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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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hat man ganz ähnliche Vasen in den ältesten Gräbern gefunden. In Athen
haben neuere Nachgrabungen Prachtstücke (wenn das Wort erlaubt ist) dieses
geometrischen Stiles zu Tage gefördert, die bereits einen bedeutenden Fortschritt
der Technik zeigen. Der Töpfer hatte schon Vasen herzustellen gelernt, denen
nicht viel an Manneshöhe fehlt; die Fortschritte des Malers freilich lassen sich
mehr in Bezug auf das Wollen als das Können nachweisen. Die Grundlage
der Ornamentik ist noch 'genau ebenso wie die oben geschilderte, aber hier
wechseln bereits Streifen von Ornamenten mit figürlichen Darstellungen, die
allerdings in scheuslicher Zeichnung mehr angedeutet als ausgeführt sind. Auf
einer athenischen Vase z. B., die Professor Hirschfeld publizirt hat, sehen wir
in der Mitte auf hohem Paradebette den Verstorbenen, beklagt von seiner
Familie. Davor hält der vierrädrige, mit zwei Pferden bespannte Leichen¬
wagen. Auf der linken Seite hat sich der Chor der Klageweiber versammelt,
rechts der Chor der Männer, die kleine Speere in den Händen tragen. Ans
einem tieferen Streifen sieht man die Wagenlenker mit ihren Streitwagen, zur
Andeutung der Leichenspiele, die zu Ehren des Verstorbenen gehalten wurden.
Auf einer anderen in Athen gefundenen Vase ist eine Seeschlacht dargestellt: die
Schiffe mit ihren zwei Steuerrudern und dem sogenannten lateinischen Segel zeigen
eine merkwürdige Uebereinstimmung mit einer Darstellung auf Cesnolas Vasen,
gerade so, wie auch die Streitwagen und die eigenthümlich angeschirrten und
aufgeputzten Pferde an beiden Orten vollständig übereinstimmen. Auch an
andern Orten Griechenlands, in-Argos, Mykenae und Spata hat man deutliche
Spuren dieses primitiven Stiles gefunden. Selbst in Ober- und Mittelitalien
haben die Ausgrabungen, besonders in den ältesten etruskischen Nekropolen,
z. B. Tarquinii (Corneto), Caere :c., eine Menge von Bronze- und Thon¬
gefäßen ans Licht gefördert, die unverkennbar demselben Stile angehören. Ja
die Elemente dieser Ornamentik finden sich in noch viel weiteren Kreisen. Wer
zum ersten Male in Kopenhagen das schöne Museum für nordische Alterthümer
betritt, wird überrascht, auch hier denselben Geschmack, dieselben geometrischen
Ornamente wieder zu finden, so daß man sich des Gedankens nicht erwehren
kann, daß zwischen den Völkern des Nordens und denen des Mittelmeeres in
künstlerischer Beziehung irgend ein Zusammenhang existirt haben müsse. Denn
wenn man auch zugeben wollte, daß dieses oder jenes primitive Dekorations¬
motiv einmal im Süden und einmal im Norden selbständig erfunden sein
könnte, so bleibt doch so Vieles und so Eigenartiges übrig, daß diese Erklärung
nicht ausreicht.

Diesen Zusamenhang kann man sich in verschiedener Art vorstellen: ent¬
weder durch Annahme einer gemeinsamen Quelle oder direkter einseitiger Ent¬
lehnung; beide Erklärungsversuche haben ihre Vertreter gefunden. Das einzige


hat man ganz ähnliche Vasen in den ältesten Gräbern gefunden. In Athen
haben neuere Nachgrabungen Prachtstücke (wenn das Wort erlaubt ist) dieses
geometrischen Stiles zu Tage gefördert, die bereits einen bedeutenden Fortschritt
der Technik zeigen. Der Töpfer hatte schon Vasen herzustellen gelernt, denen
nicht viel an Manneshöhe fehlt; die Fortschritte des Malers freilich lassen sich
mehr in Bezug auf das Wollen als das Können nachweisen. Die Grundlage
der Ornamentik ist noch 'genau ebenso wie die oben geschilderte, aber hier
wechseln bereits Streifen von Ornamenten mit figürlichen Darstellungen, die
allerdings in scheuslicher Zeichnung mehr angedeutet als ausgeführt sind. Auf
einer athenischen Vase z. B., die Professor Hirschfeld publizirt hat, sehen wir
in der Mitte auf hohem Paradebette den Verstorbenen, beklagt von seiner
Familie. Davor hält der vierrädrige, mit zwei Pferden bespannte Leichen¬
wagen. Auf der linken Seite hat sich der Chor der Klageweiber versammelt,
rechts der Chor der Männer, die kleine Speere in den Händen tragen. Ans
einem tieferen Streifen sieht man die Wagenlenker mit ihren Streitwagen, zur
Andeutung der Leichenspiele, die zu Ehren des Verstorbenen gehalten wurden.
Auf einer anderen in Athen gefundenen Vase ist eine Seeschlacht dargestellt: die
Schiffe mit ihren zwei Steuerrudern und dem sogenannten lateinischen Segel zeigen
eine merkwürdige Uebereinstimmung mit einer Darstellung auf Cesnolas Vasen,
gerade so, wie auch die Streitwagen und die eigenthümlich angeschirrten und
aufgeputzten Pferde an beiden Orten vollständig übereinstimmen. Auch an
andern Orten Griechenlands, in-Argos, Mykenae und Spata hat man deutliche
Spuren dieses primitiven Stiles gefunden. Selbst in Ober- und Mittelitalien
haben die Ausgrabungen, besonders in den ältesten etruskischen Nekropolen,
z. B. Tarquinii (Corneto), Caere :c., eine Menge von Bronze- und Thon¬
gefäßen ans Licht gefördert, die unverkennbar demselben Stile angehören. Ja
die Elemente dieser Ornamentik finden sich in noch viel weiteren Kreisen. Wer
zum ersten Male in Kopenhagen das schöne Museum für nordische Alterthümer
betritt, wird überrascht, auch hier denselben Geschmack, dieselben geometrischen
Ornamente wieder zu finden, so daß man sich des Gedankens nicht erwehren
kann, daß zwischen den Völkern des Nordens und denen des Mittelmeeres in
künstlerischer Beziehung irgend ein Zusammenhang existirt haben müsse. Denn
wenn man auch zugeben wollte, daß dieses oder jenes primitive Dekorations¬
motiv einmal im Süden und einmal im Norden selbständig erfunden sein
könnte, so bleibt doch so Vieles und so Eigenartiges übrig, daß diese Erklärung
nicht ausreicht.

Diesen Zusamenhang kann man sich in verschiedener Art vorstellen: ent¬
weder durch Annahme einer gemeinsamen Quelle oder direkter einseitiger Ent¬
lehnung; beide Erklärungsversuche haben ihre Vertreter gefunden. Das einzige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/413>, abgerufen am 26.08.2024.