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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Zunächst scheint sicher zu sein, daß die Tage des Ministeriums Waddington
gezählt sind. Nicht mit Unrecht wohl betrachtet der Pariser Korrespondent der
lunss den Rücktritt desselben als unvermeidlich. Warum? Je nun, Wechsel
muß sein, und Veränderung ist ein Vergnügen, auch gibt es Leute, die auf die
Stelle warten. Grevy ist beinahe schon nenn Monate Präsident und Wad¬
dington ebensolange leitender Minister. Da wird es Zeit, an einen Andern
zu denken. Französische Politiker würden sich die Achtung der Mitwelt zu
verscherzen fürchten, wenn sie nicht wenigstens im Kabinet des Präsidenten
eine Aenderung herbeiführen wollten. Dieselbe wird also unzweifelhaft besorgt
werden, und der Fall Waddingtons ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit.
Vielleicht dauert es damit nur noch bis zum Zusammentritt der Kammern,
möglich auch, daß das Ereigniß sich bis zum Frühjahr verzögert. Worüber
es straucheln und stürzen wird, ist im Grunde ziemlich einerlei. Die allge¬
meine Amnestie wird ihm wahrscheinlich nicht zum Stein des Anstoßes werden,
da Gambetta nicht mehr Neigung zu empfinden scheint, den Patron eines aus¬
sichtslosen Feldzugs für dieses Verlangen zu spielen; vermuthlich wird ihm
auch der siebente Paragraph der Ferryschen Gesetzvorlage gegen die Klerikalen
das Leben nicht abkürzen, da das Kabinet beschlossen hat, aus der Annahme
dieses Paragraphen keine Frage des Bleibens oder Rücktritts zu machen. Dem-
ungeachtet wird es fallen, und zwar, wie der Berichterstatter der ^iinss bos¬
haft hinzufügt, erstens, weil es noch nicht gefallen ist, zweitens weil sein Sturz
von Herrn Gambetta beschlossen ist, und drittens, weil wenige Deputirte für
und viele gegen das Ministerium zu stimmen bereit sind. Das sind freilich
keine Gründe, aber Thatsachen.

Als mögliche Nachfolger Waddingtons bezeichnet der rirass-Korrespondent
Dnfaure, Jules Simon, Gambetta, Challemel Lacour und Frehciuet. Die
beiden erstgenannten sind aber bei der jetzigen Zusammensetzung der Deputir-
tenkammer undenkbar. Gambetta ferner wird nur im äußersten Nothfalle den
Vorsitz im Kabinet übernehmen, da er dann nicht leicht Präsident werden
könnte. Sollte Waddington über die Amnestiefrage zu Falle kommen, so wäre
ein Ministerium aus den Reihen der Gemäßigten nach ihm eine Unmöglichkeit,
und wahrscheinlich würde ihn dann Challemel Lacour, der jetzige Gesandte
Frankreichs bei der Eidgenossenschaft, ersetzen. Was das für das Land be¬
deuten würde -- und wohl auch für dessen Nachbarn brauchen wir nicht
zu sagen.




Zunächst scheint sicher zu sein, daß die Tage des Ministeriums Waddington
gezählt sind. Nicht mit Unrecht wohl betrachtet der Pariser Korrespondent der
lunss den Rücktritt desselben als unvermeidlich. Warum? Je nun, Wechsel
muß sein, und Veränderung ist ein Vergnügen, auch gibt es Leute, die auf die
Stelle warten. Grevy ist beinahe schon nenn Monate Präsident und Wad¬
dington ebensolange leitender Minister. Da wird es Zeit, an einen Andern
zu denken. Französische Politiker würden sich die Achtung der Mitwelt zu
verscherzen fürchten, wenn sie nicht wenigstens im Kabinet des Präsidenten
eine Aenderung herbeiführen wollten. Dieselbe wird also unzweifelhaft besorgt
werden, und der Fall Waddingtons ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit.
Vielleicht dauert es damit nur noch bis zum Zusammentritt der Kammern,
möglich auch, daß das Ereigniß sich bis zum Frühjahr verzögert. Worüber
es straucheln und stürzen wird, ist im Grunde ziemlich einerlei. Die allge¬
meine Amnestie wird ihm wahrscheinlich nicht zum Stein des Anstoßes werden,
da Gambetta nicht mehr Neigung zu empfinden scheint, den Patron eines aus¬
sichtslosen Feldzugs für dieses Verlangen zu spielen; vermuthlich wird ihm
auch der siebente Paragraph der Ferryschen Gesetzvorlage gegen die Klerikalen
das Leben nicht abkürzen, da das Kabinet beschlossen hat, aus der Annahme
dieses Paragraphen keine Frage des Bleibens oder Rücktritts zu machen. Dem-
ungeachtet wird es fallen, und zwar, wie der Berichterstatter der ^iinss bos¬
haft hinzufügt, erstens, weil es noch nicht gefallen ist, zweitens weil sein Sturz
von Herrn Gambetta beschlossen ist, und drittens, weil wenige Deputirte für
und viele gegen das Ministerium zu stimmen bereit sind. Das sind freilich
keine Gründe, aber Thatsachen.

