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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Landtruppen, wenigstens in den ersten vier oder fünf Monaten, kaum mehr
als zwei Armeekorps, also etwa 70000 Mann stellen.

Diese Geringfügigkeit der auswärts verwendbaren Militärmacht Englands
wird schwer zu beseitigen sein, und man wird ihr nicht eher abhelfen können,
als bis man sich entschließt, mit dem parlamentarischen Grundsatze zu brechen,
der in der sogenannten Rudo^ ihren Ausdruck gefunden hat und in der
Ansicht wurzelt, daß ein stehendes Heer in Friedenszeiten vom Uebel sei.
Wiederholte Versuche der Könige aus dem Hause Stuart, die Verfassung mit
Hilfe eines stehenden Söldnerheeres umzustürzen, waren der Grund dieser An¬
sicht. Da man aber eine Armee haben mußte, so ertheilte das Parlament seit
dem Jahre 1689 alljährlich von neuem der Regierung die Erlaubniß, eine
solche zu werben, bewilligte die dazu erforderlichen Mittel und gestattete die
Handhabung der Manneszucht nach Kriegsartikeln. Durch dieses Verfahren
ist in England zwar ein stehendes Heer entstanden, rechtlich aber ist dessen
Existenz eine jederzeit widerrufliche geblieben, und in den organisatorischen
Gesetzen der Rudo^ Lili, durch welche das Parlament diese Existenz alljähr¬
lich neu legalisirt und die Zahl der Mannschaften feststellt, tritt überall das
Bestreben hervor, keine Ordnungen aufkommen zu lassen, welche das parlamen¬
tarische und bürgerliche Recht irgendwie beeinträchtigen könnten. So vom
Parlament und den wechselnden Parteiministerien abhängig, vom Volke gering
geachtet, nicht als Glied, sondern als bloßes Werkzeug des nationalen Körpers
angesehen, kann die englische Armee zwar nie zu einer Gefahr für England
selbst werden, aber auch zu keinem genügenden Machtmittel nach außen hin,
insofern es sich um einen großen Kontinentalkrieg handelt. Es wird, so lange
das Parlament sich nicht eines guten Theils seines Einflusses auf die Bestim¬
mung seiner Stärke und seiner Einrichtungen begibt, die Regierung nie be¬
fähigen, auch nur einer der großen Militärmächte Europas ebenbürtig entgegen
oder an die Seite treten zu können.

Nun hat Graf Montecuculi gesagt, zum Kriegführen gehöre erstens Geld
Zweitens Geld und drittens Geld, und wir wissen aus Erfahrung, daß er
Recht hat. Hier stellt sich die Sache hinsichtlich der Bedeutung Englands
anders; denn es hat eben viel Geld und folglich reichliche Mittel zu Kriegen
und zur Unterstützung von Bundesgenossen durch Subsidien. Ein russischer
Nationalökonom hat vor kurzem hierüber seine Betrachtungen angestellt und ist
zu Ergebnissen gelangt, die wir nach den Mittheilungen der "Se. Petersburger
Zeitung" hier folgen lassen. Thatsache ist, daß England schon seit Beginn des
gegenwärtigen Jahrhunderts der einzige Staat in Europa gewesen ist, der einen
bedeutenden Theil der ihm aus Kriegen erwachsenen Kosten und Schulden so¬
fort und unmittelbar durch stärkere Besteuerung zu decken vermocht hat. So


Landtruppen, wenigstens in den ersten vier oder fünf Monaten, kaum mehr
als zwei Armeekorps, also etwa 70000 Mann stellen.

Diese Geringfügigkeit der auswärts verwendbaren Militärmacht Englands
wird schwer zu beseitigen sein, und man wird ihr nicht eher abhelfen können,
als bis man sich entschließt, mit dem parlamentarischen Grundsatze zu brechen,
der in der sogenannten Rudo^ ihren Ausdruck gefunden hat und in der
Ansicht wurzelt, daß ein stehendes Heer in Friedenszeiten vom Uebel sei.
Wiederholte Versuche der Könige aus dem Hause Stuart, die Verfassung mit
Hilfe eines stehenden Söldnerheeres umzustürzen, waren der Grund dieser An¬
sicht. Da man aber eine Armee haben mußte, so ertheilte das Parlament seit
dem Jahre 1689 alljährlich von neuem der Regierung die Erlaubniß, eine
solche zu werben, bewilligte die dazu erforderlichen Mittel und gestattete die
Handhabung der Manneszucht nach Kriegsartikeln. Durch dieses Verfahren
ist in England zwar ein stehendes Heer entstanden, rechtlich aber ist dessen
Existenz eine jederzeit widerrufliche geblieben, und in den organisatorischen
Gesetzen der Rudo^ Lili, durch welche das Parlament diese Existenz alljähr¬
lich neu legalisirt und die Zahl der Mannschaften feststellt, tritt überall das
Bestreben hervor, keine Ordnungen aufkommen zu lassen, welche das parlamen¬
tarische und bürgerliche Recht irgendwie beeinträchtigen könnten. So vom
Parlament und den wechselnden Parteiministerien abhängig, vom Volke gering
geachtet, nicht als Glied, sondern als bloßes Werkzeug des nationalen Körpers
angesehen, kann die englische Armee zwar nie zu einer Gefahr für England
selbst werden, aber auch zu keinem genügenden Machtmittel nach außen hin,
insofern es sich um einen großen Kontinentalkrieg handelt. Es wird, so lange
das Parlament sich nicht eines guten Theils seines Einflusses auf die Bestim¬
mung seiner Stärke und seiner Einrichtungen begibt, die Regierung nie be¬
fähigen, auch nur einer der großen Militärmächte Europas ebenbürtig entgegen
oder an die Seite treten zu können.

