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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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theile des Kurfürstenthums, die bis 1529 fortgesetzt wurde, und bei der man
mit möglichster Schonung der kirchlichen Elemente verfuhr, ihnen Zeit zur Aus¬
bildung im Sinne-der Reformation gewährte und die materielle Besserung der
Pfarrstellen in den Vordergrund stellte. Daß letzteres sehr nöthig war, mag
ein Blick auf die Ergebnisse dieser ersten ordentlichen Visitation zeigen. Zugleich
aber wird man daraus ersehen, wie es damals um die sittlichen Zustünde und
das Wisse" der Geistlichkeit und um die Schulen der betreffenden Land¬
striche stand.

Nur etwa vier Fünftel der Pfarrer entsprachen im Kurkreise den An¬
forderungen, welche die Visitatoren, unter denen sich Luther selbst befand, stellten.
Ferner herrschte Mangel an Geistlichen. Die materielle Lage derselben war viel-
fach ungünstig. Groß war die Rohheit des Volkes nicht blos in den Dörfern,
sondern auch in den kleinen Städten. Den Besseren sogar war schon ein zwei¬
maliger Gottesdienst in der Woche zuviel. Ueberall fanden sich viele, die man
nicht zum Genusse des Abendmahls lassen konnte, weil sie die Hauptstücke des
Glaubens nicht kannten. In Wercho konnten die Bauern weder beten noch
wußten sie etwas von den zehn Geboten und den Glaubensartikeln. In
Schlieben riethen die Visitatoren selbst dem Pröpste, die Nachmittagspredigt ein¬
zustellen, und "das Wort Gottes nicht vor die Säue zu werfen". In Schönau
und Cölpien hatte man sich offen gegen die Predigt aufgelehnt. In Duden
war der kirchliche Sinn so sehr erloschen, daß oft kaum drei Menschen dem
Gottesdienste beiwohnten, und wie arg es um die Sitten bestellt war, sehen wir
daraus, daß in diesem Städtchen mit seinen 110 Familien in einem Jahre 15
uneheliche Kinder getauft worden waren. In Zinna weigerten sich die Leute,
das Vaterunser zu lernen, weil es "zu lang" sei. Oeffentliche Störungen des
Gottesdienstes durch Unterbrechung der Predigt waren nichts Seltenes. In
Süptitz zogen die Bauern während der Kirche mit Pauken auf, dort wie in
Mukrehna bewahrte man das Pfingstbier im Gotteshause auf.

Diese und ähnliche Beispiele der Verwilderung des Volkes gestatten einen
Rückschluß auf die Wirksamkeit der Geistlichen. Viele waren zwar dem Be¬
kenntnisse nach lutherisch, huldigten aber noch den katholischen Gebräuchen, ge¬
brauchten Weihwasser und spendeten das Abendmahl in einerlei Gestalt. Manche
vertraten sogar beide Bekenntnisse. In Eifrig konnte der Pfarrer Vaterunser
und Glauben nur mit gebrochnen Worten hersagen, dagegen war er ein viel¬
begehrter Teufelsbanner. Mehrfach mußte man die Seelsorger um ihrer selbst
und der beschränkten Fassungskraft ihrer Gemeinden willen anweisen, das Wort
Gottes "aufs gröbste" auszulegen, wozu es eine gedruckte Anweisung gab. In
wendischen Orten fehlte es vielfach aus sprachlichen Gründen an Geistlichen.
Die Zahl der Pfarrer, die in Trunksucht, wilder Ehe und Hader mit ihren


theile des Kurfürstenthums, die bis 1529 fortgesetzt wurde, und bei der man
mit möglichster Schonung der kirchlichen Elemente verfuhr, ihnen Zeit zur Aus¬
bildung im Sinne-der Reformation gewährte und die materielle Besserung der
Pfarrstellen in den Vordergrund stellte. Daß letzteres sehr nöthig war, mag
ein Blick auf die Ergebnisse dieser ersten ordentlichen Visitation zeigen. Zugleich
aber wird man daraus ersehen, wie es damals um die sittlichen Zustünde und
das Wisse» der Geistlichkeit und um die Schulen der betreffenden Land¬
striche stand.

Nur etwa vier Fünftel der Pfarrer entsprachen im Kurkreise den An¬
forderungen, welche die Visitatoren, unter denen sich Luther selbst befand, stellten.
Ferner herrschte Mangel an Geistlichen. Die materielle Lage derselben war viel-
fach ungünstig. Groß war die Rohheit des Volkes nicht blos in den Dörfern,
sondern auch in den kleinen Städten. Den Besseren sogar war schon ein zwei¬
maliger Gottesdienst in der Woche zuviel. Ueberall fanden sich viele, die man
nicht zum Genusse des Abendmahls lassen konnte, weil sie die Hauptstücke des
Glaubens nicht kannten. In Wercho konnten die Bauern weder beten noch
wußten sie etwas von den zehn Geboten und den Glaubensartikeln. In
Schlieben riethen die Visitatoren selbst dem Pröpste, die Nachmittagspredigt ein¬
zustellen, und „das Wort Gottes nicht vor die Säue zu werfen". In Schönau
und Cölpien hatte man sich offen gegen die Predigt aufgelehnt. In Duden
war der kirchliche Sinn so sehr erloschen, daß oft kaum drei Menschen dem
Gottesdienste beiwohnten, und wie arg es um die Sitten bestellt war, sehen wir
daraus, daß in diesem Städtchen mit seinen 110 Familien in einem Jahre 15
uneheliche Kinder getauft worden waren. In Zinna weigerten sich die Leute,
das Vaterunser zu lernen, weil es „zu lang" sei. Oeffentliche Störungen des
Gottesdienstes durch Unterbrechung der Predigt waren nichts Seltenes. In
Süptitz zogen die Bauern während der Kirche mit Pauken auf, dort wie in
Mukrehna bewahrte man das Pfingstbier im Gotteshause auf.

