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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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finden sich Stellen aus Logen, Gellert, Giseke und Wielands "Musarion". In
der Annahme, daß die Wahl des Spruches auch immer für den Schreiber
charakteristisch sei, daß tiefe persönliche Ueberzeugungen sich darin aussprechen,
wird man nicht zu weit gehen dürfen. Bezeichnend mag es ja sein, wenn
Succow, der Jenenser Naturphilosoph, in seinem Spruche: Ilnius czorxoris
ässtruotio Möros est, A-snmMo (Die Zerstörung des einen Körpers ist die
Erschaffung eines andern) sich als strammer Anhänger des Empedokles und der
Atomistiker zeigt, wenn Pütter, der große Staatsrechtslehrer, mit seinem kurzen
oso et r<ziMM"g.o den Patriotismus neben die Gottesfurcht stellt, wenn Sulzer,
der Hauptästheticus der Zeit, mit dem Horazischen Usk nioäns in rsbus, sunt
osrti cksni^s nuff auf Maß und Begrenzung den Nachdruck legt; viele haben
sich aber sicher mit neutralen Aussprüchen begnügt, die überall hin passen. Der
eine weist den jungen Studenten griesgrämlich auf Tod und Ewigkeit hin, der
andere predigt fröhlichen Lebensgenuß, und dem einen ist es am Ende so wenig
Ernst damit gewesen wie dem andern. Charakteristischer ist vielleicht die äußere
Form, in der die Einzeichnungen auftreten: auf der einen Seite Kürze, Natür¬
lichkeit und Einfachheit, auf der andern Breite, Zopf und Schwulst. Am
umständlichsten sind die Unbedeutendsten. Klopstock, Lessing, Wieland setzen
simpel ihren Namen unter ihren Spruch, Universitätsprofessoren, deren Namen
mau heute kaum noch kennt, zählen mit Grandezza alle ihre Titel und Würden
auf; die letzteren sind dann wenigstens auch gegen den glücklichen Besitzer des
Stammbuches mit äoetissimus, ÄWSsiwus, ornatissiirms, pra-snodilissiMus
und andern Superlativen "Prädikaten nicht karg - nach dem Grundsatze: Gebt
allen alles, damit euch von allen alles wiedergegeben werde.

Im Folgenden theilen wir eine kleine Auswahl aus den Blättern unseres
Stammbuches mit, indem wir uns dabei aus die bekannteren Erscheinungen
der deutschen Literaturgeschichte des vorigen Jahrhunderts beschränken. Da be¬
gegnen uns denn zunächst von Leipzigern Clodius, Gellert und Christian Felix Weiße.
Einer fehlt: Gottsched. Doch kann uns das nicht Wunder nehmen. Gottsched
starb 1766. Als Eck die Universität bezog, hatte er seine Rolle längst ausgespielt.
Was im Oktober 1765 der junge Goethe nach Frankfurt schrieb: "Ganz Leipzig
verachtet ihn. Niemand geht mit ihm um", das wird auch 1764 schon gegolten
haben, als Eck sein Stammbuch in Bewegung setzte. Gellert hat sich mit dem
simpeln Quintilianischen ?6eos äissrtos taon (Das Herz ist es, was beredt macht)
begnügt. Weiße füllt sein Blatt mit einigen englischen Versen, vielleicht einem
Citat, und schreibt auch, der einzige im ganzen Buche, den Zusatz englisch -- sicherlich
bezeichnend für den, der sich lange Zeit als den deutschen Shakespeare betrachtete,
bis Lessing ihn hierüber in aller Freundlichkeit eines Bessern belehrte. Clodius
widmet "Seinem Freunde und Zuhörer" folgendes "Fragment einer Ode auf den


finden sich Stellen aus Logen, Gellert, Giseke und Wielands „Musarion". In
der Annahme, daß die Wahl des Spruches auch immer für den Schreiber
charakteristisch sei, daß tiefe persönliche Ueberzeugungen sich darin aussprechen,
wird man nicht zu weit gehen dürfen. Bezeichnend mag es ja sein, wenn
Succow, der Jenenser Naturphilosoph, in seinem Spruche: Ilnius czorxoris
ässtruotio Möros est, A-snmMo (Die Zerstörung des einen Körpers ist die
Erschaffung eines andern) sich als strammer Anhänger des Empedokles und der
Atomistiker zeigt, wenn Pütter, der große Staatsrechtslehrer, mit seinem kurzen
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der Hauptästheticus der Zeit, mit dem Horazischen Usk nioäns in rsbus, sunt
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sich aber sicher mit neutralen Aussprüchen begnügt, die überall hin passen. Der
eine weist den jungen Studenten griesgrämlich auf Tod und Ewigkeit hin, der
andere predigt fröhlichen Lebensgenuß, und dem einen ist es am Ende so wenig
Ernst damit gewesen wie dem andern. Charakteristischer ist vielleicht die äußere
Form, in der die Einzeichnungen auftreten: auf der einen Seite Kürze, Natür¬
lichkeit und Einfachheit, auf der andern Breite, Zopf und Schwulst. Am
umständlichsten sind die Unbedeutendsten. Klopstock, Lessing, Wieland setzen
simpel ihren Namen unter ihren Spruch, Universitätsprofessoren, deren Namen
mau heute kaum noch kennt, zählen mit Grandezza alle ihre Titel und Würden
auf; die letzteren sind dann wenigstens auch gegen den glücklichen Besitzer des
Stammbuches mit äoetissimus, ÄWSsiwus, ornatissiirms, pra-snodilissiMus
und andern Superlativen »Prädikaten nicht karg - nach dem Grundsatze: Gebt
allen alles, damit euch von allen alles wiedergegeben werde.

Im Folgenden theilen wir eine kleine Auswahl aus den Blättern unseres
Stammbuches mit, indem wir uns dabei aus die bekannteren Erscheinungen
der deutschen Literaturgeschichte des vorigen Jahrhunderts beschränken. Da be¬
gegnen uns denn zunächst von Leipzigern Clodius, Gellert und Christian Felix Weiße.
Einer fehlt: Gottsched. Doch kann uns das nicht Wunder nehmen. Gottsched
starb 1766. Als Eck die Universität bezog, hatte er seine Rolle längst ausgespielt.
Was im Oktober 1765 der junge Goethe nach Frankfurt schrieb: „Ganz Leipzig
verachtet ihn. Niemand geht mit ihm um", das wird auch 1764 schon gegolten
haben, als Eck sein Stammbuch in Bewegung setzte. Gellert hat sich mit dem
simpeln Quintilianischen ?6eos äissrtos taon (Das Herz ist es, was beredt macht)
begnügt. Weiße füllt sein Blatt mit einigen englischen Versen, vielleicht einem
Citat, und schreibt auch, der einzige im ganzen Buche, den Zusatz englisch — sicherlich
bezeichnend für den, der sich lange Zeit als den deutschen Shakespeare betrachtete,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/335>, abgerufen am 23.07.2024.