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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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mittlerische Thätigkeit des Priesterthums für die Beziehung der Seele zu Gold
verneint und die Hierarchie zu einer um der Ordnung willen förderlichen In¬
stitution herabgesetzt, deren leitende Gewalt von ihrer Gleichförmigkeit mit dem
Evangelium bedingt sei. So erklärt er: "Um Gottes willen glauben wir dem
Evangelium und um des Evangeliums willen der Kirche und dem Papste, nicht
aber dem Evangelium um der Kirche willen". Aber auch hier dürfen wir einen
wesentlichen Unterschied zwischen den Verneinungen Wessels und der Reforma¬
toren nicht übersehen: ihre Basis ist eine verschiedene. Wessel geht von dem
allgemeinen ethischen Gesichtspunkte aus, daß das religiöse und sittliche Leben
sich ausschließlich nach seinen eignen innern Gesetzen entwickeln müsse und durch
keinen äußeren Mechanismus beeinflußt werden dürfe; die Reformatoren dagegen
werden von der bestimmten ethischen Ueberzeugung geleitet, daß der gerecht¬
fertigte und durch die Rechtfertigung seines Heils völlig gewisse Christ innerlich
frei der äußeren, sichtbar erscheinenden Kirche gegenüberstehe. Und aus dieser
Ueberzeugung heraus ist die That der Reformation entsprungen.

Es bleibt uns noch übrig, den Kreis näher ins Auge zu fassen, aus dem
Luther unmittelbar hervorgegangen ist, und die Persönlichkeit, in deren Bezie¬
hungen wir einen ersten Ausgangspunkt evangelischen Heilsverständnisses für
ihn zu erkennen gewohnt sind; wir meinen den deutschen Augustiner-Orden und
Johann v. Staupitz. Wir sind in der erfreulichen Lage, auf diesem schwierigen,
weil bis vor kurzem noch wenig erforschten Gebiete jetzt sichere Schritte thun
zu können, seitdem Kolbe in dem vor wenigen Monaten veröffentlichten Werke
"Die deutsche Augustiner-Congregation und Johann von Staupitz" (Gotha, F. A.
Perthes, 1879) auf Grund umfassendster und sorgfältigster archivalischer For¬
schungen Bahn gebrochen und den Weg erhellt hat.

In der deutschen Augustiner-Kongregation zeigen sich nirgends Spuren
eines evangelischen Christenthums; die Reformations-Bestrebungen, die dort
lange Zeit die Gemüther in Spannung halten, beziehen sich nur auf eine
strengere Durchführung der Ordensregel, und Andreas Proles, der seit Flcicius
als Gesinnungsgenosse Luthers gefeiert wurde, war nichts weniger als dies.
Seine Kämpfe galten eben nur der strikten Observanz. Die Freunde derselben
wurden aber gestützt durch die Gunst des Papstthums. Nur so gelang es ihnen,
ihre Interessen erfolgreich zu vertreten. Auch der ganze Orden erfreute sich
päpstlicher Huld, wie er selbst wieder dadurch in seiner dem Papstthum ergebner
Richtung gestärkt wurde. Wir finden daher in dem Augustinerorden einen
entschiedenen Parteigänger des Kurialismus, der auch insofern seine streng
kirchliche Haltung bewahrt, als er darin seinen Ruhm sucht, daß häretische An¬
schauungen ihm fernbleiben. Nur in einer Hinsicht haben die Augustiner der
Reformation vorgearbeitet, in der Pflege der Predigt. Aber auch hier hat nicht


mittlerische Thätigkeit des Priesterthums für die Beziehung der Seele zu Gold
verneint und die Hierarchie zu einer um der Ordnung willen förderlichen In¬
stitution herabgesetzt, deren leitende Gewalt von ihrer Gleichförmigkeit mit dem
Evangelium bedingt sei. So erklärt er: „Um Gottes willen glauben wir dem
Evangelium und um des Evangeliums willen der Kirche und dem Papste, nicht
aber dem Evangelium um der Kirche willen". Aber auch hier dürfen wir einen
wesentlichen Unterschied zwischen den Verneinungen Wessels und der Reforma¬
toren nicht übersehen: ihre Basis ist eine verschiedene. Wessel geht von dem
allgemeinen ethischen Gesichtspunkte aus, daß das religiöse und sittliche Leben
sich ausschließlich nach seinen eignen innern Gesetzen entwickeln müsse und durch
keinen äußeren Mechanismus beeinflußt werden dürfe; die Reformatoren dagegen
werden von der bestimmten ethischen Ueberzeugung geleitet, daß der gerecht¬
fertigte und durch die Rechtfertigung seines Heils völlig gewisse Christ innerlich
frei der äußeren, sichtbar erscheinenden Kirche gegenüberstehe. Und aus dieser
Ueberzeugung heraus ist die That der Reformation entsprungen.

Es bleibt uns noch übrig, den Kreis näher ins Auge zu fassen, aus dem
Luther unmittelbar hervorgegangen ist, und die Persönlichkeit, in deren Bezie¬
hungen wir einen ersten Ausgangspunkt evangelischen Heilsverständnisses für
ihn zu erkennen gewohnt sind; wir meinen den deutschen Augustiner-Orden und
Johann v. Staupitz. Wir sind in der erfreulichen Lage, auf diesem schwierigen,
weil bis vor kurzem noch wenig erforschten Gebiete jetzt sichere Schritte thun
zu können, seitdem Kolbe in dem vor wenigen Monaten veröffentlichten Werke
„Die deutsche Augustiner-Congregation und Johann von Staupitz" (Gotha, F. A.
Perthes, 1879) auf Grund umfassendster und sorgfältigster archivalischer For¬
schungen Bahn gebrochen und den Weg erhellt hat.

In der deutschen Augustiner-Kongregation zeigen sich nirgends Spuren
eines evangelischen Christenthums; die Reformations-Bestrebungen, die dort
lange Zeit die Gemüther in Spannung halten, beziehen sich nur auf eine
strengere Durchführung der Ordensregel, und Andreas Proles, der seit Flcicius
als Gesinnungsgenosse Luthers gefeiert wurde, war nichts weniger als dies.
Seine Kämpfe galten eben nur der strikten Observanz. Die Freunde derselben
wurden aber gestützt durch die Gunst des Papstthums. Nur so gelang es ihnen,
ihre Interessen erfolgreich zu vertreten. Auch der ganze Orden erfreute sich
päpstlicher Huld, wie er selbst wieder dadurch in seiner dem Papstthum ergebner
Richtung gestärkt wurde. Wir finden daher in dem Augustinerorden einen
entschiedenen Parteigänger des Kurialismus, der auch insofern seine streng
kirchliche Haltung bewahrt, als er darin seinen Ruhm sucht, daß häretische An¬
schauungen ihm fernbleiben. Nur in einer Hinsicht haben die Augustiner der
Reformation vorgearbeitet, in der Pflege der Predigt. Aber auch hier hat nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/105>, abgerufen am 23.07.2024.