Diese und ähnliche Beispiele der Verwilderung des Volkes gestatten einen
Rückschluß auf die Wirksamkeit der Geistlichen. Viele waren zwar dem Be¬
kenntnisse nach lutherisch, huldigten aber noch den katholischen Gebräuchen, ge¬
brauchten Weihwasser und spendeten das Abendmahl in einerlei Gestalt. Manche
vertraten sogar beide Bekenntnisse. In Eifrig konnte der Pfarrer Vaterunser
und Glauben nur mit gebrochnen Worten hersagen, dagegen war er ein viel¬
begehrter Teufelsbanner. Mehrfach mußte man die Seelsorger um ihrer selbst
und der beschränkten Fassungskraft ihrer Gemeinden willen anweisen, das Wort
Gottes „aufs gröbste" auszulegen, wozu es eine gedruckte Anweisung gab. In
wendischen Orten fehlte es vielfach aus sprachlichen Gründen an Geistlichen.
Die Zahl der Pfarrer, die in Trunksucht, wilder Ehe und Hader mit ihren


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[0539] theile des Kurfürstenthums, die bis 1529 fortgesetzt wurde, und bei der man mit möglichster Schonung der kirchlichen Elemente verfuhr, ihnen Zeit zur Aus¬ bildung im Sinne-der Reformation gewährte und die materielle Besserung der Pfarrstellen in den Vordergrund stellte. Daß letzteres sehr nöthig war, mag ein Blick auf die Ergebnisse dieser ersten ordentlichen Visitation zeigen. Zugleich aber wird man daraus ersehen, wie es damals um die sittlichen Zustünde und das Wisse» der Geistlichkeit und um die Schulen der betreffenden Land¬ striche stand. Nur etwa vier Fünftel der Pfarrer entsprachen im Kurkreise den An¬ forderungen, welche die Visitatoren, unter denen sich Luther selbst befand, stellten. Ferner herrschte Mangel an Geistlichen. Die materielle Lage derselben war viel- fach ungünstig. Groß war die Rohheit des Volkes nicht blos in den Dörfern, sondern auch in den kleinen Städten. Den Besseren sogar war schon ein zwei¬ maliger Gottesdienst in der Woche zuviel. Ueberall fanden sich viele, die man nicht zum Genusse des Abendmahls lassen konnte, weil sie die Hauptstücke des Glaubens nicht kannten. In Wercho konnten die Bauern weder beten noch wußten sie etwas von den zehn Geboten und den Glaubensartikeln. In Schlieben riethen die Visitatoren selbst dem Pröpste, die Nachmittagspredigt ein¬ zustellen, und „das Wort Gottes nicht vor die Säue zu werfen". In Schönau und Cölpien hatte man sich offen gegen die Predigt aufgelehnt. In Duden war der kirchliche Sinn so sehr erloschen, daß oft kaum drei Menschen dem Gottesdienste beiwohnten, und wie arg es um die Sitten bestellt war, sehen wir daraus, daß in diesem Städtchen mit seinen 110 Familien in einem Jahre 15 uneheliche Kinder getauft worden waren. In Zinna weigerten sich die Leute, das Vaterunser zu lernen, weil es „zu lang" sei. Oeffentliche Störungen des Gottesdienstes durch Unterbrechung der Predigt waren nichts Seltenes. In Süptitz zogen die Bauern während der Kirche mit Pauken auf, dort wie in Mukrehna bewahrte man das Pfingstbier im Gotteshause auf. Diese und ähnliche Beispiele der Verwilderung des Volkes gestatten einen Rückschluß auf die Wirksamkeit der Geistlichen. Viele waren zwar dem Be¬ kenntnisse nach lutherisch, huldigten aber noch den katholischen Gebräuchen, ge¬ brauchten Weihwasser und spendeten das Abendmahl in einerlei Gestalt. Manche vertraten sogar beide Bekenntnisse. In Eifrig konnte der Pfarrer Vaterunser und Glauben nur mit gebrochnen Worten hersagen, dagegen war er ein viel¬ begehrter Teufelsbanner. Mehrfach mußte man die Seelsorger um ihrer selbst und der beschränkten Fassungskraft ihrer Gemeinden willen anweisen, das Wort Gottes „aufs gröbste" auszulegen, wozu es eine gedruckte Anweisung gab. In wendischen Orten fehlte es vielfach aus sprachlichen Gründen an Geistlichen. Die Zahl der Pfarrer, die in Trunksucht, wilder Ehe und Hader mit ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/539>, abgerufen am 23.07.2024.