Nun hat Graf Montecuculi gesagt, zum Kriegführen gehöre erstens Geld
Zweitens Geld und drittens Geld, und wir wissen aus Erfahrung, daß er
Recht hat. Hier stellt sich die Sache hinsichtlich der Bedeutung Englands
anders; denn es hat eben viel Geld und folglich reichliche Mittel zu Kriegen
und zur Unterstützung von Bundesgenossen durch Subsidien. Ein russischer
Nationalökonom hat vor kurzem hierüber seine Betrachtungen angestellt und ist
zu Ergebnissen gelangt, die wir nach den Mittheilungen der „Se. Petersburger
Zeitung" hier folgen lassen. Thatsache ist, daß England schon seit Beginn des
gegenwärtigen Jahrhunderts der einzige Staat in Europa gewesen ist, der einen
bedeutenden Theil der ihm aus Kriegen erwachsenen Kosten und Schulden so¬
fort und unmittelbar durch stärkere Besteuerung zu decken vermocht hat. So


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[0487] Landtruppen, wenigstens in den ersten vier oder fünf Monaten, kaum mehr als zwei Armeekorps, also etwa 70000 Mann stellen. Diese Geringfügigkeit der auswärts verwendbaren Militärmacht Englands wird schwer zu beseitigen sein, und man wird ihr nicht eher abhelfen können, als bis man sich entschließt, mit dem parlamentarischen Grundsatze zu brechen, der in der sogenannten Rudo^ ihren Ausdruck gefunden hat und in der Ansicht wurzelt, daß ein stehendes Heer in Friedenszeiten vom Uebel sei. Wiederholte Versuche der Könige aus dem Hause Stuart, die Verfassung mit Hilfe eines stehenden Söldnerheeres umzustürzen, waren der Grund dieser An¬ sicht. Da man aber eine Armee haben mußte, so ertheilte das Parlament seit dem Jahre 1689 alljährlich von neuem der Regierung die Erlaubniß, eine solche zu werben, bewilligte die dazu erforderlichen Mittel und gestattete die Handhabung der Manneszucht nach Kriegsartikeln. Durch dieses Verfahren ist in England zwar ein stehendes Heer entstanden, rechtlich aber ist dessen Existenz eine jederzeit widerrufliche geblieben, und in den organisatorischen Gesetzen der Rudo^ Lili, durch welche das Parlament diese Existenz alljähr¬ lich neu legalisirt und die Zahl der Mannschaften feststellt, tritt überall das Bestreben hervor, keine Ordnungen aufkommen zu lassen, welche das parlamen¬ tarische und bürgerliche Recht irgendwie beeinträchtigen könnten. So vom Parlament und den wechselnden Parteiministerien abhängig, vom Volke gering geachtet, nicht als Glied, sondern als bloßes Werkzeug des nationalen Körpers angesehen, kann die englische Armee zwar nie zu einer Gefahr für England selbst werden, aber auch zu keinem genügenden Machtmittel nach außen hin, insofern es sich um einen großen Kontinentalkrieg handelt. Es wird, so lange das Parlament sich nicht eines guten Theils seines Einflusses auf die Bestim¬ mung seiner Stärke und seiner Einrichtungen begibt, die Regierung nie be¬ fähigen, auch nur einer der großen Militärmächte Europas ebenbürtig entgegen oder an die Seite treten zu können. Nun hat Graf Montecuculi gesagt, zum Kriegführen gehöre erstens Geld Zweitens Geld und drittens Geld, und wir wissen aus Erfahrung, daß er Recht hat. Hier stellt sich die Sache hinsichtlich der Bedeutung Englands anders; denn es hat eben viel Geld und folglich reichliche Mittel zu Kriegen und zur Unterstützung von Bundesgenossen durch Subsidien. Ein russischer Nationalökonom hat vor kurzem hierüber seine Betrachtungen angestellt und ist zu Ergebnissen gelangt, die wir nach den Mittheilungen der „Se. Petersburger Zeitung" hier folgen lassen. Thatsache ist, daß England schon seit Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts der einzige Staat in Europa gewesen ist, der einen bedeutenden Theil der ihm aus Kriegen erwachsenen Kosten und Schulden so¬ fort und unmittelbar durch stärkere Besteuerung zu decken vermocht hat. So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/487>, abgerufen am 23.07.2024.