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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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zu billigen vermocht. Hier hatte die Abneigung gegen die freie Wahl der Ge¬
meinden einen entschiedenen Sieg errungen. § 11 bestimmte: "Im Falle
der Nichtbestätigung des Gewählten hat das Konsistorium dieselbe näher zu
begründen." Damit war thatsächlich die Wahl der Gemeinden aufgehoben,
war es wesentlich in die Hand des Konsistoriums, in seiue freie Entscheidung
gelegt, ob die Wahl der Gemeinde giltig sein solle oder nicht. Diese Fassung
ist in der zweiten Lesung beseitigt und gemäß dem Antrag Schrader - Königs¬
berg, Köstliu, v. Kennowski in Einklang mit der Verordnung von 1874 durch
folgende Bestimmung ersetzt worden: "Die Berufung darf, abgesehen von
dem aus der Gemeinde erhobenen berechtigten Einspruch, nur versagt werden:
1.) wegen Gesetzwidrigkeit des Wahlverfahrens; 2.) wegen Mangels der gesetz¬
lichen Wählbarkeit des Gewählten; 3.) wegen Verletzung der Vorschriften des
Z 3 dieses Gesetzes*);! 4.) wegen geistiger oder körperlicher Unfähigkeit des
Erwählten, das Amt zu verwalten.

Zur Erläuterung dieser ganzen Angelegenheit bemerken wir Folgendes:
In der evangelischen Landeskirche Altpreußens herrschen und herrschten seit
langer Zeit die mannichfaltigsten Besetzungsweisen, Ernennungen durch die
Konsistorien als Vertreter des landesherrlichen Patronats, Ernennungen durch
Privatpatronate auf der einen Seite, Wahl durch die Gemeinde auf der andern
Seite. In letzterem Falle sind bald alle selbständigen Gemeindeglieder bethei¬
ligt, bald nur die vertretenden Organe. In Folge der Synodal-Ordnung vom
10. September 1873, die in 8 32,2 festsetzt: "Pfarrstellen, welche bisher auf
Grund des fiskalischen Patronats, spezieller Statuten oder aus anderen Gründen
der freien kirchenregimentlichen Verleihung unterlegen haben, werden dergestalt
besetzt, daß die Kirchenbehörde in dem einen Erledigungsfalle mit, in dem
anderen ohne Konkurrenz einer Gemeindewahl den Pfarrer beruft", sind nun
die königlichen Verordnungen vom 2. Dezember 1874 und vom 25. Juli 1876
ergangen, welche die Ausführung jener Synodal-Bestimmung regeln. Das
Gebiet der freien Pfarrwahlen ist dadurch um ein erhebliches erweitert. Fragt
man, ob wir diese Erweiterung sür wünschenswert!) erachten, so gestehen wir
offen, daß unsere Stimmung eine getheilte ist. Die Art und Weise, wie sich
die Gemeinden in den östlichen Provinzen bei freien Pfarrwahlen verhalten,
ist oft wenig mustergiltig. Darüber, daß die Gemeinden sich etwa geneigt
zeigten, ausschließlich einer liberalen Richtung angehörige Geistliche zu wühlen,



Z S beschränkt die Pfarrwahl insofern, als in Pfarrstellen, deren Jahreseinkommen,
ausschließlich der Dienstwohnnngsnutzung, 3600 Mark übersteigt, nur Geistliche von minde¬
stens zehn Dienstjahrcn, in Pfarrstellen, deren Jahreseinkommen, ausschließlich der Dienst-
wohnungsuutzung, 5400 Mark übersteigt, nur solche von mindestens fünfzehn Dienstjahren
gewählt werden dürfen.

zu billigen vermocht. Hier hatte die Abneigung gegen die freie Wahl der Ge¬
meinden einen entschiedenen Sieg errungen. § 11 bestimmte: „Im Falle
der Nichtbestätigung des Gewählten hat das Konsistorium dieselbe näher zu
begründen." Damit war thatsächlich die Wahl der Gemeinden aufgehoben,
war es wesentlich in die Hand des Konsistoriums, in seiue freie Entscheidung
gelegt, ob die Wahl der Gemeinde giltig sein solle oder nicht. Diese Fassung
ist in der zweiten Lesung beseitigt und gemäß dem Antrag Schrader - Königs¬
berg, Köstliu, v. Kennowski in Einklang mit der Verordnung von 1874 durch
folgende Bestimmung ersetzt worden: „Die Berufung darf, abgesehen von
dem aus der Gemeinde erhobenen berechtigten Einspruch, nur versagt werden:
1.) wegen Gesetzwidrigkeit des Wahlverfahrens; 2.) wegen Mangels der gesetz¬
lichen Wählbarkeit des Gewählten; 3.) wegen Verletzung der Vorschriften des
Z 3 dieses Gesetzes*);! 4.) wegen geistiger oder körperlicher Unfähigkeit des
Erwählten, das Amt zu verwalten.

