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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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tung der Städte für die innere Entwickelung Deutschlands, der sie überhaupt
nur zu wenig Aufmerksamkeit widmeten, entgangen. Friedrich II., der Fürst,
der sonst den modernen Ideen von Staat und Kirche am nächsten steht, sich
am höchsten über die befangenen Anschauungen seiner Zeit erhoben hat, hat
doch in dieser Beziehung ganz dieselben Wege eingeschlagen wie seine Vor¬
gänger; ja, er hat sich der Entwickelung der Städte selbst noch schroffer ent¬
gegengestellt als diese. Er verbot durch das Edikt von Ravenna den Städten
jede Einsetzung eines Rathes und damit jede selbständige Bewegung. Ver¬
geblich ! Das Edikt wurde wenig oder gar nicht beachtet, und während Friedrich
in Italien seinen ehrgeizigen Bestrebungen erlag, erlangten die deutschen Städte
immer höhere Bedeutung, entfalteten immer größere und schönere Blüthen.

Merkwürdig genug ist der Gang, den die städtische Politik in der nun
folgenden traurigen, kaiserlosen Zeit einschlug. Obwohl die Städte von den
letzten Hohenstaufen keineswegs in ihrem Fortschreiten zu bürgerlicher Selb¬
ständigkeit unterstützt worden waren, sind gerade sie es gewesen, welche nach
dem Aussterben des hohenstaufischen Kaisergesehlechtes die Fahne der nationalen
Einheit, der zentralen, in dem Kaiserthum repräsentirten Regierungsgewalt mit
Begeisterung hochgehalten haben. Während die Fürsten in selbstsüchtiger Ver¬
folgung ihrer Sonderinteressen sich Jahre lang nicht über die Wahl eines
Reichsoberhauptes zu einigen vermochten, weil sie eben einen mit wirklicher
Macht ausgestatteten Kaiser, der sie in ihrer territorialen Selbständigkeit hätte
hindern können, nicht haben wollten, sind es gerade die Städte gewesen, welche
immer und immer wieder zur Vornahme einer einheitlichen Wahl drängten.
Wohl ist es wahr, daß der rheinische Städtebund von 1254 zunächst von dem
Gedanken ausging, den städtischen Handel und Wandel gegen die immer mehr
überhandnehmende Wegelagerei der adlichen Herren zu schützen; aber als dieser
nächste Zweck erreicht war, haben sich die Städte sofort wieder jener ihrer natio¬
nalen Aufgabe zugewendet.

Als nach dem Tode des "Pfaffenkönigs" Wilhelm von Holland der kaiser¬
liche Thron wiederum leer stand, beschlossen die in dem rheinischen Bunde
geeinten Städte Mainz, Köln, Worms, Speier, Straßburg, Basel u. a. am
12. Mürz 1256, einen Brief an die deutschen Wahlsürsten zu erlassen und sie
dringend zu einer einmüthigen Wahl aufzufordern. Es ist dies das erste Mal,
daß das bürgerliche Element aktiv in die Reichsgeschäfte einzugreifen versucht.
Zwar scheiterte der Versuch; die deutschen Fürsten zogen es vor, sich von fremden
Fürsten durch Geld ihre Stimmen abkaufen zu lassen; dennoch ist das patrio¬
tische Auftreten der Städte eine erfreuliche Erscheinung, die für diese selbst
auch nicht ohne Frucht blieb: ihre politische Selbständigkeit erlangte dadurch
einen großen Aufschwung.


tung der Städte für die innere Entwickelung Deutschlands, der sie überhaupt
nur zu wenig Aufmerksamkeit widmeten, entgangen. Friedrich II., der Fürst,
der sonst den modernen Ideen von Staat und Kirche am nächsten steht, sich
am höchsten über die befangenen Anschauungen seiner Zeit erhoben hat, hat
doch in dieser Beziehung ganz dieselben Wege eingeschlagen wie seine Vor¬
gänger; ja, er hat sich der Entwickelung der Städte selbst noch schroffer ent¬
gegengestellt als diese. Er verbot durch das Edikt von Ravenna den Städten
jede Einsetzung eines Rathes und damit jede selbständige Bewegung. Ver¬
geblich ! Das Edikt wurde wenig oder gar nicht beachtet, und während Friedrich
in Italien seinen ehrgeizigen Bestrebungen erlag, erlangten die deutschen Städte
immer höhere Bedeutung, entfalteten immer größere und schönere Blüthen.

Merkwürdig genug ist der Gang, den die städtische Politik in der nun
folgenden traurigen, kaiserlosen Zeit einschlug. Obwohl die Städte von den
letzten Hohenstaufen keineswegs in ihrem Fortschreiten zu bürgerlicher Selb¬
ständigkeit unterstützt worden waren, sind gerade sie es gewesen, welche nach
dem Aussterben des hohenstaufischen Kaisergesehlechtes die Fahne der nationalen
Einheit, der zentralen, in dem Kaiserthum repräsentirten Regierungsgewalt mit
Begeisterung hochgehalten haben. Während die Fürsten in selbstsüchtiger Ver¬
folgung ihrer Sonderinteressen sich Jahre lang nicht über die Wahl eines
Reichsoberhauptes zu einigen vermochten, weil sie eben einen mit wirklicher
Macht ausgestatteten Kaiser, der sie in ihrer territorialen Selbständigkeit hätte
hindern können, nicht haben wollten, sind es gerade die Städte gewesen, welche
immer und immer wieder zur Vornahme einer einheitlichen Wahl drängten.
Wohl ist es wahr, daß der rheinische Städtebund von 1254 zunächst von dem
Gedanken ausging, den städtischen Handel und Wandel gegen die immer mehr
überhandnehmende Wegelagerei der adlichen Herren zu schützen; aber als dieser
nächste Zweck erreicht war, haben sich die Städte sofort wieder jener ihrer natio¬
nalen Aufgabe zugewendet.

Als nach dem Tode des „Pfaffenkönigs" Wilhelm von Holland der kaiser¬
liche Thron wiederum leer stand, beschlossen die in dem rheinischen Bunde
geeinten Städte Mainz, Köln, Worms, Speier, Straßburg, Basel u. a. am
12. Mürz 1256, einen Brief an die deutschen Wahlsürsten zu erlassen und sie
dringend zu einer einmüthigen Wahl aufzufordern. Es ist dies das erste Mal,
daß das bürgerliche Element aktiv in die Reichsgeschäfte einzugreifen versucht.
Zwar scheiterte der Versuch; die deutschen Fürsten zogen es vor, sich von fremden
Fürsten durch Geld ihre Stimmen abkaufen zu lassen; dennoch ist das patrio¬
tische Auftreten der Städte eine erfreuliche Erscheinung, die für diese selbst
auch nicht ohne Frucht blieb: ihre politische Selbständigkeit erlangte dadurch
einen großen Aufschwung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/275>, abgerufen am 23.07.2024.