Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

sehung". Das Mittel zur Erreichung jenes Zieles bestehe, so fuhr er fort, in
der Revolution, welche das Licht sei. Die, welche meinten, daß eine Umwäl¬
zung ohne Gewaltthätigkeit möglich sei, bestünden aus Dummköpfen, unehr¬
lichen Leuten und Unwissenden. Man müsse die Liquidirung der alten fran¬
zösischen Gesellschaft vornehmen, und zwar uach einem System, nach welchem
der Staat die Privatpersonen für den von ihm eingezogenen Besitz an Geld
und Gut durch zwanzigjährige Zahlung von fünf vom Hundert abzufinden
habe. "Der Proletarier," so schloß dieser offenherzige Kommunist seine An¬
sprache, "hat nicht die Aufgabe, ewig für den Reichen wegen eines Kapitals
zu arbeiten, das dieser nicht geschaffen hat. Man wird mir einwerfen, daß die
Kapitalien dann auswandern werden; daß die Rohstoffe neue Kapitalien her¬
vorbringen, und daß die Hausbesitzer ihre Häuser nicht mehr vermiethen werden.
Was sollen sie aber mit ihnen machen? Die Maurer werden für die Arbeiter
neue Häuser bauen. Der Bourgeois ist hartherzig, weil er die Leiden nicht
kennt, während das Volk gut ist, wenn das Elend es nicht verhärtet hat"
u. s. w. Rauschender allgemeiner Beifall belohnte den Redner für diese Proben
unverfälschten politischen Blödsinns und bewies, wie weit es mit einem großen
Theile der französischen Arbeiter wieder gekommen, oder wie wenig der alte Haß
derselben gegen die Besitzenden und gegen die bestehende Ordnung erloschen ist.

In weiten Kreisen Frankreichs werden ähnliche Gedanken und Pläne laut,
und fast allenthalben, namentlich in den Fabrikbezirken und den großen Städten,
vor allem in Paris, brodelt und wallt unter dem Feuer, das von den Kom¬
munisten und den Radikalen der Sorte Louis Blaues und Blanquis geschürt
wird, lustig der Hexenkessel wieder, ans dem die blutigen Geister der Revolu¬
tion aufsteigen. Die Pariser Radikalen organisiren sich und benutzen jede
Gelegenheit, zu Gunsten der allgemeinen Amnestie zu demonstriren. Am
8. Oktober fand im Stadtviertel eine Wahlversammlung statt, in der
sich Humbert, einer der Amnestirten, früher Mitarbeiter des berüchtigten rothen
Schmutzblattes ?vrs vn<zb.ZQ", zum Mitgliede des Gemeinderathes empfahl.
Er sprach dabei für die Begnadigung der in nunca zurückgehaltenen Kom-
munards, die man "dem Vaterlande zurückgeben müsse, das sie so heiß geliebt,
der Republik, die sie so tapfer vertheidigt". "Die Amnestiefrage," so fuhr er
fort, "wird nächstens wieder vor die Kammer kommen. Wie wird sie gelöst
werden? Wir wissen es nicht. Es ist aber wichtig, daß das Pariser Volk
sich ausspricht, daß die Wähler den Erwählten zuvorkommen. Indem ihr für
mich stimmt, werdet ihr für die allgemeine Amnestie stimmen. Ich verlange
von euch, Bürger, daß ihr im Namen derer, welche dort in der Ferne sind,
welche zuerst meine Waffengefährten, dann meine Leidensgenossen waren, am
nächsten Sonntag euch für die allgemeine Amnestie ausspreche." Und so ge-


sehung". Das Mittel zur Erreichung jenes Zieles bestehe, so fuhr er fort, in
der Revolution, welche das Licht sei. Die, welche meinten, daß eine Umwäl¬
zung ohne Gewaltthätigkeit möglich sei, bestünden aus Dummköpfen, unehr¬
lichen Leuten und Unwissenden. Man müsse die Liquidirung der alten fran¬
zösischen Gesellschaft vornehmen, und zwar uach einem System, nach welchem
der Staat die Privatpersonen für den von ihm eingezogenen Besitz an Geld
und Gut durch zwanzigjährige Zahlung von fünf vom Hundert abzufinden
habe. „Der Proletarier," so schloß dieser offenherzige Kommunist seine An¬
sprache, „hat nicht die Aufgabe, ewig für den Reichen wegen eines Kapitals
zu arbeiten, das dieser nicht geschaffen hat. Man wird mir einwerfen, daß die
Kapitalien dann auswandern werden; daß die Rohstoffe neue Kapitalien her¬
vorbringen, und daß die Hausbesitzer ihre Häuser nicht mehr vermiethen werden.
