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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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nämlich durch die Einstimmigkeit des Hauses bis auf die Stimmen einzelner
Sonderlinge. Die Konservativen und das Zentrum waren bereit, Herrn
v. Bennigsen zu wählen, als ersten Vizepräsidenten den konservativen Herrn
v. Koller, als zweiten Vizepräsidenten den Freiherrn v. Heremann vom Zentrum.
Hätten die Nationalliberalen dieser Liste zugestimmt, so hätten es wohl auch
die Freikonservativen gethan, und damit wäre die Einstimmigkeit des Hauses
etwa bis auf die Stimmen eines Theils der Fortschrittspartei hergestellt ge¬
wesen. Aber die Nationalliberalen besannen sich auf ihre Korpstraditionen.
Hatten sie nicht vordem das Korps "Germania" in Verruf gethan, weil dessen
Mitglieder angeblich die kirchenpolitischen Gesetze zum Theil nicht anerkennen?
Nun, die Zentrumsleute erkennen gewisse Gesetze theoretisch nicht an, sie lassen
sich aber praktisch für die Nichtbefolgung einsperren oder mit Geldstrafen be¬
legen, kommen auch den Ausweisungen nach, ohne die Zwangsbeförderung ab¬
zuwarten. Eigentlich ist das nur ein besonderer Geschmack in der Wahl des
Modus der Anerkennung. Unter Umständen kann dieser Modus der Aner¬
kennung, den man auch etwas ungenau passiven Widerstand nennt, unbequem
und selbst gefährlich werden. Dann wird es Sache der Staatsregierung sein
zu erwägen, ob sie solchen Staatsbürgern die Einschränkung oder gar die völlige
Entziehung der staatsbürgerlichen Rechte aufzulegen hat. So lange aber die Helden
oder Anstifter dieser Art passiven Widerstandes in ihren staatsbürgerlichen Rechten
durch das Gesetz unverkürzt bleiben, so lange ist es eine Illusion oder Thorheit
nach echter deutscher Studentenart, den Widerstrebenden durch ein moralisches
Mittel beikommen zu wollen, wie es die Entziehung gewisser Ehrenrechte ist.
Der über das Zentrum verhängte parlamentarische Verruf war von Anfang
an ein thörichter und falscher Schritt. Indessen wären die Nationalliberalen
wohl über die Tradition dieses Verrufes hinweggekommen, wenn dieselbe nicht
einen bequemen Vorwand, eine willkommne Ausflucht nach anderer Seite ge¬
boten hätte. Man hatte doch eine gewisse Furcht, ein unklares Bangen, nicht
das währe Herz für die konservativ-liberale Majorität, deren Symbol der Name
Bennigsen als Präsident zu sein geschienen hätte. Denn daß man einen Prä¬
sidenten ohne alle Nebendemonstration blos wegen seiner Eigenschaften für das
Amt wählt, zu diesem Gedanken schwingen sich einmal deutsche Parlamentarier
einstweilen noch nicht auf. Um also vor der Bildung der konservativ-liberalen
Majorität noch etwas zagen und zögern zu können, besann man sich auf den
alten Verruf. Gerade so machen es ja die Korps auf den Universitäten, sie
thun in Verruf, kneipen inzwischen mit den Gegnern und besinnen sich bei
passender oder unpassender Gelegenheit plötzlich wieder auf den Verruf.

Als die Konservativen hörten, daß die Nationalliberalen das, Zentrum vom
Präsidium auszuschließen beharrten, waren sie froh, der Wahl Bennigsens über-


nämlich durch die Einstimmigkeit des Hauses bis auf die Stimmen einzelner
Sonderlinge. Die Konservativen und das Zentrum waren bereit, Herrn
v. Bennigsen zu wählen, als ersten Vizepräsidenten den konservativen Herrn
v. Koller, als zweiten Vizepräsidenten den Freiherrn v. Heremann vom Zentrum.
Hätten die Nationalliberalen dieser Liste zugestimmt, so hätten es wohl auch
die Freikonservativen gethan, und damit wäre die Einstimmigkeit des Hauses
etwa bis auf die Stimmen eines Theils der Fortschrittspartei hergestellt ge¬
wesen. Aber die Nationalliberalen besannen sich auf ihre Korpstraditionen.
Hatten sie nicht vordem das Korps „Germania" in Verruf gethan, weil dessen
Mitglieder angeblich die kirchenpolitischen Gesetze zum Theil nicht anerkennen?
Nun, die Zentrumsleute erkennen gewisse Gesetze theoretisch nicht an, sie lassen
sich aber praktisch für die Nichtbefolgung einsperren oder mit Geldstrafen be¬
legen, kommen auch den Ausweisungen nach, ohne die Zwangsbeförderung ab¬
zuwarten. Eigentlich ist das nur ein besonderer Geschmack in der Wahl des
Modus der Anerkennung. Unter Umständen kann dieser Modus der Aner¬
kennung, den man auch etwas ungenau passiven Widerstand nennt, unbequem
und selbst gefährlich werden. Dann wird es Sache der Staatsregierung sein
zu erwägen, ob sie solchen Staatsbürgern die Einschränkung oder gar die völlige
Entziehung der staatsbürgerlichen Rechte aufzulegen hat. So lange aber die Helden
oder Anstifter dieser Art passiven Widerstandes in ihren staatsbürgerlichen Rechten
durch das Gesetz unverkürzt bleiben, so lange ist es eine Illusion oder Thorheit
nach echter deutscher Studentenart, den Widerstrebenden durch ein moralisches
Mittel beikommen zu wollen, wie es die Entziehung gewisser Ehrenrechte ist.
Der über das Zentrum verhängte parlamentarische Verruf war von Anfang
an ein thörichter und falscher Schritt. Indessen wären die Nationalliberalen
wohl über die Tradition dieses Verrufes hinweggekommen, wenn dieselbe nicht
einen bequemen Vorwand, eine willkommne Ausflucht nach anderer Seite ge¬
boten hätte. Man hatte doch eine gewisse Furcht, ein unklares Bangen, nicht
das währe Herz für die konservativ-liberale Majorität, deren Symbol der Name
Bennigsen als Präsident zu sein geschienen hätte. Denn daß man einen Prä¬
sidenten ohne alle Nebendemonstration blos wegen seiner Eigenschaften für das
Amt wählt, zu diesem Gedanken schwingen sich einmal deutsche Parlamentarier
einstweilen noch nicht auf. Um also vor der Bildung der konservativ-liberalen
Majorität noch etwas zagen und zögern zu können, besann man sich auf den
alten Verruf. Gerade so machen es ja die Korps auf den Universitäten, sie
thun in Verruf, kneipen inzwischen mit den Gegnern und besinnen sich bei
passender oder unpassender Gelegenheit plötzlich wieder auf den Verruf.

