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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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noch wunderliches Siegel*) bürgt mir dafür. Möchten Sie den beiliegenden
Blättchen eine recht freundliche Aufnahme gönnen. Ihr lieber Brief ist gleich
eingeschaltet worden. Was solls denn weiter, als daß man das unmittelbare
Andenken der Tüchtigen erhält. Können Sie mir auch nur Namensunter¬
schriften des Kaisers und der Kaiserinnen, der Größten des Reichs, in Kriegs¬
und Friedens-Geschäften; der Academiker und bedeutender Menschen jeder Art,
gelegentlich übersenden, so erzeigen Sie mir was außerordentlich Angenehmes
Bisher habe ich die Art oder Unart gehabt, alles Vergangene eher zu vertilgen,
als zu bewahren. Nun mag die Zeit des Bewahrens, wenn auch zu spät,
eintreten. Mehr sag' ich nicht, aber ich bitte, da doch zwischen dem großen
Petersburg und dem kleinen Weimar eine so liebenswürdige Wechselwirkung
besteht, Niemanden wegzulassen, der nicht etwas an mich bringe und ich will
das Gleiche thun.

Das Leben ist den Sybyllinischen Büchern ganz gleich; je knapper, je
theurer. Leben Sie wohl und gedenken mein, wie am Anfang und Mitte, so
am Ende.

Nach dem Wortlaute des Briefes zu urtheilen, mag es in der Absicht
Goethes gelegen haben, auch einiger lokaler Eigenthümlichkeiten zu gedenken,
indem er auf die Person Klingers im dritten Theile der Selbstbiographie
zurückzukommen beschloß. Indeß ist dies von Goethe unterlassen worden, sonst
würde die gegebene Andeutung über den Ort der jugendlichen Zusammenkünfte
längst zu der Wiederentdeckung desselben geführt haben. Dies erhellt auch zur
Genüge aus Dr. Volgers brieflicher Aeußerung, daß der von mir mitgetheilte
Brief Goethes ihn erst zur Wiederauffindung des "räuchrigen Zimmerchens"
geführt habe. Herr Dr. Volger hatte die Güte, mich nach Frankfurt zur Be¬
sichtigung der Lokalitäten und zur Prüfung des gefundenen einzuladen. Je
mehr ich von der Richtigkeit der Entdeckung überzeugt bin, desto weniger habe ich
Grund, im Interesse der Erhaltung dieser klassischen Stätte Frankfurts von
der Mittheilung des Gefundenen abzusehen.

Es ist nach den bisherigen Ueberlieferungen außer allem Zweifel, daß die
Zusammenkünfte in dem Hause der ehemaligen Rittergasse, jetzt Klingergasse statt¬
gefunden haben, welches jetzt allgemein unter dem Namen "Klingerhaus" bekannt



*) Bezüglich des Siegels schreibt Goethe im 14. Buche von "Wahrheit und Dich¬
tung": "wie es denn gewiß angemerkt zu werden verdient, daß er als ein anderer Willigis
in seinem durch Ordenszeichen geschmückten Wappen Merkmale seiner frühesten Zeit zu ver¬
ewigen nicht verschmähte." v. Loeper setzt zu dieser Stelle in seinem Kommentar S. 40S
(Hempclsche Ausg.) die Erklärung hinzu: "Der Erzbischof Willigis von Mainz, eines Wagners
Sohn, nahm ein Rad zum Wappen und ließ ein solches an die Wand seines Zimmers malen
mit der Unterschrift: Willigis, rseols ungs veneris, Aehnlich behielt Klinger die Initialen
seines bürgerlichen Jugend-Petschaftes ? N 15 als einziges Wappenzeichen bei."

noch wunderliches Siegel*) bürgt mir dafür. Möchten Sie den beiliegenden
Blättchen eine recht freundliche Aufnahme gönnen. Ihr lieber Brief ist gleich
eingeschaltet worden. Was solls denn weiter, als daß man das unmittelbare
Andenken der Tüchtigen erhält. Können Sie mir auch nur Namensunter¬
schriften des Kaisers und der Kaiserinnen, der Größten des Reichs, in Kriegs¬
und Friedens-Geschäften; der Academiker und bedeutender Menschen jeder Art,
gelegentlich übersenden, so erzeigen Sie mir was außerordentlich Angenehmes
Bisher habe ich die Art oder Unart gehabt, alles Vergangene eher zu vertilgen,
als zu bewahren. Nun mag die Zeit des Bewahrens, wenn auch zu spät,
eintreten. Mehr sag' ich nicht, aber ich bitte, da doch zwischen dem großen
Petersburg und dem kleinen Weimar eine so liebenswürdige Wechselwirkung
besteht, Niemanden wegzulassen, der nicht etwas an mich bringe und ich will
das Gleiche thun.

Das Leben ist den Sybyllinischen Büchern ganz gleich; je knapper, je
theurer. Leben Sie wohl und gedenken mein, wie am Anfang und Mitte, so
am Ende.

Nach dem Wortlaute des Briefes zu urtheilen, mag es in der Absicht
Goethes gelegen haben, auch einiger lokaler Eigenthümlichkeiten zu gedenken,
indem er auf die Person Klingers im dritten Theile der Selbstbiographie
zurückzukommen beschloß. Indeß ist dies von Goethe unterlassen worden, sonst
würde die gegebene Andeutung über den Ort der jugendlichen Zusammenkünfte
längst zu der Wiederentdeckung desselben geführt haben. Dies erhellt auch zur
Genüge aus Dr. Volgers brieflicher Aeußerung, daß der von mir mitgetheilte
Brief Goethes ihn erst zur Wiederauffindung des „räuchrigen Zimmerchens"
geführt habe. Herr Dr. Volger hatte die Güte, mich nach Frankfurt zur Be¬
sichtigung der Lokalitäten und zur Prüfung des gefundenen einzuladen. Je
mehr ich von der Richtigkeit der Entdeckung überzeugt bin, desto weniger habe ich
Grund, im Interesse der Erhaltung dieser klassischen Stätte Frankfurts von
der Mittheilung des Gefundenen abzusehen.

Es ist nach den bisherigen Ueberlieferungen außer allem Zweifel, daß die
Zusammenkünfte in dem Hause der ehemaligen Rittergasse, jetzt Klingergasse statt¬
gefunden haben, welches jetzt allgemein unter dem Namen „Klingerhaus" bekannt



*) Bezüglich des Siegels schreibt Goethe im 14. Buche von „Wahrheit und Dich¬
tung": „wie es denn gewiß angemerkt zu werden verdient, daß er als ein anderer Willigis
in seinem durch Ordenszeichen geschmückten Wappen Merkmale seiner frühesten Zeit zu ver¬
ewigen nicht verschmähte." v. Loeper setzt zu dieser Stelle in seinem Kommentar S. 40S
(Hempclsche Ausg.) die Erklärung hinzu: „Der Erzbischof Willigis von Mainz, eines Wagners
Sohn, nahm ein Rad zum Wappen und ließ ein solches an die Wand seines Zimmers malen
mit der Unterschrift: Willigis, rseols ungs veneris, Aehnlich behielt Klinger die Initialen
seines bürgerlichen Jugend-Petschaftes ? N 15 als einziges Wappenzeichen bei."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/73>, abgerufen am 03.07.2024.