Was sollen sie aber mit ihnen machen? Die Maurer werden für die Arbeiter
neue Häuser bauen. Der Bourgeois ist hartherzig, weil er die Leiden nicht
kennt, während das Volk gut ist, wenn das Elend es nicht verhärtet hat"
u. s. w. Rauschender allgemeiner Beifall belohnte den Redner für diese Proben
unverfälschten politischen Blödsinns und bewies, wie weit es mit einem großen
Theile der französischen Arbeiter wieder gekommen, oder wie wenig der alte Haß
derselben gegen die Besitzenden und gegen die bestehende Ordnung erloschen ist.

In weiten Kreisen Frankreichs werden ähnliche Gedanken und Pläne laut,
und fast allenthalben, namentlich in den Fabrikbezirken und den großen Städten,
vor allem in Paris, brodelt und wallt unter dem Feuer, das von den Kom¬
munisten und den Radikalen der Sorte Louis Blaues und Blanquis geschürt
wird, lustig der Hexenkessel wieder, ans dem die blutigen Geister der Revolu¬
tion aufsteigen. Die Pariser Radikalen organisiren sich und benutzen jede
Gelegenheit, zu Gunsten der allgemeinen Amnestie zu demonstriren. Am
8. Oktober fand im Stadtviertel eine Wahlversammlung statt, in der
sich Humbert, einer der Amnestirten, früher Mitarbeiter des berüchtigten rothen
Schmutzblattes ?vrs vn<zb.ZQ«, zum Mitgliede des Gemeinderathes empfahl.
Er sprach dabei für die Begnadigung der in nunca zurückgehaltenen Kom-
munards, die man „dem Vaterlande zurückgeben müsse, das sie so heiß geliebt,
der Republik, die sie so tapfer vertheidigt". „Die Amnestiefrage," so fuhr er
fort, „wird nächstens wieder vor die Kammer kommen. Wie wird sie gelöst
werden? Wir wissen es nicht. Es ist aber wichtig, daß das Pariser Volk
sich ausspricht, daß die Wähler den Erwählten zuvorkommen. Indem ihr für
mich stimmt, werdet ihr für die allgemeine Amnestie stimmen. Ich verlange
von euch, Bürger, daß ihr im Namen derer, welche dort in der Ferne sind,
welche zuerst meine Waffengefährten, dann meine Leidensgenossen waren, am
nächsten Sonntag euch für die allgemeine Amnestie ausspreche." Und so ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143319"/>
          <p xml:id="ID_769" prev="#ID_768"> sehung". Das Mittel zur Erreichung jenes Zieles bestehe, so fuhr er fort, in<lb/>
der Revolution, welche das Licht sei. Die, welche meinten, daß eine Umwäl¬<lb/>
zung ohne Gewaltthätigkeit möglich sei, bestünden aus Dummköpfen, unehr¬<lb/>
lichen Leuten und Unwissenden. Man müsse die Liquidirung der alten fran¬<lb/>
zösischen Gesellschaft vornehmen, und zwar uach einem System, nach welchem<lb/>
der Staat die Privatpersonen für den von ihm eingezogenen Besitz an Geld<lb/>
und Gut durch zwanzigjährige Zahlung von fünf vom Hundert abzufinden<lb/>
habe. &#x201E;Der Proletarier," so schloß dieser offenherzige Kommunist seine An¬<lb/>
sprache, &#x201E;hat nicht die Aufgabe, ewig für den Reichen wegen eines Kapitals<lb/>
zu arbeiten, das dieser nicht geschaffen hat. Man wird mir einwerfen, daß die<lb/>
Kapitalien dann auswandern werden; daß die Rohstoffe neue Kapitalien her¬<lb/>
vorbringen, und daß die Hausbesitzer ihre Häuser nicht mehr vermiethen werden.<lb/>
Was sollen sie aber mit ihnen machen? Die Maurer werden für die Arbeiter<lb/>
neue Häuser bauen. Der Bourgeois ist hartherzig, weil er die Leiden nicht<lb/>
kennt, während das Volk gut ist, wenn das Elend es nicht verhärtet hat"<lb/>
u. s. w. Rauschender allgemeiner Beifall belohnte den Redner für diese Proben<lb/>
unverfälschten politischen Blödsinns und bewies, wie weit es mit einem großen<lb/>
Theile der französischen Arbeiter wieder gekommen, oder wie wenig der alte Haß<lb/>
derselben gegen die Besitzenden und gegen die bestehende Ordnung erloschen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_770" next="#ID_771"> In weiten Kreisen Frankreichs werden ähnliche Gedanken und Pläne laut,<lb/>
und fast allenthalben, namentlich in den Fabrikbezirken und den großen Städten,<lb/>
vor allem in Paris, brodelt und wallt unter dem Feuer, das von den Kom¬<lb/>
munisten und den Radikalen der Sorte Louis Blaues und Blanquis geschürt<lb/>
wird, lustig der Hexenkessel wieder, ans dem die blutigen Geister der Revolu¬<lb/>
tion aufsteigen. Die Pariser Radikalen organisiren sich und benutzen jede<lb/>
