unter dem Griechenland
bis auf die neueste Zeit zu leiden hatte, ist unzweifelhaft auf diesen Umstand
zurückzuführen. Ferner hat jene Grenzlinie große Distrikte von Griechenland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/85>, abgerufen am 23.07.2024.