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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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zunächst in dem anmuthigen Unkel am Rhein. Hier verlobte er sich 1840 mit
Jda Melos aus Weimar, verheirathete sich mit ihr im Mai 1841 und zog
nach Darmstadt, mit der Absicht, dort ein Blatt "Britannia" zu begründen, welches
deutsches und englisches Volksthum, deutsche und englische Literatur mit ein¬
ander in Fühlung bringen sollte. Das Unternehmen scheiterte jedoch an der
Aengstlichkeit der Verlagshandlung.

In Darmstadt trat Freiligrath in freundschaftliche Beziehung zu dem
Gymnasiallehrer August Nodnagel, welcher diese und jene literargeschichtliche
Arbeiten lieferte und sich von unserem Freunde für ein -- nicht über das erste
Bändchen gefördertes -- Unternehmen "Deutsche Dichter der Gegenwart" 1842
genauere Angaben über Freiligraths Lebensgang erbat, da die bisher veröffent¬
lichten Notizen mannigfach Unrichtiges enthielten. Daraufhin schrieb Freilig¬
rath an Nodnagel im Sommer 1841 folgenden Brief, welcher die zweite authen¬
tische Kunde über Freiligraths bisheriges Leben gibt:

Darmstadt, 21. August 1841.


Lieber Nodnagel!

Vergib, daß ich Dich mit den versprochenen Notizen so lange hingehalten habe!
Zeit und Lust fehlte", und ich konnte wahrlich nicht eher dazu kommen, als eben jetzt,
wo der frische herrliche Morgen mich ebensosehr mahnt, als tüchtig macht, Dir Wort
zu halten. Ich knüpfe meine Mittheilungen Wohl am besten an den Artikel über mich
im bekommenden 12. Heft des Wigcmdschen Convcrsationslexicons, den ich, was das
Chronologische darin betrifft, durchaus bestätigen kann, und nur allerlei sachliches be¬
richtigen muß. Es ist nämlich durchaus unwahr, daß ich "unter dem Mangel an allen
geistig anregenden Einflüssen aufgewachsen sei." Mein Vater war Lehrer an der Det-
molder Bürgerschule, ein braver, edler, und in seiner Stellung tüchtiger und geachteter
Mann, der gewiß zu erkennen und zu fördern wußte, was allenfalls in mir lag. Ich
erinnere mich noch jetzt mit Thränen in den Augen der Freude, mit der er die ersten
Anfänge des Achtjährigen begrüßte, und der Opfer, die Er, der finanziell vielfach be¬
schränkte und beengte, mit Liebe brachte, wo es galt, meine Ausbildung zu fördern.
Ich liebte ihn über Alles, u. weiß was ich ihm zu danken habe! -- Außer ihm nahm
sich vornehmlich unser alter Nachbar, der Historiker Clostermeier der geistigen Förderung
des kleinen Poeten an. Ich mußte allwöchentlich zwei Mal zu einer bestimmten Zeit
zu ihm kommen, theils um ihm Rechenschaft über meine Schulstndien zu geben, theils
um von ihm selbst allerlei sprachliches u. Historisches, was ich eben auf dem Gym¬
nasium nicht zu hören bekam nebenbei zu empfangen. Durch meine Freude daran u.
die Leichtigkeit mit der ich mir alles aneignete, war ich sein erklärter Liebling, wozu
vielleicht auch die Naivetät und der kindische Witz, durch die ich ihn nicht selten ergötzte,
nicht wenig beitrugen. Wenn seine Tochter (Grabbes Wittwe) nächsten Monat nach


zunächst in dem anmuthigen Unkel am Rhein. Hier verlobte er sich 1840 mit
Jda Melos aus Weimar, verheirathete sich mit ihr im Mai 1841 und zog
nach Darmstadt, mit der Absicht, dort ein Blatt „Britannia" zu begründen, welches
deutsches und englisches Volksthum, deutsche und englische Literatur mit ein¬
ander in Fühlung bringen sollte. Das Unternehmen scheiterte jedoch an der
Aengstlichkeit der Verlagshandlung.

In Darmstadt trat Freiligrath in freundschaftliche Beziehung zu dem
Gymnasiallehrer August Nodnagel, welcher diese und jene literargeschichtliche
Arbeiten lieferte und sich von unserem Freunde für ein — nicht über das erste
Bändchen gefördertes — Unternehmen „Deutsche Dichter der Gegenwart" 1842
genauere Angaben über Freiligraths Lebensgang erbat, da die bisher veröffent¬
lichten Notizen mannigfach Unrichtiges enthielten. Daraufhin schrieb Freilig¬
rath an Nodnagel im Sommer 1841 folgenden Brief, welcher die zweite authen¬
tische Kunde über Freiligraths bisheriges Leben gibt:

Darmstadt, 21. August 1841.


Lieber Nodnagel!

Vergib, daß ich Dich mit den versprochenen Notizen so lange hingehalten habe!
Zeit und Lust fehlte», und ich konnte wahrlich nicht eher dazu kommen, als eben jetzt,
wo der frische herrliche Morgen mich ebensosehr mahnt, als tüchtig macht, Dir Wort
zu halten. Ich knüpfe meine Mittheilungen Wohl am besten an den Artikel über mich
im bekommenden 12. Heft des Wigcmdschen Convcrsationslexicons, den ich, was das
Chronologische darin betrifft, durchaus bestätigen kann, und nur allerlei sachliches be¬
richtigen muß. Es ist nämlich durchaus unwahr, daß ich „unter dem Mangel an allen
geistig anregenden Einflüssen aufgewachsen sei." Mein Vater war Lehrer an der Det-
molder Bürgerschule, ein braver, edler, und in seiner Stellung tüchtiger und geachteter
Mann, der gewiß zu erkennen und zu fördern wußte, was allenfalls in mir lag. Ich
erinnere mich noch jetzt mit Thränen in den Augen der Freude, mit der er die ersten
Anfänge des Achtjährigen begrüßte, und der Opfer, die Er, der finanziell vielfach be¬
schränkte und beengte, mit Liebe brachte, wo es galt, meine Ausbildung zu fördern.
Ich liebte ihn über Alles, u. weiß was ich ihm zu danken habe! — Außer ihm nahm
sich vornehmlich unser alter Nachbar, der Historiker Clostermeier der geistigen Förderung
des kleinen Poeten an. Ich mußte allwöchentlich zwei Mal zu einer bestimmten Zeit
zu ihm kommen, theils um ihm Rechenschaft über meine Schulstndien zu geben, theils
um von ihm selbst allerlei sprachliches u. Historisches, was ich eben auf dem Gym¬
nasium nicht zu hören bekam nebenbei zu empfangen. Durch meine Freude daran u.
die Leichtigkeit mit der ich mir alles aneignete, war ich sein erklärter Liebling, wozu
vielleicht auch die Naivetät und der kindische Witz, durch die ich ihn nicht selten ergötzte,
nicht wenig beitrugen. Wenn seine Tochter (Grabbes Wittwe) nächsten Monat nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/506>, abgerufen am 26.08.2024.