Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

so haben wir sie seitdem genugsam durch Bücher amerikanischer Federn bestätigt
gefunden.

Ich habe Kürnberger in Koburg kennen gelernt, im Dezember 1860,
kurz vor Weihnachten. Ich wohnte damals im alten Schlosse, als Gast
des Herzogs. Es trat da in der Abendstunde ein kleiner Mann bei mir
ein, hellblond, mit seinem gewaltig großen Kopfe nicht unähnlich jenen
Erdgeistern, die sich die deutsche Sage in unterirdischen Werkstätten als kunst¬
fertige Schmiede denkt. Als ich seinen Besuch erwiederte, fand ich ihn in
einem kleinen unwirthlichen, schlechtgeheizten Stübchen mit trauriger Aussicht
auf ein enges Gäßlein. Man sah kaum etwas da, außer dem streng noth¬
wendigsten. Auf dem Tische standen die Reste eines kärglichen daheim verzehr¬
ten Mahles, Brod, Eier, Käse. Was hatte ihn, den Wiener, den Großstädter,
in die kleine deutsche Residenz geführt? Suchte er eine Anlehnung? Ich
weiß es nicht, er hat es mir nicht gesagt. Ich, damals zu zerstreut, in einer
ganz andern Gedankenwelt lebend, mag mich damals meinem Landsmann nicht
gehörig gewidmet haben. Er hat mir dies, ich weiß es, jahrelang nachgetragen,
und ich mache mir heute noch den Vorwurf, in meiner Sorglosigkeit dies oder
jenes verabsäumt zu haben, was ihm damals hätte zu statten kommen können.

Offenbar, er darbte, und doch hatte er sich schon durch mehrere Bücher,
darunter einen bedeutenden Roman, einen Namen gemacht. Aber was hilft
das in Deutschland! In England und Frankreich ist ein wohlgelungenes
Buch das, was es sein soll, ein Baum, den man gepflanzt hat, und der seine
Früchte trägt, ein Kapital, das dem Autor sein Lebenlang eine Rente abwirft.
Auflage folgt auf Auflage, jede bringt ihren Lohn und setzt den Autor in den
Stand, an neue größere Arbeiten zu gehen. In Deutschland hat der Autor in
der Regel nur einmal Gewinn von seinem Buche. Er muß fort und fort
und zwar sehr rasch arbeiten, wenn ihn die Feder erhalten soll.

Kürnberger konnte schon darum seinem "Amerikamüden" keinen andern
Roman folgen lassen, weil sich nicht von Luft leben läßt. Darauf angewiesen,
seine Existenz durch die Feder zu ermöglichen, aber voll ästhetischen Sinnes,
gewohnt, die höchsten Anforderungen an seine Produktion zu stellen, jeden Satz
zu überwachen, zu feilen, zu läutern, mußte er sich einem Felde zuwenden, auf
dem die Saat schneller reift. Eben um daneben ein Poet bleiben und wenig¬
stens kleinere Dichtungen schaffen zu können, mußte er Tagesarbeit liefern. Er
wurde Publizist, Essayist, Feuilletonist, wie man es nennen will, um nebenher
eine Reihe von Novellen schaffen zu können, die zu dem Besten in unserer Er¬
zählungsliteratur gehören. Ich meine jene Sammluug, die 1861 in drei Bänden
bei Rohsold in München erschien.


so haben wir sie seitdem genugsam durch Bücher amerikanischer Federn bestätigt
gefunden.

Ich habe Kürnberger in Koburg kennen gelernt, im Dezember 1860,
kurz vor Weihnachten. Ich wohnte damals im alten Schlosse, als Gast
des Herzogs. Es trat da in der Abendstunde ein kleiner Mann bei mir
ein, hellblond, mit seinem gewaltig großen Kopfe nicht unähnlich jenen
Erdgeistern, die sich die deutsche Sage in unterirdischen Werkstätten als kunst¬
fertige Schmiede denkt. Als ich seinen Besuch erwiederte, fand ich ihn in
einem kleinen unwirthlichen, schlechtgeheizten Stübchen mit trauriger Aussicht
auf ein enges Gäßlein. Man sah kaum etwas da, außer dem streng noth¬
wendigsten. Auf dem Tische standen die Reste eines kärglichen daheim verzehr¬
ten Mahles, Brod, Eier, Käse. Was hatte ihn, den Wiener, den Großstädter,
in die kleine deutsche Residenz geführt? Suchte er eine Anlehnung? Ich
weiß es nicht, er hat es mir nicht gesagt. Ich, damals zu zerstreut, in einer
ganz andern Gedankenwelt lebend, mag mich damals meinem Landsmann nicht
gehörig gewidmet haben. Er hat mir dies, ich weiß es, jahrelang nachgetragen,
und ich mache mir heute noch den Vorwurf, in meiner Sorglosigkeit dies oder
jenes verabsäumt zu haben, was ihm damals hätte zu statten kommen können.