Als die Konservativen hörten, daß die Nationalliberalen das, Zentrum vom
Präsidium auszuschließen beharrten, waren sie froh, der Wahl Bennigsens über-


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[0258] nämlich durch die Einstimmigkeit des Hauses bis auf die Stimmen einzelner Sonderlinge. Die Konservativen und das Zentrum waren bereit, Herrn v. Bennigsen zu wählen, als ersten Vizepräsidenten den konservativen Herrn v. Koller, als zweiten Vizepräsidenten den Freiherrn v. Heremann vom Zentrum. Hätten die Nationalliberalen dieser Liste zugestimmt, so hätten es wohl auch die Freikonservativen gethan, und damit wäre die Einstimmigkeit des Hauses etwa bis auf die Stimmen eines Theils der Fortschrittspartei hergestellt ge¬ wesen. Aber die Nationalliberalen besannen sich auf ihre Korpstraditionen. Hatten sie nicht vordem das Korps „Germania" in Verruf gethan, weil dessen Mitglieder angeblich die kirchenpolitischen Gesetze zum Theil nicht anerkennen? Nun, die Zentrumsleute erkennen gewisse Gesetze theoretisch nicht an, sie lassen sich aber praktisch für die Nichtbefolgung einsperren oder mit Geldstrafen be¬ legen, kommen auch den Ausweisungen nach, ohne die Zwangsbeförderung ab¬ zuwarten. Eigentlich ist das nur ein besonderer Geschmack in der Wahl des Modus der Anerkennung. Unter Umständen kann dieser Modus der Aner¬ kennung, den man auch etwas ungenau passiven Widerstand nennt, unbequem und selbst gefährlich werden. Dann wird es Sache der Staatsregierung sein zu erwägen, ob sie solchen Staatsbürgern die Einschränkung oder gar die völlige Entziehung der staatsbürgerlichen Rechte aufzulegen hat. So lange aber die Helden oder Anstifter dieser Art passiven Widerstandes in ihren staatsbürgerlichen Rechten durch das Gesetz unverkürzt bleiben, so lange ist es eine Illusion oder Thorheit nach echter deutscher Studentenart, den Widerstrebenden durch ein moralisches Mittel beikommen zu wollen, wie es die Entziehung gewisser Ehrenrechte ist. Der über das Zentrum verhängte parlamentarische Verruf war von Anfang an ein thörichter und falscher Schritt. Indessen wären die Nationalliberalen wohl über die Tradition dieses Verrufes hinweggekommen, wenn dieselbe nicht einen bequemen Vorwand, eine willkommne Ausflucht nach anderer Seite ge¬ boten hätte. Man hatte doch eine gewisse Furcht, ein unklares Bangen, nicht das währe Herz für die konservativ-liberale Majorität, deren Symbol der Name Bennigsen als Präsident zu sein geschienen hätte. Denn daß man einen Prä¬ sidenten ohne alle Nebendemonstration blos wegen seiner Eigenschaften für das Amt wählt, zu diesem Gedanken schwingen sich einmal deutsche Parlamentarier einstweilen noch nicht auf. Um also vor der Bildung der konservativ-liberalen Majorität noch etwas zagen und zögern zu können, besann man sich auf den alten Verruf. Gerade so machen es ja die Korps auf den Universitäten, sie thun in Verruf, kneipen inzwischen mit den Gegnern und besinnen sich bei passender oder unpassender Gelegenheit plötzlich wieder auf den Verruf. Als die Konservativen hörten, daß die Nationalliberalen das, Zentrum vom Präsidium auszuschließen beharrten, waren sie froh, der Wahl Bennigsens über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/258>, abgerufen am 28.09.2024.