Zur Erläuterung dieser ganzen Angelegenheit bemerken wir Folgendes:
In der evangelischen Landeskirche Altpreußens herrschen und herrschten seit
langer Zeit die mannichfaltigsten Besetzungsweisen, Ernennungen durch die
Konsistorien als Vertreter des landesherrlichen Patronats, Ernennungen durch
Privatpatronate auf der einen Seite, Wahl durch die Gemeinde auf der andern
Seite. In letzterem Falle sind bald alle selbständigen Gemeindeglieder bethei¬
ligt, bald nur die vertretenden Organe. In Folge der Synodal-Ordnung vom
10. September 1873, die in 8 32,2 festsetzt: „Pfarrstellen, welche bisher auf
Grund des fiskalischen Patronats, spezieller Statuten oder aus anderen Gründen
der freien kirchenregimentlichen Verleihung unterlegen haben, werden dergestalt
besetzt, daß die Kirchenbehörde in dem einen Erledigungsfalle mit, in dem
anderen ohne Konkurrenz einer Gemeindewahl den Pfarrer beruft", sind nun
die königlichen Verordnungen vom 2. Dezember 1874 und vom 25. Juli 1876
ergangen, welche die Ausführung jener Synodal-Bestimmung regeln. Das
Gebiet der freien Pfarrwahlen ist dadurch um ein erhebliches erweitert. Fragt
man, ob wir diese Erweiterung sür wünschenswert!) erachten, so gestehen wir
offen, daß unsere Stimmung eine getheilte ist. Die Art und Weise, wie sich
die Gemeinden in den östlichen Provinzen bei freien Pfarrwahlen verhalten,
ist oft wenig mustergiltig. Darüber, daß die Gemeinden sich etwa geneigt
zeigten, ausschließlich einer liberalen Richtung angehörige Geistliche zu wühlen,



Z S beschränkt die Pfarrwahl insofern, als in Pfarrstellen, deren Jahreseinkommen,
ausschließlich der Dienstwohnnngsnutzung, 3600 Mark übersteigt, nur Geistliche von minde¬
stens zehn Dienstjahrcn, in Pfarrstellen, deren Jahreseinkommen, ausschließlich der Dienst-
wohnungsuutzung, 5400 Mark übersteigt, nur solche von mindestens fünfzehn Dienstjahren
gewählt werden dürfen.
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[0446] zu billigen vermocht. Hier hatte die Abneigung gegen die freie Wahl der Ge¬ meinden einen entschiedenen Sieg errungen. § 11 bestimmte: „Im Falle der Nichtbestätigung des Gewählten hat das Konsistorium dieselbe näher zu begründen." Damit war thatsächlich die Wahl der Gemeinden aufgehoben, war es wesentlich in die Hand des Konsistoriums, in seiue freie Entscheidung gelegt, ob die Wahl der Gemeinde giltig sein solle oder nicht. Diese Fassung ist in der zweiten Lesung beseitigt und gemäß dem Antrag Schrader - Königs¬ berg, Köstliu, v. Kennowski in Einklang mit der Verordnung von 1874 durch folgende Bestimmung ersetzt worden: „Die Berufung darf, abgesehen von dem aus der Gemeinde erhobenen berechtigten Einspruch, nur versagt werden: 1.) wegen Gesetzwidrigkeit des Wahlverfahrens; 2.) wegen Mangels der gesetz¬ lichen Wählbarkeit des Gewählten; 3.) wegen Verletzung der Vorschriften des Z 3 dieses Gesetzes*);! 4.) wegen geistiger oder körperlicher Unfähigkeit des Erwählten, das Amt zu verwalten. Zur Erläuterung dieser ganzen Angelegenheit bemerken wir Folgendes: In der evangelischen Landeskirche Altpreußens herrschen und herrschten seit langer Zeit die mannichfaltigsten Besetzungsweisen, Ernennungen durch die Konsistorien als Vertreter des landesherrlichen Patronats, Ernennungen durch Privatpatronate auf der einen Seite, Wahl durch die Gemeinde auf der andern Seite. In letzterem Falle sind bald alle selbständigen Gemeindeglieder bethei¬ ligt, bald nur die vertretenden Organe. In Folge der Synodal-Ordnung vom 10. September 1873, die in 8 32,2 festsetzt: „Pfarrstellen, welche bisher auf Grund des fiskalischen Patronats, spezieller Statuten oder aus anderen Gründen der freien kirchenregimentlichen Verleihung unterlegen haben, werden dergestalt besetzt, daß die Kirchenbehörde in dem einen Erledigungsfalle mit, in dem anderen ohne Konkurrenz einer Gemeindewahl den Pfarrer beruft", sind nun die königlichen Verordnungen vom 2. Dezember 1874 und vom 25. Juli 1876 ergangen, welche die Ausführung jener Synodal-Bestimmung regeln. Das Gebiet der freien Pfarrwahlen ist dadurch um ein erhebliches erweitert. Fragt man, ob wir diese Erweiterung sür wünschenswert!) erachten, so gestehen wir offen, daß unsere Stimmung eine getheilte ist. Die Art und Weise, wie sich die Gemeinden in den östlichen Provinzen bei freien Pfarrwahlen verhalten, ist oft wenig mustergiltig. Darüber, daß die Gemeinden sich etwa geneigt zeigten, ausschließlich einer liberalen Richtung angehörige Geistliche zu wühlen, Z S beschränkt die Pfarrwahl insofern, als in Pfarrstellen, deren Jahreseinkommen, ausschließlich der Dienstwohnnngsnutzung, 3600 Mark übersteigt, nur Geistliche von minde¬ stens zehn Dienstjahrcn, in Pfarrstellen, deren Jahreseinkommen, ausschließlich der Dienst- wohnungsuutzung, 5400 Mark übersteigt, nur solche von mindestens fünfzehn Dienstjahren gewählt werden dürfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/446>, abgerufen am 25.08.2024.