Gelegenheit, zu Gunsten der allgemeinen Amnestie zu demonstriren. Am<lb/>
8. Oktober fand im Stadtviertel eine Wahlversammlung statt, in der<lb/>
sich Humbert, einer der Amnestirten, früher Mitarbeiter des berüchtigten rothen<lb/>
Schmutzblattes ?vrs vn&lt;zb.ZQ«, zum Mitgliede des Gemeinderathes empfahl.<lb/>
Er sprach dabei für die Begnadigung der in nunca zurückgehaltenen Kom-<lb/>
munards, die man &#x201E;dem Vaterlande zurückgeben müsse, das sie so heiß geliebt,<lb/>
der Republik, die sie so tapfer vertheidigt". &#x201E;Die Amnestiefrage," so fuhr er<lb/>
fort, &#x201E;wird nächstens wieder vor die Kammer kommen. Wie wird sie gelöst<lb/>
werden? Wir wissen es nicht. Es ist aber wichtig, daß das Pariser Volk<lb/>
sich ausspricht, daß die Wähler den Erwählten zuvorkommen. Indem ihr für<lb/>
mich stimmt, werdet ihr für die allgemeine Amnestie stimmen. Ich verlange<lb/>
von euch, Bürger, daß ihr im Namen derer, welche dort in der Ferne sind,<lb/>
welche zuerst meine Waffengefährten, dann meine Leidensgenossen waren, am<lb/>
nächsten Sonntag euch für die allgemeine Amnestie ausspreche." Und so ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0264] sehung". Das Mittel zur Erreichung jenes Zieles bestehe, so fuhr er fort, in der Revolution, welche das Licht sei. Die, welche meinten, daß eine Umwäl¬ zung ohne Gewaltthätigkeit möglich sei, bestünden aus Dummköpfen, unehr¬ lichen Leuten und Unwissenden. Man müsse die Liquidirung der alten fran¬ zösischen Gesellschaft vornehmen, und zwar uach einem System, nach welchem der Staat die Privatpersonen für den von ihm eingezogenen Besitz an Geld und Gut durch zwanzigjährige Zahlung von fünf vom Hundert abzufinden habe. „Der Proletarier," so schloß dieser offenherzige Kommunist seine An¬ sprache, „hat nicht die Aufgabe, ewig für den Reichen wegen eines Kapitals zu arbeiten, das dieser nicht geschaffen hat. Man wird mir einwerfen, daß die Kapitalien dann auswandern werden; daß die Rohstoffe neue Kapitalien her¬ vorbringen, und daß die Hausbesitzer ihre Häuser nicht mehr vermiethen werden. Was sollen sie aber mit ihnen machen? Die Maurer werden für die Arbeiter neue Häuser bauen. Der Bourgeois ist hartherzig, weil er die Leiden nicht kennt, während das Volk gut ist, wenn das Elend es nicht verhärtet hat" u. s. w. Rauschender allgemeiner Beifall belohnte den Redner für diese Proben unverfälschten politischen Blödsinns und bewies, wie weit es mit einem großen Theile der französischen Arbeiter wieder gekommen, oder wie wenig der alte Haß derselben gegen die Besitzenden und gegen die bestehende Ordnung erloschen ist. In weiten Kreisen Frankreichs werden ähnliche Gedanken und Pläne laut, und fast allenthalben, namentlich in den Fabrikbezirken und den großen Städten, vor allem in Paris, brodelt und wallt unter dem Feuer, das von den Kom¬ munisten und den Radikalen der Sorte Louis Blaues und Blanquis geschürt wird, lustig der Hexenkessel wieder, ans dem die blutigen Geister der Revolu¬ tion aufsteigen. Die Pariser Radikalen organisiren sich und benutzen jede Gelegenheit, zu Gunsten der allgemeinen Amnestie zu demonstriren. Am 8. Oktober fand im Stadtviertel eine Wahlversammlung statt, in der sich Humbert, einer der Amnestirten, früher Mitarbeiter des berüchtigten rothen Schmutzblattes ?vrs vn<zb.ZQ«, zum Mitgliede des Gemeinderathes empfahl. Er sprach dabei für die Begnadigung der in nunca zurückgehaltenen Kom- munards, die man „dem Vaterlande zurückgeben müsse, das sie so heiß geliebt, der Republik, die sie so tapfer vertheidigt". „Die Amnestiefrage," so fuhr er fort, „wird nächstens wieder vor die Kammer kommen. Wie wird sie gelöst werden? Wir wissen es nicht. Es ist aber wichtig, daß das Pariser Volk sich ausspricht, daß die Wähler den Erwählten zuvorkommen. Indem ihr für mich stimmt, werdet ihr für die allgemeine Amnestie stimmen. Ich verlange von euch, Bürger, daß ihr im Namen derer, welche dort in der Ferne sind, welche zuerst meine Waffengefährten, dann meine Leidensgenossen waren, am nächsten Sonntag euch für die allgemeine Amnestie ausspreche." Und so ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/264
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/264>, abgerufen am 26.08.2024.