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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Drohungen an. Die von Gortschakoff inspirirter Zeitungen polemisirten hitzig
und immer hitziger gegen die deutsche Politik und stachelten die öffentliche Mei¬
nung in jeder Weise gegen uns und Oesterreich-Ungarn auf. Man bemühte
sich um ein Bündniß mit Frankreich und trug dies zur Schau. Man rüstete
zu einem neuen Kriege, man sammelte Truppen in der Nähe der Westgrenze,
woraus zu schließen war, wem er gelten, d. h. daß in Berlin und Wien Kon¬
stantinopel erobert werden sollte. Die russisch-französische Allianz blieb vor¬
läufig ein Wunsch des Fürsten Gortschakoff, und die Antwort auf jene Dro¬
hungen und militärischen Demonstrationen war die Reise des deutschen Reichs¬
kanzlers nach Wien und die dort erfolgte Verständigung über eine gemeinsame
Vertheidigung gegen die von Osten und möglicherweise auch von Westen her
drohende Gefahr. Die Zusammenkunft des deutschen Kaisers mit dem Zaren
in Alexandrowo fand gegen den Wunsch des Fürsten Bismarck statt, und wenn
sie die Erhaltung der freundschaftlichen Beziehungen der verwandten Monarchen
hob, so vermochte sie die Gefahr, die in Nußland aufgestiegen war, nicht zu
bannen, und wir glauben, daß der deutsche Reichskanzler sich darüber keiner
Täuschung hingab. Versuche, das Perfektwerden jener in Wien erzielten Ver¬
ständigung zu vereiteln, schlugen fehl, ihren Folgen ohne Allianzen Trotz zu
bieten, wäre große Unklugheit gewesen, und so beschloß man in Petersburg
gegen das Ende des vorigen Monats hin, einzulenken und sich der deutschen
Politik wieder zu nähern. Der Presse wurde mehr Mäßigung empfohlen und
ihr zuletzt, wie es scheint, Schweigen über die betreffenden Fragen auferlegt.
Die Sistirung eines Theils der militärischen Demonstrationen folgte. 'Die von
der nationalen Partei beherrschte öffentliche Meinung in Rußland, deren Macht
man nicht direkt anerkennt, wohl aber fürchtet, wurde über dieses Einlenken zu
beschwichtigen und zugleich das Prestige Rußlands vor Europa zu wahren
versucht, indem man einerseits die ^Mnev L,uW6 erklären ließ, die über das
deutsch-österreichische Einvernehmen verbreiteten Gerüchte stimmten nicht mit
den Thatsachen überein, und die Aufklärung über dasselbe, die ihm seine wahren
Grenzen auf dem durch den Berliner Vertrag Allen eröffneten Gebiete anweise,
könne keine Macht, welche den Frieden wünsche, verletzen, und indem man
andrerseits jener Partei zu Gefallen den Rücktritt des Grafen Schuwaloff von
seiner bisherigen Stellung veranlaßte. Nach diesen Vorbereitungen konnte das
Erscheinen des Zarewitsch in Wien und Berlin als eklatanter Ausdruck der
Wiederannäherung der russischen Politik an die deutsche und österreichisch-unga¬
rische ohne Schaden für das Ansehen Rußlands und seines Reichskanzlers vor
sich gehen.

Ein Wiener Blatt will "aus diplomatischen Kreisen" allerlei Näheres über
die Vorgeschichte dieses Besuchs wissen. Nach seinen Mittheilungen wäre der-


Drohungen an. Die von Gortschakoff inspirirter Zeitungen polemisirten hitzig
und immer hitziger gegen die deutsche Politik und stachelten die öffentliche Mei¬
nung in jeder Weise gegen uns und Oesterreich-Ungarn auf. Man bemühte
sich um ein Bündniß mit Frankreich und trug dies zur Schau. Man rüstete
zu einem neuen Kriege, man sammelte Truppen in der Nähe der Westgrenze,
woraus zu schließen war, wem er gelten, d. h. daß in Berlin und Wien Kon¬
stantinopel erobert werden sollte. Die russisch-französische Allianz blieb vor¬
läufig ein Wunsch des Fürsten Gortschakoff, und die Antwort auf jene Dro¬
hungen und militärischen Demonstrationen war die Reise des deutschen Reichs¬
kanzlers nach Wien und die dort erfolgte Verständigung über eine gemeinsame
Vertheidigung gegen die von Osten und möglicherweise auch von Westen her
drohende Gefahr. Die Zusammenkunft des deutschen Kaisers mit dem Zaren
in Alexandrowo fand gegen den Wunsch des Fürsten Bismarck statt, und wenn
sie die Erhaltung der freundschaftlichen Beziehungen der verwandten Monarchen
hob, so vermochte sie die Gefahr, die in Nußland aufgestiegen war, nicht zu
bannen, und wir glauben, daß der deutsche Reichskanzler sich darüber keiner
Täuschung hingab. Versuche, das Perfektwerden jener in Wien erzielten Ver¬
ständigung zu vereiteln, schlugen fehl, ihren Folgen ohne Allianzen Trotz zu
bieten, wäre große Unklugheit gewesen, und so beschloß man in Petersburg
gegen das Ende des vorigen Monats hin, einzulenken und sich der deutschen
Politik wieder zu nähern. Der Presse wurde mehr Mäßigung empfohlen und
ihr zuletzt, wie es scheint, Schweigen über die betreffenden Fragen auferlegt.
Die Sistirung eines Theils der militärischen Demonstrationen folgte. 'Die von
der nationalen Partei beherrschte öffentliche Meinung in Rußland, deren Macht
man nicht direkt anerkennt, wohl aber fürchtet, wurde über dieses Einlenken zu
beschwichtigen und zugleich das Prestige Rußlands vor Europa zu wahren
versucht, indem man einerseits die ^Mnev L,uW6 erklären ließ, die über das
deutsch-österreichische Einvernehmen verbreiteten Gerüchte stimmten nicht mit
den Thatsachen überein, und die Aufklärung über dasselbe, die ihm seine wahren
Grenzen auf dem durch den Berliner Vertrag Allen eröffneten Gebiete anweise,
könne keine Macht, welche den Frieden wünsche, verletzen, und indem man
andrerseits jener Partei zu Gefallen den Rücktritt des Grafen Schuwaloff von
seiner bisherigen Stellung veranlaßte. Nach diesen Vorbereitungen konnte das
Erscheinen des Zarewitsch in Wien und Berlin als eklatanter Ausdruck der
Wiederannäherung der russischen Politik an die deutsche und österreichisch-unga¬
rische ohne Schaden für das Ansehen Rußlands und seines Reichskanzlers vor
sich gehen.

Ein Wiener Blatt will „aus diplomatischen Kreisen" allerlei Näheres über
die Vorgeschichte dieses Besuchs wissen. Nach seinen Mittheilungen wäre der-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/346>, abgerufen am 23.07.2024.