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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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und wir hören notorisch dieselben Concerte alle Jahre. Das möchte hingehen,
wenn unsere Literatur eine solche beschränkte Auswahl gehste; aber wer hat
die Stirn, das zu behaupten?

Die armen Virtuosen sind freilich übel daran. Sie kämpfen den Kampf
ums Dasein, oft hart genug; sie sind gezwungen, um die Gunst des Publikums
zu buhlen, und wo so viel Mitbewerber sind wie um diesen Preis, da bleiben
die angewandten Mittel nicht immer die edelsten und der Kunst würdigsten. Es
ist also am letzten Ende die Ueberproduktion an Virtuosen, was diese
selbst auf Abwege treibt und damit den Geschmack des Publikums verdirbt.
Rubinstein soll einmal den Ausspruch gethan haben, daß "heute keiner schlecht
spielt". Er hat Recht. Auch die Zahl derer, welche "gut" spielen, ist
eine große, und bas Bestreben eines Jeden, sich aus der Legion derer,
welche nicht schlecht spielen, soweit herauszuheben, daß ihn das Publikum zur
Elite der guten Spieler rechnet oder gar mit dem Ehrenpreise der großen
Virtuosen krönt, ist gewiß ein begreifliches, und da dieses Avancement nun
einmal einzig vom Urtheile des großen Publikums abhängt, so ist dies Ge¬
dränge von Virtuosenproduktionen, das wir in jeder Saison gesteigert erleben,
wie es scheint, nicht zu vermeiden. Man prüfe nur die Programme unserer
hervorragendsten Concerte, und man wird staunen, welchen Platz sie der Vir¬
tuosität einräumen! Kaum genügt das Auftreten eines Virtuosen für ein
Concert, es müssen womöglich zwei oder drei sein. Möchten doch wenigstens
die Institute, welche sich für die heiligsten Tempel der Kunst halten und ein
dem entsprechendes Ansehen genießen, von dem Vorwurfe rein halten, durch
Begünstigung des Virtuvsenthums die großen Interessen der Kunst zu schädigen!
Allein, hier redet der -- Geldbeutel mit. Wie die Sachen heute liegen, "zieht"
der Name eines am Orte selten oder noch gar nicht gehörten Virtuosen von
einigem Renommee mehr als ein bedeutendes neues Kunstwerk, und das pekuniäre
Opfer, welches die Gewinnung des Virtuosen für das Concert erfordert, wird
reichlich wieder aufgewogen durch den vermehrten Zudrang. Aufstrebende
jüngere Kräfte dagegen, welche noch um Erfolg werben, find billig zu haben,
schätzen es sich zur Ehre und wissen den Gewinn wohl zu würdigen, den sie
davon haben, daß sie in solchen besonders renommirten Concerten überhaupt
auftreten dürfen, und würden daher nöthigenfalls selbst noch pekuniäre Opfer
bringen. So sind die Concertdirektivnen die natürlichen ersten Instanzen für
die Entscheidung über die Bedeutung eines Künstlers. Diese erstinstanzlichen
Urtheile sind erfahrungsmäßig nicht immer genügend motivirt, und das Concert-
Publikum fühlt sich gern in seiner Würde als zweite Instanz und wirft das
erstinstanzliche Urtheil über den Haufen; endlich kommt die gedruckte Kritik als
oberster Gerichtshof, der bekanntlich unfehlbar ist und entweder das Urtheil


Grenzboten IV. 1S7S. 48

und wir hören notorisch dieselben Concerte alle Jahre. Das möchte hingehen,
wenn unsere Literatur eine solche beschränkte Auswahl gehste; aber wer hat
die Stirn, das zu behaupten?

Die armen Virtuosen sind freilich übel daran. Sie kämpfen den Kampf
ums Dasein, oft hart genug; sie sind gezwungen, um die Gunst des Publikums
zu buhlen, und wo so viel Mitbewerber sind wie um diesen Preis, da bleiben
die angewandten Mittel nicht immer die edelsten und der Kunst würdigsten. Es
ist also am letzten Ende die Ueberproduktion an Virtuosen, was diese
selbst auf Abwege treibt und damit den Geschmack des Publikums verdirbt.
Rubinstein soll einmal den Ausspruch gethan haben, daß „heute keiner schlecht
spielt". Er hat Recht. Auch die Zahl derer, welche „gut" spielen, ist
eine große, und bas Bestreben eines Jeden, sich aus der Legion derer,
welche nicht schlecht spielen, soweit herauszuheben, daß ihn das Publikum zur
Elite der guten Spieler rechnet oder gar mit dem Ehrenpreise der großen
Virtuosen krönt, ist gewiß ein begreifliches, und da dieses Avancement nun
einmal einzig vom Urtheile des großen Publikums abhängt, so ist dies Ge¬
dränge von Virtuosenproduktionen, das wir in jeder Saison gesteigert erleben,
wie es scheint, nicht zu vermeiden. Man prüfe nur die Programme unserer
hervorragendsten Concerte, und man wird staunen, welchen Platz sie der Vir¬
tuosität einräumen! Kaum genügt das Auftreten eines Virtuosen für ein
Concert, es müssen womöglich zwei oder drei sein. Möchten doch wenigstens
die Institute, welche sich für die heiligsten Tempel der Kunst halten und ein
dem entsprechendes Ansehen genießen, von dem Vorwurfe rein halten, durch
Begünstigung des Virtuvsenthums die großen Interessen der Kunst zu schädigen!
Allein, hier redet der — Geldbeutel mit. Wie die Sachen heute liegen, „zieht"
der Name eines am Orte selten oder noch gar nicht gehörten Virtuosen von
einigem Renommee mehr als ein bedeutendes neues Kunstwerk, und das pekuniäre
Opfer, welches die Gewinnung des Virtuosen für das Concert erfordert, wird
reichlich wieder aufgewogen durch den vermehrten Zudrang. Aufstrebende
jüngere Kräfte dagegen, welche noch um Erfolg werben, find billig zu haben,
schätzen es sich zur Ehre und wissen den Gewinn wohl zu würdigen, den sie
davon haben, daß sie in solchen besonders renommirten Concerten überhaupt
auftreten dürfen, und würden daher nöthigenfalls selbst noch pekuniäre Opfer
bringen. So sind die Concertdirektivnen die natürlichen ersten Instanzen für
die Entscheidung über die Bedeutung eines Künstlers. Diese erstinstanzlichen
Urtheile sind erfahrungsmäßig nicht immer genügend motivirt, und das Concert-
Publikum fühlt sich gern in seiner Würde als zweite Instanz und wirft das
erstinstanzliche Urtheil über den Haufen; endlich kommt die gedruckte Kritik als
oberster Gerichtshof, der bekanntlich unfehlbar ist und entweder das Urtheil


Grenzboten IV. 1S7S. 48
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/373>, abgerufen am 23.07.2024.