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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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rathen, sondern sich als Glieder des Kanzlers zu betrachten, die, gleich den
weiteren Gliedern, den Geschäftsträgern, Gesandten und Botschaftern, mit ihrem
Wissen und Können seine Gedanken und Absichten verwirklichen. Initiative
und Einspruch sind ausgeschlossen. Alles dreht sich und rührt sich um einen
Willen und thut, was es kann. Und so gehört sichs. Starkes Selbgefühl und
die Nothwendigkeit einheitlicher Politik vertragen sich nicht. Es muß Ordnung
sein, feste Ordnung, Subordination. Nichts darf an der oder jener Individua¬
lität stocken. Vor Zeiten war das anders, ohne daß es viel geschadet hätte.
Heute, wo ein fruchtbarer Geist und ein energischer Wille hier walten und die
größten Dinge auf den! Spiele stehen, ist einfach Ordre zu pariren. Niemand
darf sich berufen fühlen, den selbständigen zu spielen, und daß der verstorbene
Staatssekretär dies begriffen, daß seine Befähigung und seine Denkweise derart
waren, daß ihn das Bewußtsein seines Werthes niemals zu dem Versuche ver¬
leitete, eigne Wege einzuschlagen, obwohl er als Minister Kollege des Kanzlers
war, ist nicht das kleinste Lob, das ihm in seine Gruft mitzugeben war.

Ohne Zweifel war Bülow mit seiner Anlage und Erfahrung, seiner Ge¬
schäftskenntniß und seiner außergewöhnlichen Arbeitskraft im hohen Grade für
die Aufgaben geeignet, die ihm als Staatssekretär zufielen. Aber ebenso sicher
ist, daß der Kanzler ihn trotz aller dieser Vorzüge nicht an sich herangezogen
und sechs Jahre als obersten Gehilfen um sich behalten haben würde, wenn
er nicht von vornherein gewußt und es durch den weiteren Verlauf des Verkehrs
mit ihm bestätigt gefunden hätte, daß derselbe keine eigene Politik vertrat, daß er
sich mit seiner Wirksamkeit ausschließlich innerhalb der ihm vom Chef vorge¬
zeichneten Linien hielt und thatsächlich nicht mehr sein wollte als ein durch¬
weg tüchtiger Bnreauchef und ein Beamter, der dem Kanzler dadurch, daß er
ihm die Routinearbeit, den Verkehr mit den fremden Diplomaten und andere
leidige Nothwendigkeiten abnahm, die Hände für wichtigere Dinge freihielt.

Das war sicher viel werth, aber von einem Antheil an den politischen
Gedanken des Fürsten konnte bei Bülow selbstverständlich so wenig die Rede
sein wie bei irgend einem andern Arbeiter im Auswärtigen Amte. Auf die
große Politik wird sein Hingang durchaus keinen Einfluß haben. Diejenigen
Friktionen namentlich, an die man zunächst denkt, wenn man sich des Artikels
in Ur. 42 d. Bl. erinnert, und von denen der Verstorbene nur als getreuer
Vertreter der Anschauungen und Absichten seines Chefs zu leiden hatte, werden,
wie die "Weser-Zeitung" ganz richtig bemerkt, "bei sich darbietenden Anlasse
für den Reichskanzler immer die nämlichen bleiben, und sie zu überwinden
wird stets seine Sache sein".




rathen, sondern sich als Glieder des Kanzlers zu betrachten, die, gleich den
weiteren Gliedern, den Geschäftsträgern, Gesandten und Botschaftern, mit ihrem
Wissen und Können seine Gedanken und Absichten verwirklichen. Initiative
und Einspruch sind ausgeschlossen. Alles dreht sich und rührt sich um einen
Willen und thut, was es kann. Und so gehört sichs. Starkes Selbgefühl und
die Nothwendigkeit einheitlicher Politik vertragen sich nicht. Es muß Ordnung
sein, feste Ordnung, Subordination. Nichts darf an der oder jener Individua¬
lität stocken. Vor Zeiten war das anders, ohne daß es viel geschadet hätte.
Heute, wo ein fruchtbarer Geist und ein energischer Wille hier walten und die
größten Dinge auf den! Spiele stehen, ist einfach Ordre zu pariren. Niemand
darf sich berufen fühlen, den selbständigen zu spielen, und daß der verstorbene
Staatssekretär dies begriffen, daß seine Befähigung und seine Denkweise derart
waren, daß ihn das Bewußtsein seines Werthes niemals zu dem Versuche ver¬
leitete, eigne Wege einzuschlagen, obwohl er als Minister Kollege des Kanzlers
war, ist nicht das kleinste Lob, das ihm in seine Gruft mitzugeben war.