Offenbar, er darbte, und doch hatte er sich schon durch mehrere Bücher,
darunter einen bedeutenden Roman, einen Namen gemacht. Aber was hilft
das in Deutschland! In England und Frankreich ist ein wohlgelungenes
Buch das, was es sein soll, ein Baum, den man gepflanzt hat, und der seine
Früchte trägt, ein Kapital, das dem Autor sein Lebenlang eine Rente abwirft.
Auflage folgt auf Auflage, jede bringt ihren Lohn und setzt den Autor in den
Stand, an neue größere Arbeiten zu gehen. In Deutschland hat der Autor in
der Regel nur einmal Gewinn von seinem Buche. Er muß fort und fort
und zwar sehr rasch arbeiten, wenn ihn die Feder erhalten soll.

Kürnberger konnte schon darum seinem „Amerikamüden" keinen andern
Roman folgen lassen, weil sich nicht von Luft leben läßt. Darauf angewiesen,
seine Existenz durch die Feder zu ermöglichen, aber voll ästhetischen Sinnes,
gewohnt, die höchsten Anforderungen an seine Produktion zu stellen, jeden Satz
zu überwachen, zu feilen, zu läutern, mußte er sich einem Felde zuwenden, auf
dem die Saat schneller reift. Eben um daneben ein Poet bleiben und wenig¬
stens kleinere Dichtungen schaffen zu können, mußte er Tagesarbeit liefern. Er
wurde Publizist, Essayist, Feuilletonist, wie man es nennen will, um nebenher
eine Reihe von Novellen schaffen zu können, die zu dem Besten in unserer Er¬
zählungsliteratur gehören. Ich meine jene Sammluug, die 1861 in drei Bänden
bei Rohsold in München erschien.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143338"/>
          <p xml:id="ID_825" prev="#ID_824"> so haben wir sie seitdem genugsam durch Bücher amerikanischer Federn bestätigt<lb/>
gefunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_826"> Ich habe Kürnberger in Koburg kennen gelernt, im Dezember 1860,<lb/>
kurz vor Weihnachten. Ich wohnte damals im alten Schlosse, als Gast<lb/>
des Herzogs. Es trat da in der Abendstunde ein kleiner Mann bei mir<lb/>
ein, hellblond, mit seinem gewaltig großen Kopfe nicht unähnlich jenen<lb/>
Erdgeistern, die sich die deutsche Sage in unterirdischen Werkstätten als kunst¬<lb/>
fertige Schmiede denkt. Als ich seinen Besuch erwiederte, fand ich ihn in<lb/>
einem kleinen unwirthlichen, schlechtgeheizten Stübchen mit trauriger Aussicht<lb/>
auf ein enges Gäßlein. Man sah kaum etwas da, außer dem streng noth¬<lb/>
wendigsten. Auf dem Tische standen die Reste eines kärglichen daheim verzehr¬<lb/>
ten Mahles, Brod, Eier, Käse. Was hatte ihn, den Wiener, den Großstädter,<lb/>
in die kleine deutsche Residenz geführt? Suchte er eine Anlehnung? Ich<lb/>
weiß es nicht, er hat es mir nicht gesagt. Ich, damals zu zerstreut, in einer<lb/>
ganz andern Gedankenwelt lebend, mag mich damals meinem Landsmann nicht<lb/>
gehörig gewidmet haben. Er hat mir dies, ich weiß es, jahrelang nachgetragen,<lb/>
und ich mache mir heute noch den Vorwurf, in meiner Sorglosigkeit dies oder<lb/>
jenes verabsäumt zu haben, was ihm damals hätte zu statten kommen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_827"> Offenbar, er darbte, und doch hatte er sich schon durch mehrere Bücher,<lb/>
darunter einen bedeutenden Roman, einen Namen gemacht. Aber was hilft<lb/>
das in Deutschland! In England und Frankreich ist ein wohlgelungenes<lb/>
Buch das, was es sein soll, ein Baum, den man gepflanzt hat, und der seine<lb/>
Früchte trägt, ein Kapital, das dem Autor sein Lebenlang eine Rente abwirft.<lb/>
Auflage folgt auf Auflage, jede bringt ihren Lohn und setzt den Autor in den<lb/>
Stand, an neue größere Arbeiten zu gehen. In Deutschland hat der Autor in<lb/>
der Regel nur einmal Gewinn von seinem Buche. Er muß fort und fort<lb/>
und zwar sehr rasch arbeiten, wenn ihn die Feder erhalten soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_828"> Kürnberger konnte schon darum seinem &#x201E;Amerikamüden" keinen andern<lb/>
