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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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die sogenannte "Goldne Pforte" am Dome zu Freiberg. Die letztere über¬
trifft an Schönheit und Reichthum alles, was von romanischer Skulptur in
Deutschland, ja vielleicht überhaupt erhalten ist, sie ist wohl das Herrlichste vou
Portal-Architektur und -Skulptur, was die romanische Baukunst aufzuweisen
hat, ein Wunderwerk, das seinen Namen auch in dem figürlichen Sinne, in
welchem es heutzutage, nachdem die ehemalige Gold- und Farbenpracht längst
dahingeschwunden ist, nur noch verstanden werden kann, vollauf verdient, ein
Wunderwerk aber auch um seiner Schicksale willen.

Der jetzige Freiberger Dom ist ein spätgothischer Bau. Er stammt aus
dem Ende des 15. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts; 1512 soll er
vollendet worden sein. Die berühmte kurfürstliche Begrübnißkapelle -- neben der
Goldner Pforte der zweite Glanzpunkt des Domes -- ist sogar erst von 1588
bis 1594 durch den italienischen Architekten und Bildhauer Giovanni Maria
Nosseni erbaut worden. Die Goldne Pforte aber ist ein durch merkwürdige
Glücksfälle erhaltener Rest von der kleinen romanischen Basilika, die früher
an Stelle des jetzigen Domes stand und etwa um die Mitte des 13. Jahr¬
hunderts errichtet worden sein mag. Bei den vier großen Bränden, die Frei¬
berg im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts betroffen haben, ist sie stets
verschont geblieben. Der zweite Brand im Jahre 1386 zerstörte die ganze
Kirche; nur die Pforte und einige wenige andere Theile wurden gerettet und
blieben an Ort und Stelle, als die Kirche im gothischen Stile wieder aufge¬
baut wurde. Ziemlich hundert Jahre später, 1484, wurde die Kirche bei dem
vierten Brande abermals vollständig zerstört, und wiederum war es, abgesehen
von anderen unbedeutenden Resten, nur die Pforte, die erhalten blieb, und so
wurde sie denn zum zweiten Male, an derselben Stelle, wo sie von Anfang
an gestanden, in den neuzuerrichtenden Dom mit eingebaut.

Nach der Weise vieler romanischer Portale gehen auch an der Goldner
Pforte die Wandungen und, dem entsprechend, die Bogenlaibnngen, welche die¬
selben in weite" konzentrischen Kreisen überspannen, schräg nach innen, so
daß der Eingang sich nach der Thür zu verengert und so "das Innere sich
dem Herantretenden gleichsam einladend und ihn hineinziehend öffnet" (Schnaase).
Diese schrägen Wände gliedern sich unten am Sockel in regelmäßigen recht¬
winkligen Vorsprüngen, auf denen sich abwechselnd Säulen und Pfeiler -- auf
jeder Seite fünf Säulen und vier Pfeiler -- erheben. Die Schäfte der Säulen
sind reich dekorirt, und zwar so, daß jedesmal die beiden rechts und links ein¬
ander entsprechenden Säulen dieselbe Verzierung zeigen. Die zwischen je zwei
Säulen stehenden Pfeiler aber sind oben nischenförmig ausgekehlt, und unter
diesen Nischen stehen, auf kleinen, halbhohen Säulchen, die vor die Pfeiler ge¬
stellt sind, acht halblebensgroße Statuen, jede mit einer phantastischen Gestalt


die sogenannte „Goldne Pforte" am Dome zu Freiberg. Die letztere über¬
trifft an Schönheit und Reichthum alles, was von romanischer Skulptur in
Deutschland, ja vielleicht überhaupt erhalten ist, sie ist wohl das Herrlichste vou
Portal-Architektur und -Skulptur, was die romanische Baukunst aufzuweisen
hat, ein Wunderwerk, das seinen Namen auch in dem figürlichen Sinne, in
welchem es heutzutage, nachdem die ehemalige Gold- und Farbenpracht längst
dahingeschwunden ist, nur noch verstanden werden kann, vollauf verdient, ein
Wunderwerk aber auch um seiner Schicksale willen.

Der jetzige Freiberger Dom ist ein spätgothischer Bau. Er stammt aus
dem Ende des 15. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts; 1512 soll er
vollendet worden sein. Die berühmte kurfürstliche Begrübnißkapelle — neben der
Goldner Pforte der zweite Glanzpunkt des Domes — ist sogar erst von 1588
bis 1594 durch den italienischen Architekten und Bildhauer Giovanni Maria
Nosseni erbaut worden. Die Goldne Pforte aber ist ein durch merkwürdige
Glücksfälle erhaltener Rest von der kleinen romanischen Basilika, die früher
an Stelle des jetzigen Domes stand und etwa um die Mitte des 13. Jahr¬
hunderts errichtet worden sein mag. Bei den vier großen Bränden, die Frei¬
berg im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts betroffen haben, ist sie stets
verschont geblieben. Der zweite Brand im Jahre 1386 zerstörte die ganze
Kirche; nur die Pforte und einige wenige andere Theile wurden gerettet und
blieben an Ort und Stelle, als die Kirche im gothischen Stile wieder aufge¬
baut wurde. Ziemlich hundert Jahre später, 1484, wurde die Kirche bei dem
vierten Brande abermals vollständig zerstört, und wiederum war es, abgesehen
von anderen unbedeutenden Resten, nur die Pforte, die erhalten blieb, und so
wurde sie denn zum zweiten Male, an derselben Stelle, wo sie von Anfang
an gestanden, in den neuzuerrichtenden Dom mit eingebaut.