Ohne Zweifel war Bülow mit seiner Anlage und Erfahrung, seiner Ge¬
schäftskenntniß und seiner außergewöhnlichen Arbeitskraft im hohen Grade für
die Aufgaben geeignet, die ihm als Staatssekretär zufielen. Aber ebenso sicher
ist, daß der Kanzler ihn trotz aller dieser Vorzüge nicht an sich herangezogen
und sechs Jahre als obersten Gehilfen um sich behalten haben würde, wenn
er nicht von vornherein gewußt und es durch den weiteren Verlauf des Verkehrs
mit ihm bestätigt gefunden hätte, daß derselbe keine eigene Politik vertrat, daß er
sich mit seiner Wirksamkeit ausschließlich innerhalb der ihm vom Chef vorge¬
zeichneten Linien hielt und thatsächlich nicht mehr sein wollte als ein durch¬
weg tüchtiger Bnreauchef und ein Beamter, der dem Kanzler dadurch, daß er
ihm die Routinearbeit, den Verkehr mit den fremden Diplomaten und andere
leidige Nothwendigkeiten abnahm, die Hände für wichtigere Dinge freihielt.

Das war sicher viel werth, aber von einem Antheil an den politischen
Gedanken des Fürsten konnte bei Bülow selbstverständlich so wenig die Rede
sein wie bei irgend einem andern Arbeiter im Auswärtigen Amte. Auf die
große Politik wird sein Hingang durchaus keinen Einfluß haben. Diejenigen
Friktionen namentlich, an die man zunächst denkt, wenn man sich des Artikels
in Ur. 42 d. Bl. erinnert, und von denen der Verstorbene nur als getreuer
Vertreter der Anschauungen und Absichten seines Chefs zu leiden hatte, werden,
wie die „Weser-Zeitung" ganz richtig bemerkt, „bei sich darbietenden Anlasse
für den Reichskanzler immer die nämlichen bleiben, und sie zu überwinden
wird stets seine Sache sein".




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[0214] rathen, sondern sich als Glieder des Kanzlers zu betrachten, die, gleich den weiteren Gliedern, den Geschäftsträgern, Gesandten und Botschaftern, mit ihrem Wissen und Können seine Gedanken und Absichten verwirklichen. Initiative und Einspruch sind ausgeschlossen. Alles dreht sich und rührt sich um einen Willen und thut, was es kann. Und so gehört sichs. Starkes Selbgefühl und die Nothwendigkeit einheitlicher Politik vertragen sich nicht. Es muß Ordnung sein, feste Ordnung, Subordination. Nichts darf an der oder jener Individua¬ lität stocken. Vor Zeiten war das anders, ohne daß es viel geschadet hätte. Heute, wo ein fruchtbarer Geist und ein energischer Wille hier walten und die größten Dinge auf den! Spiele stehen, ist einfach Ordre zu pariren. Niemand darf sich berufen fühlen, den selbständigen zu spielen, und daß der verstorbene Staatssekretär dies begriffen, daß seine Befähigung und seine Denkweise derart waren, daß ihn das Bewußtsein seines Werthes niemals zu dem Versuche ver¬ leitete, eigne Wege einzuschlagen, obwohl er als Minister Kollege des Kanzlers war, ist nicht das kleinste Lob, das ihm in seine Gruft mitzugeben war. Ohne Zweifel war Bülow mit seiner Anlage und Erfahrung, seiner Ge¬ schäftskenntniß und seiner außergewöhnlichen Arbeitskraft im hohen Grade für die Aufgaben geeignet, die ihm als Staatssekretär zufielen. Aber ebenso sicher ist, daß der Kanzler ihn trotz aller dieser Vorzüge nicht an sich herangezogen und sechs Jahre als obersten Gehilfen um sich behalten haben würde, wenn er nicht von vornherein gewußt und es durch den weiteren Verlauf des Verkehrs mit ihm bestätigt gefunden hätte, daß derselbe keine eigene Politik vertrat, daß er sich mit seiner Wirksamkeit ausschließlich innerhalb der ihm vom Chef vorge¬ zeichneten Linien hielt und thatsächlich nicht mehr sein wollte als ein durch¬ weg tüchtiger Bnreauchef und ein Beamter, der dem Kanzler dadurch, daß er ihm die Routinearbeit, den Verkehr mit den fremden Diplomaten und andere leidige Nothwendigkeiten abnahm, die Hände für wichtigere Dinge freihielt. Das war sicher viel werth, aber von einem Antheil an den politischen Gedanken des Fürsten konnte bei Bülow selbstverständlich so wenig die Rede sein wie bei irgend einem andern Arbeiter im Auswärtigen Amte. Auf die große Politik wird sein Hingang durchaus keinen Einfluß haben. Diejenigen Friktionen namentlich, an die man zunächst denkt, wenn man sich des Artikels in Ur. 42 d. Bl. erinnert, und von denen der Verstorbene nur als getreuer Vertreter der Anschauungen und Absichten seines Chefs zu leiden hatte, werden, wie die „Weser-Zeitung" ganz richtig bemerkt, „bei sich darbietenden Anlasse für den Reichskanzler immer die nämlichen bleiben, und sie zu überwinden wird stets seine Sache sein".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/214>, abgerufen am 23.07.2024.