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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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der Anakreontik haben sicki beide mit Blümchen aus fremden Gärten begnügt.
Gleim greift zu den Hallerschen Zeilen:


Mach deinen Raupenstand und einen Tropfen Zeit
Den nicht zu deinem Zweck, die nicht zur Ewigkeit,

Jacobi zu den Versen aus der "Musarion":


Mein Element ist heitre, sanfte Freude,

Und alles zeigt sich mir in Rosenfarbnem Licht.


Die Berliner Kreise sind durch Lessing, Mendelssohn, Ramler und die Karsch
vertreten. Aus Lessings Blatt wird man besonders gespannt sein, und was
er geschrieben, enttäuscht auch nicht. Er hat eine Zeile aus der köstlichen Epistel
des Horaz gewählt, in welcher der Dichter einem jungen Freunde Lehren über den
Umgang mit Vornehmeren gibt und ihm dabei Aristipp, den Cyrenaiker, als das
Ideal eines feinen Weltmannes aufstellt, der es verstanden, die Gunst der Großen
mit Ehren und ohne Selbsterniedrigung zu behaupten. Mit flüchtiger Hand, aber
in geschmackvoller, symmetrischer Anordnung, nach Art einer Lapidarinschrist, hat
er eingezeichnet:


Hols,t.
Oniuis ^ristixxnm äevnit color se ses,tu" vt res.



in. v. so.
tüottliolcl ZZxliriüin I^essinz;.
Lsrol. ä. XVI. L.us. 1766.

Es ist eigenstes Erlebniß, was er hiermit niederschrieb; auch er hatte in den
fünf Breslauer Jahren, die hinter ihm lagen, im Dienste Tcmentzicns sich als
kluger Aristipp bewährt. Mendelssohn schreibt ebenfalls einen lateinischen
Spruch: doux in törrs. WpisQs, se in ^stdorv tslix. Ramler greift zu einem
Logauschen Epigramm -- wiederum bezeichnend. War er doch einer der wenigen,
die sich um den heute ja wieder allbekannten, damals aber so gut wie vergessenen
Epigrammendichter aus dem 30 jährigen Kriege gekümmert hatten; 1759 hatte er
mit Lessing gemeinschaftlich eine Auswahl der Logauschen Sinngedichte neu her¬
ausgegeben. Ungemein freigebig mit ihren poetischen Gaben ist Anna Luise
Karsch gewesen; sie hat sich zweimal eingeschrieben, einmal am 20. August 1766,
dann noch einmal Tags darauf an einer andern Stelle des Buches. Der erste
Eintrag, den sie mit ihrem Namen unterzeichnet hat, ist folgender:


sey Stets als weiser Mann und arise
Vergnügt mit dem was gegenwärtig ist
die Zukunft delle Gott mit diken finsternißen
wenn dir daß richtende gewißen
nur Jeden abend sagt heut'hast du recht gelebt
dann frage nie darnach ob morgen
Sturm oder Sonnenschein Verborgen
dicht über deinem Hauben schwebt.

Der zweite Eintrag lautet:


sey gleich in Sachßen oder Franken
du der empfindung und gebauten
auf freyer Stiru und in dem offnen auge Trägt
sey wo Du onst von Fremden oder Freunden
geliebt Bewundert und gepflegt

der Anakreontik haben sicki beide mit Blümchen aus fremden Gärten begnügt.
Gleim greift zu den Hallerschen Zeilen:


Mach deinen Raupenstand und einen Tropfen Zeit
Den nicht zu deinem Zweck, die nicht zur Ewigkeit,

Jacobi zu den Versen aus der „Musarion":


Mein Element ist heitre, sanfte Freude,

Und alles zeigt sich mir in Rosenfarbnem Licht.


Die Berliner Kreise sind durch Lessing, Mendelssohn, Ramler und die Karsch
vertreten. Aus Lessings Blatt wird man besonders gespannt sein, und was
er geschrieben, enttäuscht auch nicht. Er hat eine Zeile aus der köstlichen Epistel
des Horaz gewählt, in welcher der Dichter einem jungen Freunde Lehren über den
Umgang mit Vornehmeren gibt und ihm dabei Aristipp, den Cyrenaiker, als das
Ideal eines feinen Weltmannes aufstellt, der es verstanden, die Gunst der Großen
mit Ehren und ohne Selbsterniedrigung zu behaupten. Mit flüchtiger Hand, aber
in geschmackvoller, symmetrischer Anordnung, nach Art einer Lapidarinschrist, hat
er eingezeichnet:


Hols,t.
Oniuis ^ristixxnm äevnit color se ses,tu» vt res.



in. v. so.
tüottliolcl ZZxliriüin I^essinz;.
Lsrol. ä. XVI. L.us. 1766.

