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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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erlassen. Allenthalben an den englischen Küsten war der Strandranb, die
Plünderung gescheiterter Schiffe von Alters her Gewohnheit gewesen, um die
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aber nahm dieses Verbrechen ganz beson¬
ders überHand, und obwohl Gesetze dagegen ergingen, die es mit Todesstrafe
bedrohten, war es an vielen Orten und namentlich in Cornwallis noch 1776
im Schwange.

Einer der ärgsten Schandflecke des englischen Lebens waren bis auf die
Reform Lord Pelhams die sogenannten "Fleck-Heirathen". Bis dahin war
jede Ehe rechtskräftig, die von einem ordinirten Priester eingesegnet worden
war, gleichviel, wo oder wann, ob mit Eintragung in ein Register, ob mit
Einwilligung der Eltern u. tgi. Dadurch rissen schmähliche Mißbräuche ein.
Eine Menge Geistlicher, gewöhnlich Schuldgefaugene, meist auch Leute von
notorisch schlechtem Lebenswandel, machten es sich zum Geschäft, im Fleetstreet-
Gefüngniß oder nicht weit davon heimliche Ehen zu kvnsekriren, und zwar ohne
Erlaubnißschein der Behörde, ja oft, ohne die Namen des Paares zu kennen.
Fast jede Schenke in der Nachbarschaft des Gefängnisses hatte einen solchen
Geistlichen in ihrem Solde. Selbst in Bordellen kamen derartige Trauungen
häufig vor. Ju dasselbe Kapitel gehört die Kapelle der Curzonstreet, wo der
Reverend Alexander Keith mit gleicher Ungenirtheit wie seine weniger an¬
spruchsvollen Amtsbruder traute. Er soll jährlich im Durchschnitt 6000 Paare
mit einander verbunden und sich damit ein "ganz bischöfliches Einkommen"
verschafft haben. Nach seiner eignen Angabe kannten die meisten derer, die er
traute, einander nicht länger als eine Woche, viele hatten sich vor ein paar
Stunden erst kennen gelernt. Junge unerfahrene Erben, frisch von der Schule
kommend, wurden so in die Falle gelockt. Eine vorübergehende tolle Laune,
eine raschverfliegende Leidenschaft, die Aufregung des Trinkens, Täuschung
oder Einschüchterung durch gewissenlose Helfershelfer reichten oft hin, solche
Leute zu plötzlichem Heirathen zu veranlassen, die alle ihre Lebenshoffnungen
vernichteten. Es kam vor, daß junge Männer, aus einem Rausche erwachend,
zu ihrem Staunen und Schrecken erfuhren, daß sie während desselben zu Ehe¬
männern geworden waren. Wenn Schiffe angekommen waren und die Matrosen
ans Land strömten, um die ihnen ausgezahlte Heuer mit Trinken und unter
Dirnen zu verthun, so wurden sie alsbald umstellt, und es fanden dann oft
zwei- bis dreihundert Heirathen in einer Woche statt. Auch vornehme Personen
ließen sich nicht selten auf diese Weise täuschen. Unter den bekannteren Fällen
heimlicher Ehen dieser Art finden wir die des Herzogs von Hamilton mit Miß
Gunning, die des Herzogs von Kingston mit Miß Chudleigh, die von Henry
Fox mit der Tochter des Herzogs von Richmond und die des Dichters Chur¬
chill, der im Alter von 17 Jahren eine Verbindung einging, welche nicht wenig


erlassen. Allenthalben an den englischen Küsten war der Strandranb, die
Plünderung gescheiterter Schiffe von Alters her Gewohnheit gewesen, um die
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aber nahm dieses Verbrechen ganz beson¬
ders überHand, und obwohl Gesetze dagegen ergingen, die es mit Todesstrafe
bedrohten, war es an vielen Orten und namentlich in Cornwallis noch 1776
im Schwange.

Einer der ärgsten Schandflecke des englischen Lebens waren bis auf die
Reform Lord Pelhams die sogenannten „Fleck-Heirathen". Bis dahin war
jede Ehe rechtskräftig, die von einem ordinirten Priester eingesegnet worden
war, gleichviel, wo oder wann, ob mit Eintragung in ein Register, ob mit
Einwilligung der Eltern u. tgi. Dadurch rissen schmähliche Mißbräuche ein.
Eine Menge Geistlicher, gewöhnlich Schuldgefaugene, meist auch Leute von
notorisch schlechtem Lebenswandel, machten es sich zum Geschäft, im Fleetstreet-
Gefüngniß oder nicht weit davon heimliche Ehen zu kvnsekriren, und zwar ohne
Erlaubnißschein der Behörde, ja oft, ohne die Namen des Paares zu kennen.
Fast jede Schenke in der Nachbarschaft des Gefängnisses hatte einen solchen
Geistlichen in ihrem Solde. Selbst in Bordellen kamen derartige Trauungen
häufig vor. Ju dasselbe Kapitel gehört die Kapelle der Curzonstreet, wo der
Reverend Alexander Keith mit gleicher Ungenirtheit wie seine weniger an¬
spruchsvollen Amtsbruder traute. Er soll jährlich im Durchschnitt 6000 Paare
mit einander verbunden und sich damit ein „ganz bischöfliches Einkommen"
verschafft haben. Nach seiner eignen Angabe kannten die meisten derer, die er
traute, einander nicht länger als eine Woche, viele hatten sich vor ein paar
Stunden erst kennen gelernt. Junge unerfahrene Erben, frisch von der Schule
kommend, wurden so in die Falle gelockt. Eine vorübergehende tolle Laune,
eine raschverfliegende Leidenschaft, die Aufregung des Trinkens, Täuschung
oder Einschüchterung durch gewissenlose Helfershelfer reichten oft hin, solche
Leute zu plötzlichem Heirathen zu veranlassen, die alle ihre Lebenshoffnungen
vernichteten. Es kam vor, daß junge Männer, aus einem Rausche erwachend,
zu ihrem Staunen und Schrecken erfuhren, daß sie während desselben zu Ehe¬
männern geworden waren. Wenn Schiffe angekommen waren und die Matrosen
ans Land strömten, um die ihnen ausgezahlte Heuer mit Trinken und unter
Dirnen zu verthun, so wurden sie alsbald umstellt, und es fanden dann oft
zwei- bis dreihundert Heirathen in einer Woche statt. Auch vornehme Personen
ließen sich nicht selten auf diese Weise täuschen. Unter den bekannteren Fällen
heimlicher Ehen dieser Art finden wir die des Herzogs von Hamilton mit Miß
Gunning, die des Herzogs von Kingston mit Miß Chudleigh, die von Henry
Fox mit der Tochter des Herzogs von Richmond und die des Dichters Chur¬
chill, der im Alter von 17 Jahren eine Verbindung einging, welche nicht wenig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/154>, abgerufen am 06.07.2024.