Nach der Weise vieler romanischer Portale gehen auch an der Goldner
Pforte die Wandungen und, dem entsprechend, die Bogenlaibnngen, welche die¬
selben in weite» konzentrischen Kreisen überspannen, schräg nach innen, so
daß der Eingang sich nach der Thür zu verengert und so „das Innere sich
dem Herantretenden gleichsam einladend und ihn hineinziehend öffnet" (Schnaase).
Diese schrägen Wände gliedern sich unten am Sockel in regelmäßigen recht¬
winkligen Vorsprüngen, auf denen sich abwechselnd Säulen und Pfeiler — auf
jeder Seite fünf Säulen und vier Pfeiler — erheben. Die Schäfte der Säulen
sind reich dekorirt, und zwar so, daß jedesmal die beiden rechts und links ein¬
ander entsprechenden Säulen dieselbe Verzierung zeigen. Die zwischen je zwei
Säulen stehenden Pfeiler aber sind oben nischenförmig ausgekehlt, und unter
diesen Nischen stehen, auf kleinen, halbhohen Säulchen, die vor die Pfeiler ge¬
stellt sind, acht halblebensgroße Statuen, jede mit einer phantastischen Gestalt


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[0230] die sogenannte „Goldne Pforte" am Dome zu Freiberg. Die letztere über¬ trifft an Schönheit und Reichthum alles, was von romanischer Skulptur in Deutschland, ja vielleicht überhaupt erhalten ist, sie ist wohl das Herrlichste vou Portal-Architektur und -Skulptur, was die romanische Baukunst aufzuweisen hat, ein Wunderwerk, das seinen Namen auch in dem figürlichen Sinne, in welchem es heutzutage, nachdem die ehemalige Gold- und Farbenpracht längst dahingeschwunden ist, nur noch verstanden werden kann, vollauf verdient, ein Wunderwerk aber auch um seiner Schicksale willen. Der jetzige Freiberger Dom ist ein spätgothischer Bau. Er stammt aus dem Ende des 15. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts; 1512 soll er vollendet worden sein. Die berühmte kurfürstliche Begrübnißkapelle — neben der Goldner Pforte der zweite Glanzpunkt des Domes — ist sogar erst von 1588 bis 1594 durch den italienischen Architekten und Bildhauer Giovanni Maria Nosseni erbaut worden. Die Goldne Pforte aber ist ein durch merkwürdige Glücksfälle erhaltener Rest von der kleinen romanischen Basilika, die früher an Stelle des jetzigen Domes stand und etwa um die Mitte des 13. Jahr¬ hunderts errichtet worden sein mag. Bei den vier großen Bränden, die Frei¬ berg im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts betroffen haben, ist sie stets verschont geblieben. Der zweite Brand im Jahre 1386 zerstörte die ganze Kirche; nur die Pforte und einige wenige andere Theile wurden gerettet und blieben an Ort und Stelle, als die Kirche im gothischen Stile wieder aufge¬ baut wurde. Ziemlich hundert Jahre später, 1484, wurde die Kirche bei dem vierten Brande abermals vollständig zerstört, und wiederum war es, abgesehen von anderen unbedeutenden Resten, nur die Pforte, die erhalten blieb, und so wurde sie denn zum zweiten Male, an derselben Stelle, wo sie von Anfang an gestanden, in den neuzuerrichtenden Dom mit eingebaut. Nach der Weise vieler romanischer Portale gehen auch an der Goldner Pforte die Wandungen und, dem entsprechend, die Bogenlaibnngen, welche die¬ selben in weite» konzentrischen Kreisen überspannen, schräg nach innen, so daß der Eingang sich nach der Thür zu verengert und so „das Innere sich dem Herantretenden gleichsam einladend und ihn hineinziehend öffnet" (Schnaase). Diese schrägen Wände gliedern sich unten am Sockel in regelmäßigen recht¬ winkligen Vorsprüngen, auf denen sich abwechselnd Säulen und Pfeiler — auf jeder Seite fünf Säulen und vier Pfeiler — erheben. Die Schäfte der Säulen sind reich dekorirt, und zwar so, daß jedesmal die beiden rechts und links ein¬ ander entsprechenden Säulen dieselbe Verzierung zeigen. Die zwischen je zwei Säulen stehenden Pfeiler aber sind oben nischenförmig ausgekehlt, und unter diesen Nischen stehen, auf kleinen, halbhohen Säulchen, die vor die Pfeiler ge¬ stellt sind, acht halblebensgroße Statuen, jede mit einer phantastischen Gestalt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/230>, abgerufen am 23.07.2024.