Es ist eigenstes Erlebniß, was er hiermit niederschrieb; auch er hatte in den
fünf Breslauer Jahren, die hinter ihm lagen, im Dienste Tcmentzicns sich als
kluger Aristipp bewährt. Mendelssohn schreibt ebenfalls einen lateinischen
Spruch: doux in törrs. WpisQs, se in ^stdorv tslix. Ramler greift zu einem
Logauschen Epigramm — wiederum bezeichnend. War er doch einer der wenigen,
die sich um den heute ja wieder allbekannten, damals aber so gut wie vergessenen
Epigrammendichter aus dem 30 jährigen Kriege gekümmert hatten; 1759 hatte er
mit Lessing gemeinschaftlich eine Auswahl der Logauschen Sinngedichte neu her¬
ausgegeben. Ungemein freigebig mit ihren poetischen Gaben ist Anna Luise
Karsch gewesen; sie hat sich zweimal eingeschrieben, einmal am 20. August 1766,
dann noch einmal Tags darauf an einer andern Stelle des Buches. Der erste
Eintrag, den sie mit ihrem Namen unterzeichnet hat, ist folgender:


sey Stets als weiser Mann und arise
Vergnügt mit dem was gegenwärtig ist
die Zukunft delle Gott mit diken finsternißen
wenn dir daß richtende gewißen
nur Jeden abend sagt heut'hast du recht gelebt
dann frage nie darnach ob morgen
Sturm oder Sonnenschein Verborgen
dicht über deinem Hauben schwebt.

Der zweite Eintrag lautet:


sey gleich in Sachßen oder Franken
du der empfindung und gebauten
auf freyer Stiru und in dem offnen auge Trägt
sey wo Du onst von Fremden oder Freunden
geliebt Bewundert und gepflegt

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[0337] der Anakreontik haben sicki beide mit Blümchen aus fremden Gärten begnügt. Gleim greift zu den Hallerschen Zeilen: Mach deinen Raupenstand und einen Tropfen Zeit Den nicht zu deinem Zweck, die nicht zur Ewigkeit, Jacobi zu den Versen aus der „Musarion": Mein Element ist heitre, sanfte Freude, Und alles zeigt sich mir in Rosenfarbnem Licht. Die Berliner Kreise sind durch Lessing, Mendelssohn, Ramler und die Karsch vertreten. Aus Lessings Blatt wird man besonders gespannt sein, und was er geschrieben, enttäuscht auch nicht. Er hat eine Zeile aus der köstlichen Epistel des Horaz gewählt, in welcher der Dichter einem jungen Freunde Lehren über den Umgang mit Vornehmeren gibt und ihm dabei Aristipp, den Cyrenaiker, als das Ideal eines feinen Weltmannes aufstellt, der es verstanden, die Gunst der Großen mit Ehren und ohne Selbsterniedrigung zu behaupten. Mit flüchtiger Hand, aber in geschmackvoller, symmetrischer Anordnung, nach Art einer Lapidarinschrist, hat er eingezeichnet: Hols,t. Oniuis ^ristixxnm äevnit color se ses,tu» vt res. in. v. so. tüottliolcl ZZxliriüin I^essinz;. Lsrol. ä. XVI. L.us. 1766. Es ist eigenstes Erlebniß, was er hiermit niederschrieb; auch er hatte in den fünf Breslauer Jahren, die hinter ihm lagen, im Dienste Tcmentzicns sich als kluger Aristipp bewährt. Mendelssohn schreibt ebenfalls einen lateinischen Spruch: doux in törrs. WpisQs, se in ^stdorv tslix. Ramler greift zu einem Logauschen Epigramm — wiederum bezeichnend. War er doch einer der wenigen, die sich um den heute ja wieder allbekannten, damals aber so gut wie vergessenen Epigrammendichter aus dem 30 jährigen Kriege gekümmert hatten; 1759 hatte er mit Lessing gemeinschaftlich eine Auswahl der Logauschen Sinngedichte neu her¬ ausgegeben. Ungemein freigebig mit ihren poetischen Gaben ist Anna Luise Karsch gewesen; sie hat sich zweimal eingeschrieben, einmal am 20. August 1766, dann noch einmal Tags darauf an einer andern Stelle des Buches. Der erste Eintrag, den sie mit ihrem Namen unterzeichnet hat, ist folgender: sey Stets als weiser Mann und arise Vergnügt mit dem was gegenwärtig ist die Zukunft delle Gott mit diken finsternißen wenn dir daß richtende gewißen nur Jeden abend sagt heut'hast du recht gelebt dann frage nie darnach ob morgen Sturm oder Sonnenschein Verborgen dicht über deinem Hauben schwebt. Der zweite Eintrag lautet: sey gleich in Sachßen oder Franken du der empfindung und gebauten auf freyer Stiru und in dem offnen auge Trägt sey wo Du onst von Fremden oder Freunden geliebt Bewundert und gepflegt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/337>, abgerufen am 23.07.2024.