Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

und legitimem Wege finden kann, so schafft er sie sich, gleichviel wie. Ihm
zuzumuthen, daß er sich wirthschaftlich als ein vereinzeltes Individuum auf¬
fassen soll, das zu seinen Mitmenschen keine anderen Beziehungen als den
"Arbeitsmarkt" habe, ist gerade so widersinnig wie die Zumuthung, Freude
und innere Befriedigung an einem hoffnungslosen, ja sich eher noch verschlech¬
ternden Zustande zu haben und auf eine, den Standes - Anschauungen und
Standes-Bedürfnissen entsprechende Entwickelung zu verzichten. Ist der Hand¬
werker als solcher zum proletarischen Arbeiter herabgedrückt, dessen Aussichten
sich immer mehr verdüstern, und dem von einer besseren Vergangenheit nur
die Ansprüche geblieben sind, während die wirthschaftliche sowohl wie die mora¬
lische Tüchtigkeit ihm verloren gegangen ist, dann ist es nicht anders möglich,
als daß er Sozialdemokrat wird. Es ist ein verhängnißvoller Irrthum, bei
dem Worte "Sozialdemokrat" immer zunächst an Fabrikarbeiter zu denken.
Der heruntergekommene Handwerksmeister, der halbgelernte, schlecht verdienende,
aber doch mit den Prätensionen des qnalifizirten Arbeiters ausgerüstete Geselle,
der strebsame,, aber der soliden kleinbürgerlichen Antriebe entbehrende junge
Handwerker -- sie bilden den Grundstock der sozialdemokratischen Armee, und
die Elite-Bataillone derselben bestehen durchgehends aus Handwerkern, wie
denn auch die Vereins- und Kassenvorstände, die Agitatoren, Redner ?e. fast
ausnahmslos Handwerker sind. Nicht lauge mehr, und die ganze Masse des
Kleinhandwerkerstandes wird der geistigen Strömung, deren schärfsten Ausdruck
die Sozialdemokratie bildet, widerstandslos überantwortet sein. Dann werden
allerdings diejenigen, die jetzt mit gewaltiger pseudoliberaler Erbitterung gegen
die im Handwerkerstande sich kundgebenden Aufraffungs-Bestrebungen zu Felde
ziehen, sich triumphirend die Hände reiben können, denn dann wird es freilich
ein Material zu einer Handwerkerbewegung nicht mehr geben! Aber was
dann weiter?

Nun, einstweilen sind, Gott sei Dank, noch Reste vorhanden, welche hin¬
längliche moralische Kraft bewahrt haben, um sich des Verfalles bewußt zu sein
und gegen denselben anzukämpfen, und noch ist unter der Mitwirkung sonstiger,
zur Zeit erst bedrängter aber noch nicht ausgelöschter sittlicher Faktoren einiger
Nachwuchs hinzugekommen, welcher wacker ankämpft. Es sind schwache Kräfte,
die hier ringen, und alle Kleinlichkeiten, Einseitigkeiten und Beschränktheiten,
wie solche dem Handwerkerstande nun einmal -- aus leicht erklärlichen Grün¬
den -- anhaften, spielen bei ihnen ihre Rolle; aber zweierlei darf konstatirt
werden: daß diese Bewegung alle achtungswürdigen Elemente in sich schließt,
welche der deutsche Handwerkerstand überhaupt noch hat, und daß sie den ent¬
scheidenden Punkt mit Sicherheit getroffen hat und sich an demselben mit ver¬
zweifelungsvoller Energie festklammert. Dieser entscheidende Punkt aber heißt:


und legitimem Wege finden kann, so schafft er sie sich, gleichviel wie. Ihm
zuzumuthen, daß er sich wirthschaftlich als ein vereinzeltes Individuum auf¬
fassen soll, das zu seinen Mitmenschen keine anderen Beziehungen als den
„Arbeitsmarkt" habe, ist gerade so widersinnig wie die Zumuthung, Freude
und innere Befriedigung an einem hoffnungslosen, ja sich eher noch verschlech¬
ternden Zustande zu haben und auf eine, den Standes - Anschauungen und
Standes-Bedürfnissen entsprechende Entwickelung zu verzichten. Ist der Hand¬
werker als solcher zum proletarischen Arbeiter herabgedrückt, dessen Aussichten
sich immer mehr verdüstern, und dem von einer besseren Vergangenheit nur
die Ansprüche geblieben sind, während die wirthschaftliche sowohl wie die mora¬
lische Tüchtigkeit ihm verloren gegangen ist, dann ist es nicht anders möglich,
als daß er Sozialdemokrat wird. Es ist ein verhängnißvoller Irrthum, bei
dem Worte „Sozialdemokrat" immer zunächst an Fabrikarbeiter zu denken.
