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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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festgestellt wurden, so daß sie dann im weiteren Verlaufe der Ausbildung mit
unbeirrter Konsequenz innegehalten werden konnten. Möge es daher anch an
dieser Stelle gestattet sein, der schnelllebigen Gegenwart den Namen des eminent
gelehrten Artilleristen ins Gedächtniß zurückzurufen, dessen unermüdlicher und
ausdauernder Arbeit es, unter Ueberwindung von Schwierigkeiten und wider¬
strebenden Einwirkungen mancher Art, vornehmlich gelang, das preußische
System der gezogenen Geschütze zu der Höhe der Entwickelung emporzuheben,
welche die so hoch zu preisende Leistung der Artillerie im letzten Kriege gegen
Frankreich ermöglichte. Es ist dies der jetzt in schon vorgerücktem Alter in
Jnaktivität zu Berlin lebende Generallieutenant z. D. v. Neumcinn.

Jene Grundlagen des Systems sind weniger zahlreich als bedeutsam. Es
sind deren im ganzen drei: 1.) die Hinterladung, 2.) die Geschoßführung im
gezogenen Theile der Seele des Rohres ohne Spielraum unter Vermittelung
eines weicheren Führungsmetalles und 3.) die mechanische Selbstzündung des
Sprenggeschosses, beim Aufschläge am Ziele, die Perkussionszündung. Es sind
dies spezifische Unterschiede gegen die Geschützsysteme Englands und Frankreichs,
welche durch die Beibehaltung der Vorderladung zur Geschoßführuug mit
Spielraum und auch zum Theil zu anderer Geschoßzündung gezwungen resp,
geführt wurden. Rußland nahm wechselnd die entstandenen Modelle in Ver¬
such, und mancher Orten wurde auch die Hinterladung ernstlich aufgenommen;
doch war man nicht im Stande, die damit unvermeidlich verbundenen kon¬
struktiven Schwierigkeiten derart zu überwinden, daß sie überhaupt und gleich
zu ausschließlicher Annahme in anderen Staaten gelangt wäre, wie dies in
Preußen der Fall war.

Der durch das gezogene Geschütz herbeigeführte Uebergang von der pri¬
mitiven Kugel zum zwei bis drei Mal so schweren Langgeschoß und die Ge¬
schoßführung ohne Spielraum veranlaßten erheblich vergrößerte Ansprüche an
die Widerstandsfähigkeit der Geschützrohre gegen den wachsenden inneren Druck
der Pulvergase, und so war man bald genöthigt, für stärkere Leistungen an
Stelle des schwachen Gußeisens und der alten, leicht verletzliche" Bronze an
den Gußstahl zu denken. Mit der ersten größeren Bestellung an Gußstahl-
blvcken zur Herstellung gezogener Feldgeschütze für das preußische Heer bei der
Kruppschen Fabrik vor nunmehr 20 Jahren begann aber an dieser Stelle eine
Mitarbeit an dieser Zeitfrage, die allmählich in mehr und mehr selbständigem
Fortgange von immer größerer Bedeutung werden sollte.

Während man bei der Artillerie-Prüfungskommission an der Ausbildung
der Festungs-, Belageruugs- und auch der Küsten- und Schiffsartillerie arbeitete,
waren doch vor dem Jahre 1866 die gegebenen Mittel hierfür im ganzen
kärglich. Erst die geplante bedeutende Erhöhung des Standes der Kriegsflotte


festgestellt wurden, so daß sie dann im weiteren Verlaufe der Ausbildung mit
unbeirrter Konsequenz innegehalten werden konnten. Möge es daher anch an
dieser Stelle gestattet sein, der schnelllebigen Gegenwart den Namen des eminent
gelehrten Artilleristen ins Gedächtniß zurückzurufen, dessen unermüdlicher und
ausdauernder Arbeit es, unter Ueberwindung von Schwierigkeiten und wider¬
strebenden Einwirkungen mancher Art, vornehmlich gelang, das preußische
System der gezogenen Geschütze zu der Höhe der Entwickelung emporzuheben,
welche die so hoch zu preisende Leistung der Artillerie im letzten Kriege gegen
Frankreich ermöglichte. Es ist dies der jetzt in schon vorgerücktem Alter in
Jnaktivität zu Berlin lebende Generallieutenant z. D. v. Neumcinn.

Jene Grundlagen des Systems sind weniger zahlreich als bedeutsam. Es
sind deren im ganzen drei: 1.) die Hinterladung, 2.) die Geschoßführung im
gezogenen Theile der Seele des Rohres ohne Spielraum unter Vermittelung
eines weicheren Führungsmetalles und 3.) die mechanische Selbstzündung des
Sprenggeschosses, beim Aufschläge am Ziele, die Perkussionszündung. Es sind
dies spezifische Unterschiede gegen die Geschützsysteme Englands und Frankreichs,
welche durch die Beibehaltung der Vorderladung zur Geschoßführuug mit
Spielraum und auch zum Theil zu anderer Geschoßzündung gezwungen resp,
geführt wurden. Rußland nahm wechselnd die entstandenen Modelle in Ver¬
such, und mancher Orten wurde auch die Hinterladung ernstlich aufgenommen;
doch war man nicht im Stande, die damit unvermeidlich verbundenen kon¬
struktiven Schwierigkeiten derart zu überwinden, daß sie überhaupt und gleich
zu ausschließlicher Annahme in anderen Staaten gelangt wäre, wie dies in
Preußen der Fall war.

