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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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gekrümmt hatte, so daß er die Kniee mit dem Gesicht berührte. "Deine kleine
Kugel sitzt ihm im Magen", erklärte mir Hassan.

Wieder brach die Nacht herein, die Steppennacht mit ihrer schwülen Stille
und ihren durch Nebel blitzenden Sternen. Aufs neue wurden mir die Hände
gebunden und das Bruchstück einer Lanze dazwischen gesteckt; die Füße ließ
man mir diesmal frei. Wozu konnten mir aber die Füße dienen, da ich nicht
einmal im Stande war, mich auf die Kniee zu erheben? Die Turkomanen
bemerkten meinen Zustand sehr wohl; daher gaben sie sich gar nicht die Mühe,
mich des Nachts zu bewachen, sondern sie fielen sämmtlich in festen Schlaf,
mit Ausnahme des Verwundeten, der jetzt ohne Unterbrechung leise fortstöhnte.
So wie er, so stöhnt der Mensch nur im Todeskampfe. Ein paar Mal wollte
auch mich der Schlaf überkommen, die Augen fielen mir zu, aber in demselben
Augenblicke drang mir auch schon wieder deutlich das qualvolle Stöhnen ins
Ohr, welches sogar das friedliche Schnarchen der Räuber übertönte.

Unser Bivouak dauerte bis zur Dämmerung, dann schickten sich alle zum
Aufbruche an. Zwei Turkomanen breiteten eine Pferdedecke auf dem Sande
aus, traten auf ihren verwundeten Kameraden zu, der endlich zu stöhnen auf¬
gehört hatte, nahmen ihn am Kopfe und an den Füßen, warfen ihn wie einen
Sack ans die Decke und wickelten ihn ein, wie man es mit kleinen Kindern
macht. Das ganze Pack wurde mit Stricken zusammengeknüpft, dann warfen
sie es quer über den Sattel und befestigten es mit Riemen. Das Pferd
schnaubte und wollte sich losreißen, als man ihm diesen seltsamen Reiter auflud.

Wenn ich so gestorben wäre, mit mir hätte man weniger Umstände ge¬
macht, dachte ich und mußte mir unwillkürlich das liebliche Bild weiter aus¬
malen. Mit mir wäre die Sache weit einfacher gewesen. Für mich hätte
man keinen ganzen Filz gebraucht, ein Säckchen, ein kleines Säckchen, aus dem
gewöhnlich die Pferde gefüttert werden, wäre vollkommen genügend gewesen,
meinen Kopf aufzunehmen. Den Körper hätte man liegen lassen, oder höch¬
stens ein wenig von den Brunnen weggeschleppt, vor denen jeder Nomade eine
gewisse Scheu hegt.

"Haida, salta!" rief Hassan, als sie endlich auch mich auf die Kruppe
hinter den Sattel geladen hatten, und nun zog die ganze Bande im Gänse¬
marsch aus dem Kesselthale. Der erste Reiter sprengte ins Freie, sah sich nach
links um und schnüffelte wie ein Wolf, der seinen Schlupfwinkel verläßt. Ihm
folgten der zweite und dritte; schnaubend und sich schüttelnd rannte das Pferd
mit dem Leichnam. Dann zogen Alle in langsamem Trab durch die Steppe,
gerade in entgegengesetzter Richtung von der eben aufgehenden Sonne.

Ein schwerer, schwüler Tag stand uns bevor. Als er sich zum Ende neigte,
machte Hassan, wie ich aus dem Gespräche entnahm, den Vorschlag, das große


gekrümmt hatte, so daß er die Kniee mit dem Gesicht berührte. „Deine kleine
Kugel sitzt ihm im Magen", erklärte mir Hassan.

Wieder brach die Nacht herein, die Steppennacht mit ihrer schwülen Stille
und ihren durch Nebel blitzenden Sternen. Aufs neue wurden mir die Hände
gebunden und das Bruchstück einer Lanze dazwischen gesteckt; die Füße ließ
man mir diesmal frei. Wozu konnten mir aber die Füße dienen, da ich nicht
einmal im Stande war, mich auf die Kniee zu erheben? Die Turkomanen
bemerkten meinen Zustand sehr wohl; daher gaben sie sich gar nicht die Mühe,
mich des Nachts zu bewachen, sondern sie fielen sämmtlich in festen Schlaf,
mit Ausnahme des Verwundeten, der jetzt ohne Unterbrechung leise fortstöhnte.
So wie er, so stöhnt der Mensch nur im Todeskampfe. Ein paar Mal wollte
auch mich der Schlaf überkommen, die Augen fielen mir zu, aber in demselben
Augenblicke drang mir auch schon wieder deutlich das qualvolle Stöhnen ins
Ohr, welches sogar das friedliche Schnarchen der Räuber übertönte.

Unser Bivouak dauerte bis zur Dämmerung, dann schickten sich alle zum
Aufbruche an. Zwei Turkomanen breiteten eine Pferdedecke auf dem Sande
aus, traten auf ihren verwundeten Kameraden zu, der endlich zu stöhnen auf¬
gehört hatte, nahmen ihn am Kopfe und an den Füßen, warfen ihn wie einen
Sack ans die Decke und wickelten ihn ein, wie man es mit kleinen Kindern
macht. Das ganze Pack wurde mit Stricken zusammengeknüpft, dann warfen
sie es quer über den Sattel und befestigten es mit Riemen. Das Pferd
schnaubte und wollte sich losreißen, als man ihm diesen seltsamen Reiter auflud.

Wenn ich so gestorben wäre, mit mir hätte man weniger Umstände ge¬
macht, dachte ich und mußte mir unwillkürlich das liebliche Bild weiter aus¬
malen. Mit mir wäre die Sache weit einfacher gewesen. Für mich hätte
man keinen ganzen Filz gebraucht, ein Säckchen, ein kleines Säckchen, aus dem
gewöhnlich die Pferde gefüttert werden, wäre vollkommen genügend gewesen,
meinen Kopf aufzunehmen. Den Körper hätte man liegen lassen, oder höch¬
stens ein wenig von den Brunnen weggeschleppt, vor denen jeder Nomade eine
gewisse Scheu hegt.

„Haida, salta!" rief Hassan, als sie endlich auch mich auf die Kruppe
hinter den Sattel geladen hatten, und nun zog die ganze Bande im Gänse¬
marsch aus dem Kesselthale. Der erste Reiter sprengte ins Freie, sah sich nach
links um und schnüffelte wie ein Wolf, der seinen Schlupfwinkel verläßt. Ihm
folgten der zweite und dritte; schnaubend und sich schüttelnd rannte das Pferd
mit dem Leichnam. Dann zogen Alle in langsamem Trab durch die Steppe,
gerade in entgegengesetzter Richtung von der eben aufgehenden Sonne.

Ein schwerer, schwüler Tag stand uns bevor. Als er sich zum Ende neigte,
machte Hassan, wie ich aus dem Gespräche entnahm, den Vorschlag, das große


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/79>, abgerufen am 23.07.2024.