Der heruntergekommene Handwerksmeister, der halbgelernte, schlecht verdienende,
aber doch mit den Prätensionen des qnalifizirten Arbeiters ausgerüstete Geselle,
der strebsame,, aber der soliden kleinbürgerlichen Antriebe entbehrende junge
Handwerker — sie bilden den Grundstock der sozialdemokratischen Armee, und
die Elite-Bataillone derselben bestehen durchgehends aus Handwerkern, wie
denn auch die Vereins- und Kassenvorstände, die Agitatoren, Redner ?e. fast
ausnahmslos Handwerker sind. Nicht lauge mehr, und die ganze Masse des
Kleinhandwerkerstandes wird der geistigen Strömung, deren schärfsten Ausdruck
die Sozialdemokratie bildet, widerstandslos überantwortet sein. Dann werden
allerdings diejenigen, die jetzt mit gewaltiger pseudoliberaler Erbitterung gegen
die im Handwerkerstande sich kundgebenden Aufraffungs-Bestrebungen zu Felde
ziehen, sich triumphirend die Hände reiben können, denn dann wird es freilich
ein Material zu einer Handwerkerbewegung nicht mehr geben! Aber was
dann weiter?

Nun, einstweilen sind, Gott sei Dank, noch Reste vorhanden, welche hin¬
längliche moralische Kraft bewahrt haben, um sich des Verfalles bewußt zu sein
und gegen denselben anzukämpfen, und noch ist unter der Mitwirkung sonstiger,
zur Zeit erst bedrängter aber noch nicht ausgelöschter sittlicher Faktoren einiger
Nachwuchs hinzugekommen, welcher wacker ankämpft. Es sind schwache Kräfte,
die hier ringen, und alle Kleinlichkeiten, Einseitigkeiten und Beschränktheiten,
wie solche dem Handwerkerstande nun einmal — aus leicht erklärlichen Grün¬
den — anhaften, spielen bei ihnen ihre Rolle; aber zweierlei darf konstatirt
werden: daß diese Bewegung alle achtungswürdigen Elemente in sich schließt,
welche der deutsche Handwerkerstand überhaupt noch hat, und daß sie den ent¬
scheidenden Punkt mit Sicherheit getroffen hat und sich an demselben mit ver¬
zweifelungsvoller Energie festklammert. Dieser entscheidende Punkt aber heißt:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143121"/>
          <p xml:id="ID_212" prev="#ID_211"> und legitimem Wege finden kann, so schafft er sie sich, gleichviel wie. Ihm<lb/>
zuzumuthen, daß er sich wirthschaftlich als ein vereinzeltes Individuum auf¬<lb/>
fassen soll, das zu seinen Mitmenschen keine anderen Beziehungen als den<lb/>
&#x201E;Arbeitsmarkt" habe, ist gerade so widersinnig wie die Zumuthung, Freude<lb/>
und innere Befriedigung an einem hoffnungslosen, ja sich eher noch verschlech¬<lb/>
ternden Zustande zu haben und auf eine, den Standes - Anschauungen und<lb/>
Standes-Bedürfnissen entsprechende Entwickelung zu verzichten. Ist der Hand¬<lb/>
werker als solcher zum proletarischen Arbeiter herabgedrückt, dessen Aussichten<lb/>
sich immer mehr verdüstern, und dem von einer besseren Vergangenheit nur<lb/>
die Ansprüche geblieben sind, während die wirthschaftliche sowohl wie die mora¬<lb/>
lische Tüchtigkeit ihm verloren gegangen ist, dann ist es nicht anders möglich,<lb/>
als daß er Sozialdemokrat wird. Es ist ein verhängnißvoller Irrthum, bei<lb/>
dem Worte &#x201E;Sozialdemokrat" immer zunächst an Fabrikarbeiter zu denken.<lb/>
Der heruntergekommene Handwerksmeister, der halbgelernte, schlecht verdienende,<lb/>
aber doch mit den Prätensionen des qnalifizirten Arbeiters ausgerüstete Geselle,<lb/>
der strebsame,, aber der soliden kleinbürgerlichen Antriebe entbehrende junge<lb/>
Handwerker &#x2014; sie bilden den Grundstock der sozialdemokratischen Armee, und<lb/>
die Elite-Bataillone derselben bestehen durchgehends aus Handwerkern, wie<lb/>
denn auch die Vereins- und Kassenvorstände, die Agitatoren, Redner ?e. fast<lb/>
ausnahmslos Handwerker sind. Nicht lauge mehr, und die ganze Masse des<lb/>
Kleinhandwerkerstandes wird der geistigen Strömung, deren schärfsten Ausdruck<lb/>
die Sozialdemokratie bildet, widerstandslos überantwortet sein. Dann werden<lb/>
allerdings diejenigen, die jetzt mit gewaltiger pseudoliberaler Erbitterung gegen<lb/>
die im Handwerkerstande sich kundgebenden Aufraffungs-Bestrebungen zu Felde<lb/>
ziehen, sich triumphirend die Hände reiben können, denn dann wird es freilich<lb/>
ein Material zu einer Handwerkerbewegung nicht mehr geben! Aber was<lb/>