Roman folgen lassen, weil sich nicht von Luft leben läßt. Darauf angewiesen,<lb/>
seine Existenz durch die Feder zu ermöglichen, aber voll ästhetischen Sinnes,<lb/>
gewohnt, die höchsten Anforderungen an seine Produktion zu stellen, jeden Satz<lb/>
zu überwachen, zu feilen, zu läutern, mußte er sich einem Felde zuwenden, auf<lb/>
dem die Saat schneller reift. Eben um daneben ein Poet bleiben und wenig¬<lb/>
stens kleinere Dichtungen schaffen zu können, mußte er Tagesarbeit liefern. Er<lb/>
wurde Publizist, Essayist, Feuilletonist, wie man es nennen will, um nebenher<lb/>
eine Reihe von Novellen schaffen zu können, die zu dem Besten in unserer Er¬<lb/>
zählungsliteratur gehören. Ich meine jene Sammluug, die 1861 in drei Bänden<lb/>
bei Rohsold in München erschien.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0283] so haben wir sie seitdem genugsam durch Bücher amerikanischer Federn bestätigt gefunden. Ich habe Kürnberger in Koburg kennen gelernt, im Dezember 1860, kurz vor Weihnachten. Ich wohnte damals im alten Schlosse, als Gast des Herzogs. Es trat da in der Abendstunde ein kleiner Mann bei mir ein, hellblond, mit seinem gewaltig großen Kopfe nicht unähnlich jenen Erdgeistern, die sich die deutsche Sage in unterirdischen Werkstätten als kunst¬ fertige Schmiede denkt. Als ich seinen Besuch erwiederte, fand ich ihn in einem kleinen unwirthlichen, schlechtgeheizten Stübchen mit trauriger Aussicht auf ein enges Gäßlein. Man sah kaum etwas da, außer dem streng noth¬ wendigsten. Auf dem Tische standen die Reste eines kärglichen daheim verzehr¬ ten Mahles, Brod, Eier, Käse. Was hatte ihn, den Wiener, den Großstädter, in die kleine deutsche Residenz geführt? Suchte er eine Anlehnung? Ich weiß es nicht, er hat es mir nicht gesagt. Ich, damals zu zerstreut, in einer ganz andern Gedankenwelt lebend, mag mich damals meinem Landsmann nicht gehörig gewidmet haben. Er hat mir dies, ich weiß es, jahrelang nachgetragen, und ich mache mir heute noch den Vorwurf, in meiner Sorglosigkeit dies oder jenes verabsäumt zu haben, was ihm damals hätte zu statten kommen können. Offenbar, er darbte, und doch hatte er sich schon durch mehrere Bücher, darunter einen bedeutenden Roman, einen Namen gemacht. Aber was hilft das in Deutschland! In England und Frankreich ist ein wohlgelungenes Buch das, was es sein soll, ein Baum, den man gepflanzt hat, und der seine Früchte trägt, ein Kapital, das dem Autor sein Lebenlang eine Rente abwirft. Auflage folgt auf Auflage, jede bringt ihren Lohn und setzt den Autor in den Stand, an neue größere Arbeiten zu gehen. In Deutschland hat der Autor in der Regel nur einmal Gewinn von seinem Buche. Er muß fort und fort und zwar sehr rasch arbeiten, wenn ihn die Feder erhalten soll. Kürnberger konnte schon darum seinem „Amerikamüden" keinen andern Roman folgen lassen, weil sich nicht von Luft leben läßt. Darauf angewiesen, seine Existenz durch die Feder zu ermöglichen, aber voll ästhetischen Sinnes, gewohnt, die höchsten Anforderungen an seine Produktion zu stellen, jeden Satz zu überwachen, zu feilen, zu läutern, mußte er sich einem Felde zuwenden, auf dem die Saat schneller reift. Eben um daneben ein Poet bleiben und wenig¬ stens kleinere Dichtungen schaffen zu können, mußte er Tagesarbeit liefern. Er wurde Publizist, Essayist, Feuilletonist, wie man es nennen will, um nebenher eine Reihe von Novellen schaffen zu können, die zu dem Besten in unserer Er¬ zählungsliteratur gehören. Ich meine jene Sammluug, die 1861 in drei Bänden bei Rohsold in München erschien.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/283
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/283>, abgerufen am 24.07.2024.