Der durch das gezogene Geschütz herbeigeführte Uebergang von der pri¬
mitiven Kugel zum zwei bis drei Mal so schweren Langgeschoß und die Ge¬
schoßführung ohne Spielraum veranlaßten erheblich vergrößerte Ansprüche an
die Widerstandsfähigkeit der Geschützrohre gegen den wachsenden inneren Druck
der Pulvergase, und so war man bald genöthigt, für stärkere Leistungen an
Stelle des schwachen Gußeisens und der alten, leicht verletzliche» Bronze an
den Gußstahl zu denken. Mit der ersten größeren Bestellung an Gußstahl-
blvcken zur Herstellung gezogener Feldgeschütze für das preußische Heer bei der
Kruppschen Fabrik vor nunmehr 20 Jahren begann aber an dieser Stelle eine
Mitarbeit an dieser Zeitfrage, die allmählich in mehr und mehr selbständigem
Fortgange von immer größerer Bedeutung werden sollte.

Während man bei der Artillerie-Prüfungskommission an der Ausbildung
der Festungs-, Belageruugs- und auch der Küsten- und Schiffsartillerie arbeitete,
waren doch vor dem Jahre 1866 die gegebenen Mittel hierfür im ganzen
kärglich. Erst die geplante bedeutende Erhöhung des Standes der Kriegsflotte


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[0114] festgestellt wurden, so daß sie dann im weiteren Verlaufe der Ausbildung mit unbeirrter Konsequenz innegehalten werden konnten. Möge es daher anch an dieser Stelle gestattet sein, der schnelllebigen Gegenwart den Namen des eminent gelehrten Artilleristen ins Gedächtniß zurückzurufen, dessen unermüdlicher und ausdauernder Arbeit es, unter Ueberwindung von Schwierigkeiten und wider¬ strebenden Einwirkungen mancher Art, vornehmlich gelang, das preußische System der gezogenen Geschütze zu der Höhe der Entwickelung emporzuheben, welche die so hoch zu preisende Leistung der Artillerie im letzten Kriege gegen Frankreich ermöglichte. Es ist dies der jetzt in schon vorgerücktem Alter in Jnaktivität zu Berlin lebende Generallieutenant z. D. v. Neumcinn. Jene Grundlagen des Systems sind weniger zahlreich als bedeutsam. Es sind deren im ganzen drei: 1.) die Hinterladung, 2.) die Geschoßführung im gezogenen Theile der Seele des Rohres ohne Spielraum unter Vermittelung eines weicheren Führungsmetalles und 3.) die mechanische Selbstzündung des Sprenggeschosses, beim Aufschläge am Ziele, die Perkussionszündung. Es sind dies spezifische Unterschiede gegen die Geschützsysteme Englands und Frankreichs, welche durch die Beibehaltung der Vorderladung zur Geschoßführuug mit Spielraum und auch zum Theil zu anderer Geschoßzündung gezwungen resp, geführt wurden. Rußland nahm wechselnd die entstandenen Modelle in Ver¬ such, und mancher Orten wurde auch die Hinterladung ernstlich aufgenommen; doch war man nicht im Stande, die damit unvermeidlich verbundenen kon¬ struktiven Schwierigkeiten derart zu überwinden, daß sie überhaupt und gleich zu ausschließlicher Annahme in anderen Staaten gelangt wäre, wie dies in Preußen der Fall war. Der durch das gezogene Geschütz herbeigeführte Uebergang von der pri¬ mitiven Kugel zum zwei bis drei Mal so schweren Langgeschoß und die Ge¬ schoßführung ohne Spielraum veranlaßten erheblich vergrößerte Ansprüche an die Widerstandsfähigkeit der Geschützrohre gegen den wachsenden inneren Druck der Pulvergase, und so war man bald genöthigt, für stärkere Leistungen an Stelle des schwachen Gußeisens und der alten, leicht verletzliche» Bronze an den Gußstahl zu denken. Mit der ersten größeren Bestellung an Gußstahl- blvcken zur Herstellung gezogener Feldgeschütze für das preußische Heer bei der Kruppschen Fabrik vor nunmehr 20 Jahren begann aber an dieser Stelle eine Mitarbeit an dieser Zeitfrage, die allmählich in mehr und mehr selbständigem Fortgange von immer größerer Bedeutung werden sollte. Während man bei der Artillerie-Prüfungskommission an der Ausbildung der Festungs-, Belageruugs- und auch der Küsten- und Schiffsartillerie arbeitete, waren doch vor dem Jahre 1866 die gegebenen Mittel hierfür im ganzen kärglich. Erst die geplante bedeutende Erhöhung des Standes der Kriegsflotte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/114>, abgerufen am 03.07.2024.