dann weiter?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_213" next="#ID_214"> Nun, einstweilen sind, Gott sei Dank, noch Reste vorhanden, welche hin¬<lb/>
längliche moralische Kraft bewahrt haben, um sich des Verfalles bewußt zu sein<lb/>
und gegen denselben anzukämpfen, und noch ist unter der Mitwirkung sonstiger,<lb/>
zur Zeit erst bedrängter aber noch nicht ausgelöschter sittlicher Faktoren einiger<lb/>
Nachwuchs hinzugekommen, welcher wacker ankämpft. Es sind schwache Kräfte,<lb/>
die hier ringen, und alle Kleinlichkeiten, Einseitigkeiten und Beschränktheiten,<lb/>
wie solche dem Handwerkerstande nun einmal &#x2014; aus leicht erklärlichen Grün¬<lb/>
den &#x2014; anhaften, spielen bei ihnen ihre Rolle; aber zweierlei darf konstatirt<lb/>
werden: daß diese Bewegung alle achtungswürdigen Elemente in sich schließt,<lb/>
welche der deutsche Handwerkerstand überhaupt noch hat, und daß sie den ent¬<lb/>
scheidenden Punkt mit Sicherheit getroffen hat und sich an demselben mit ver¬<lb/>
zweifelungsvoller Energie festklammert. Dieser entscheidende Punkt aber heißt:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] und legitimem Wege finden kann, so schafft er sie sich, gleichviel wie. Ihm zuzumuthen, daß er sich wirthschaftlich als ein vereinzeltes Individuum auf¬ fassen soll, das zu seinen Mitmenschen keine anderen Beziehungen als den „Arbeitsmarkt" habe, ist gerade so widersinnig wie die Zumuthung, Freude und innere Befriedigung an einem hoffnungslosen, ja sich eher noch verschlech¬ ternden Zustande zu haben und auf eine, den Standes - Anschauungen und Standes-Bedürfnissen entsprechende Entwickelung zu verzichten. Ist der Hand¬ werker als solcher zum proletarischen Arbeiter herabgedrückt, dessen Aussichten sich immer mehr verdüstern, und dem von einer besseren Vergangenheit nur die Ansprüche geblieben sind, während die wirthschaftliche sowohl wie die mora¬ lische Tüchtigkeit ihm verloren gegangen ist, dann ist es nicht anders möglich, als daß er Sozialdemokrat wird. Es ist ein verhängnißvoller Irrthum, bei dem Worte „Sozialdemokrat" immer zunächst an Fabrikarbeiter zu denken. Der heruntergekommene Handwerksmeister, der halbgelernte, schlecht verdienende, aber doch mit den Prätensionen des qnalifizirten Arbeiters ausgerüstete Geselle, der strebsame,, aber der soliden kleinbürgerlichen Antriebe entbehrende junge Handwerker — sie bilden den Grundstock der sozialdemokratischen Armee, und die Elite-Bataillone derselben bestehen durchgehends aus Handwerkern, wie denn auch die Vereins- und Kassenvorstände, die Agitatoren, Redner ?e. fast ausnahmslos Handwerker sind. Nicht lauge mehr, und die ganze Masse des Kleinhandwerkerstandes wird der geistigen Strömung, deren schärfsten Ausdruck die Sozialdemokratie bildet, widerstandslos überantwortet sein. Dann werden allerdings diejenigen, die jetzt mit gewaltiger pseudoliberaler Erbitterung gegen die im Handwerkerstande sich kundgebenden Aufraffungs-Bestrebungen zu Felde ziehen, sich triumphirend die Hände reiben können, denn dann wird es freilich ein Material zu einer Handwerkerbewegung nicht mehr geben! Aber was dann weiter? Nun, einstweilen sind, Gott sei Dank, noch Reste vorhanden, welche hin¬ längliche moralische Kraft bewahrt haben, um sich des Verfalles bewußt zu sein und gegen denselben anzukämpfen, und noch ist unter der Mitwirkung sonstiger, zur Zeit erst bedrängter aber noch nicht ausgelöschter sittlicher Faktoren einiger Nachwuchs hinzugekommen, welcher wacker ankämpft. Es sind schwache Kräfte, die hier ringen, und alle Kleinlichkeiten, Einseitigkeiten und Beschränktheiten, wie solche dem Handwerkerstande nun einmal — aus leicht erklärlichen Grün¬ den — anhaften, spielen bei ihnen ihre Rolle; aber zweierlei darf konstatirt werden: daß diese Bewegung alle achtungswürdigen Elemente in sich schließt, welche der deutsche Handwerkerstand überhaupt noch hat, und daß sie den ent¬ scheidenden Punkt mit Sicherheit getroffen hat und sich an demselben mit ver¬ zweifelungsvoller Energie festklammert. Dieser entscheidende Punkt aber heißt:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/66
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/66>, abgerufen am 23.07.2024.