Als mögliche Nachfolger Waddingtons bezeichnet der rirass-Korrespondent
Dnfaure, Jules Simon, Gambetta, Challemel Lacour und Frehciuet. Die
beiden erstgenannten sind aber bei der jetzigen Zusammensetzung der Deputir-
tenkammer undenkbar. Gambetta ferner wird nur im äußersten Nothfalle den
Vorsitz im Kabinet übernehmen, da er dann nicht leicht Präsident werden
könnte. Sollte Waddington über die Amnestiefrage zu Falle kommen, so wäre
ein Ministerium aus den Reihen der Gemäßigten nach ihm eine Unmöglichkeit,
und wahrscheinlich würde ihn dann Challemel Lacour, der jetzige Gesandte
Frankreichs bei der Eidgenossenschaft, ersetzen. Was das für das Land be¬
deuten würde — und wohl auch für dessen Nachbarn brauchen wir nicht
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[0266] Zunächst scheint sicher zu sein, daß die Tage des Ministeriums Waddington gezählt sind. Nicht mit Unrecht wohl betrachtet der Pariser Korrespondent der lunss den Rücktritt desselben als unvermeidlich. Warum? Je nun, Wechsel muß sein, und Veränderung ist ein Vergnügen, auch gibt es Leute, die auf die Stelle warten. Grevy ist beinahe schon nenn Monate Präsident und Wad¬ dington ebensolange leitender Minister. Da wird es Zeit, an einen Andern zu denken. Französische Politiker würden sich die Achtung der Mitwelt zu verscherzen fürchten, wenn sie nicht wenigstens im Kabinet des Präsidenten eine Aenderung herbeiführen wollten. Dieselbe wird also unzweifelhaft besorgt werden, und der Fall Waddingtons ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit. Vielleicht dauert es damit nur noch bis zum Zusammentritt der Kammern, möglich auch, daß das Ereigniß sich bis zum Frühjahr verzögert. Worüber es straucheln und stürzen wird, ist im Grunde ziemlich einerlei. Die allge¬ meine Amnestie wird ihm wahrscheinlich nicht zum Stein des Anstoßes werden, da Gambetta nicht mehr Neigung zu empfinden scheint, den Patron eines aus¬ sichtslosen Feldzugs für dieses Verlangen zu spielen; vermuthlich wird ihm auch der siebente Paragraph der Ferryschen Gesetzvorlage gegen die Klerikalen das Leben nicht abkürzen, da das Kabinet beschlossen hat, aus der Annahme dieses Paragraphen keine Frage des Bleibens oder Rücktritts zu machen. Dem- ungeachtet wird es fallen, und zwar, wie der Berichterstatter der ^iinss bos¬ haft hinzufügt, erstens, weil es noch nicht gefallen ist, zweitens weil sein Sturz von Herrn Gambetta beschlossen ist, und drittens, weil wenige Deputirte für und viele gegen das Ministerium zu stimmen bereit sind. Das sind freilich keine Gründe, aber Thatsachen. Als mögliche Nachfolger Waddingtons bezeichnet der rirass-Korrespondent Dnfaure, Jules Simon, Gambetta, Challemel Lacour und Frehciuet. Die beiden erstgenannten sind aber bei der jetzigen Zusammensetzung der Deputir- tenkammer undenkbar. Gambetta ferner wird nur im äußersten Nothfalle den Vorsitz im Kabinet übernehmen, da er dann nicht leicht Präsident werden könnte. Sollte Waddington über die Amnestiefrage zu Falle kommen, so wäre ein Ministerium aus den Reihen der Gemäßigten nach ihm eine Unmöglichkeit, und wahrscheinlich würde ihn dann Challemel Lacour, der jetzige Gesandte Frankreichs bei der Eidgenossenschaft, ersetzen. Was das für das Land be¬ deuten würde — und wohl auch für dessen Nachbarn brauchen wir nicht zu sagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/266>, abgerufen am 23.07.2024.