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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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folgte eine zweite Proklamation, welche Staat und Behörden für aufgelöst
erklärte. Das Großherzogthum Frankfurt hatte aufgehört zu existiren, und
mit ihm war die politische Laufbahn des Mannes zu Ende, dem ein unheil¬
volles Geschick zu seinem und seines Vaterlandes Unglück die Aufgaben eines
Staatsmannes gestellt hatte, während ihm jede Fähigkeit zur Lösung derselben
in solcher Zeit versagt war.

Dem beweglichen Geiste des Entthronten entspricht es völlig, wenn er
auch dieser Wendung bald eine versöhnende, mildernde Seite abzugewinnen
wußte. Schon am 31. Juli 1814 konnte er in einem Briefe an Karoline von
Wolzogen schreiben: "Gewiß liegen in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen
herrliche Elemente für Nationalität, liberale Formen und wahre Freiheit. Dem
göttlichen Willen, der das Schwert gelenkt hat und bei den bevorstehenden Ver¬
handlungen die Feder leiten wird, bin ich unbegrenzt ergeben.", Er konnte aus
dem Sturze des Imperators die Lehre schöpfen: "Ueberspannte Kräfte führen
am Ende meistens zum Untergange"; er konnte in Alexander von Rußland
den "rächenden Erzengel" begrüßen, ja sich damit schmeicheln, auch jetzt noch
durch die Kraft seines Wortes zum Wohle deutscher Nation wirken zu können.
Das, was er an dieser Nation verschuldet, ist ihm nie zum Bewußtsein ge¬
kommen, und von dem stolzen, enthusiastischen Nationalgefühl und den un¬
vergleichlichen Opfern der Preußen, die in Wahrheit das rächende Schwert ge¬
führt hatten, hat er auch zur Zeit ihrer großartigsten Entfaltung nichts geahnt.

Wenn aber Dalberg seiue politische Laufbahn ohne Bedauern schloß, wie
auch andrerseits niemand es bedauerte, daß er sie schloß, auf seine geistlichen
Befugnisse hatte er damit nicht verzichtet, und manches, was in ihrer Aus¬
übung in seinen letzten Lebensjahren hervorgetreten ist, zeigt wenigstens, daß
er auf diesem Gebiete seinen alten Idealen treu blieb. Er war noch vor Ende
Oktober 1813 nach Zürich abgereist, wo die Tagsatzung über ihre Neutralität
berieth. Umsonst hatte ihm sein Generalvikar für Constanz, H- v. Wessenberg,
davon abgerathen, denn seit Jahren schon arbeitete der päpstliche Nuntius in
der Schweiz daran, dieselbe vom Bisthum Constanz abzulösen, um sie so der
in Rom tief verhaßten Einwirkung des freisinnigen Wessenberg zu entziehen,
und mit Recht fürchtete dieser, Dalberg werde schließlich den Intriguen des
Nuntius erliegen. In der That willigte der Bischof darein, für die Schweiz
einen andern Generalvikar zu ernennen, stand jedoch zunächst davon ab, als
Wessenberg daraufhin Ende 1813 seine Entlassung forderte, und zog sich nach
Regensburg zurück. Bald aber, im Januar 1815, enthob er ihn doch seines
Amtes und sandte ihn nach Wien, um hier für die Herstellung der katholischen
deutschen Kirche im nationalen Sinne und für seine eigenen Interessen zu
wirken, später zu demselben Zwecke nach Frankfurt, wo die Bundesversammlung


folgte eine zweite Proklamation, welche Staat und Behörden für aufgelöst
erklärte. Das Großherzogthum Frankfurt hatte aufgehört zu existiren, und
mit ihm war die politische Laufbahn des Mannes zu Ende, dem ein unheil¬
volles Geschick zu seinem und seines Vaterlandes Unglück die Aufgaben eines
Staatsmannes gestellt hatte, während ihm jede Fähigkeit zur Lösung derselben
in solcher Zeit versagt war.

Dem beweglichen Geiste des Entthronten entspricht es völlig, wenn er
auch dieser Wendung bald eine versöhnende, mildernde Seite abzugewinnen
wußte. Schon am 31. Juli 1814 konnte er in einem Briefe an Karoline von
Wolzogen schreiben: „Gewiß liegen in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen
herrliche Elemente für Nationalität, liberale Formen und wahre Freiheit. Dem
göttlichen Willen, der das Schwert gelenkt hat und bei den bevorstehenden Ver¬
handlungen die Feder leiten wird, bin ich unbegrenzt ergeben.", Er konnte aus
dem Sturze des Imperators die Lehre schöpfen: „Ueberspannte Kräfte führen
am Ende meistens zum Untergange"; er konnte in Alexander von Rußland
den „rächenden Erzengel" begrüßen, ja sich damit schmeicheln, auch jetzt noch
durch die Kraft seines Wortes zum Wohle deutscher Nation wirken zu können.
Das, was er an dieser Nation verschuldet, ist ihm nie zum Bewußtsein ge¬
kommen, und von dem stolzen, enthusiastischen Nationalgefühl und den un¬
vergleichlichen Opfern der Preußen, die in Wahrheit das rächende Schwert ge¬
führt hatten, hat er auch zur Zeit ihrer großartigsten Entfaltung nichts geahnt.

Wenn aber Dalberg seiue politische Laufbahn ohne Bedauern schloß, wie
auch andrerseits niemand es bedauerte, daß er sie schloß, auf seine geistlichen
Befugnisse hatte er damit nicht verzichtet, und manches, was in ihrer Aus¬
übung in seinen letzten Lebensjahren hervorgetreten ist, zeigt wenigstens, daß
er auf diesem Gebiete seinen alten Idealen treu blieb. Er war noch vor Ende
Oktober 1813 nach Zürich abgereist, wo die Tagsatzung über ihre Neutralität
berieth. Umsonst hatte ihm sein Generalvikar für Constanz, H- v. Wessenberg,
davon abgerathen, denn seit Jahren schon arbeitete der päpstliche Nuntius in
der Schweiz daran, dieselbe vom Bisthum Constanz abzulösen, um sie so der
in Rom tief verhaßten Einwirkung des freisinnigen Wessenberg zu entziehen,
und mit Recht fürchtete dieser, Dalberg werde schließlich den Intriguen des
Nuntius erliegen. In der That willigte der Bischof darein, für die Schweiz
einen andern Generalvikar zu ernennen, stand jedoch zunächst davon ab, als
Wessenberg daraufhin Ende 1813 seine Entlassung forderte, und zog sich nach
Regensburg zurück. Bald aber, im Januar 1815, enthob er ihn doch seines
Amtes und sandte ihn nach Wien, um hier für die Herstellung der katholischen
deutschen Kirche im nationalen Sinne und für seine eigenen Interessen zu
wirken, später zu demselben Zwecke nach Frankfurt, wo die Bundesversammlung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/499>, abgerufen am 27.08.2024.