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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Wenden wir uns von der romanischen zu der germanischen Mystik,
so ist das Bild, welches sich uns zeigt, ein wesentlich anderes. Jene schließt
sich enger an die kirchliche Lehre an und ist gebundener, diese folgt eignen
Bahnen und ist freier, aber freilich auch nicht so nüchtern und gesund wie jene.
Pantheistische Spekulationen hat sie mehr oder weniger in sich zugelassen. Von
Meister Eckart, bei dem dies offen zu Tage tritt, sehen wir ab. Allein auch
Tauler ist nicht frei davon. Steht er der reformatorischen Lehrweise nahe?
Insofern gewiß, als die Werkgerechtigkeit hier keinen Raum findet, als es der
Grundgedanke seiner Lehre ist, daß der Mensch von sich selbst ausgehen müsse,
damit er ein leeres Gefäß für die alles in ihm wirkende Gnade werde; insofern
gewiß, als die äußere, sichtbar erscheinende Kirche für ihn nur einen geringen
Werth hat; aber die Losung der Reformation, daß der Mensch auf das Ver¬
dienst Christi bauen müsse, wird, wenn sie ihm auch uicht völlig fehlt, doch nur
selten von ihm ausgesprochen und nimmt ans keinen Fall eine wesentliche,
bedeutungsvolle Stelle in seinem Ideenkreise ein.*) Die deutsche Theologie, von
der Luther soviel gelernt zu haben überzeugt ist, steht wesentlich auf demselben
Boden.

Dieser pantheistische Zug verliert sich, vielleicht Ruysbroek ausgenommen,
bei den Mystikern der Niederlande und des Niederrheins, ohne daß sie indessen
darum mehr, als es die germanische Mystik gethan hat, der Linie des refor¬
matorischen Bewußtseins sich nähern. Von den Brüdern des gemeinsamen
Lebens dürfte dies jetzt fest stehen. Der gründlichste Kenner der hier waltenden
Bestrebungen sagt sehr richtig: "Es ist der Standpunkt des Johannes-Evange¬
liums, auf dem sie stehen; aber -- und dies ist die Schranke und das Stück¬
werk ihres Lehrbegriffs -- sie nehmen diesen Standpunkt des Johannes ein,
ohne sich zuvor mit Paulus auseinandergesetzt zu haben."**)

Dieser Werthbestimmung unterliegt auch die Theologie des Johann v. Goes,
nur ist in ihm das mystische Element gedämpfter, das praktische überwiegend.
So erklärt es sich, daß er das spezifische Priesterthum hoch, das Mönchthum
dagegen gering schützt. Es mag dies wohl damit zusammenhängen, daß das
Klosterleben damals -- im 15. Jahrhundert -- sehr darniederlag und die sich
ihm widmenden in schlechtem moralischen Rufe standen. So zitirt Goes ein
Sprichwort: Was ein Mönch zu thun wagt, würde der Teufel sich schämen
zu denken. Daher sieht er denn auch im Stande der Religiösen nicht sowohl
den Weg der Vollkommenheit, sondern vielmehr ein Erziehungsinstitut sür die




*) Vgl. C. Schmidt, Johannes Tauler von Straßburg. Hamburg, F. Perthes, 1841.
Vgl, K. Hirsche, unter "Brüder des gemeinsamen Lebens" in der Herzogscheu Rcal-
Eneyklopädie für Protest. Theologie Bd. S, S. 759.

Wenden wir uns von der romanischen zu der germanischen Mystik,
so ist das Bild, welches sich uns zeigt, ein wesentlich anderes. Jene schließt
sich enger an die kirchliche Lehre an und ist gebundener, diese folgt eignen
Bahnen und ist freier, aber freilich auch nicht so nüchtern und gesund wie jene.
Pantheistische Spekulationen hat sie mehr oder weniger in sich zugelassen. Von
Meister Eckart, bei dem dies offen zu Tage tritt, sehen wir ab. Allein auch
Tauler ist nicht frei davon. Steht er der reformatorischen Lehrweise nahe?
Insofern gewiß, als die Werkgerechtigkeit hier keinen Raum findet, als es der
Grundgedanke seiner Lehre ist, daß der Mensch von sich selbst ausgehen müsse,
damit er ein leeres Gefäß für die alles in ihm wirkende Gnade werde; insofern
gewiß, als die äußere, sichtbar erscheinende Kirche für ihn nur einen geringen
Werth hat; aber die Losung der Reformation, daß der Mensch auf das Ver¬
dienst Christi bauen müsse, wird, wenn sie ihm auch uicht völlig fehlt, doch nur
selten von ihm ausgesprochen und nimmt ans keinen Fall eine wesentliche,
bedeutungsvolle Stelle in seinem Ideenkreise ein.*) Die deutsche Theologie, von
der Luther soviel gelernt zu haben überzeugt ist, steht wesentlich auf demselben
Boden.

Dieser pantheistische Zug verliert sich, vielleicht Ruysbroek ausgenommen,
bei den Mystikern der Niederlande und des Niederrheins, ohne daß sie indessen
darum mehr, als es die germanische Mystik gethan hat, der Linie des refor¬
matorischen Bewußtseins sich nähern. Von den Brüdern des gemeinsamen
Lebens dürfte dies jetzt fest stehen. Der gründlichste Kenner der hier waltenden
Bestrebungen sagt sehr richtig: „Es ist der Standpunkt des Johannes-Evange¬
liums, auf dem sie stehen; aber — und dies ist die Schranke und das Stück¬
werk ihres Lehrbegriffs — sie nehmen diesen Standpunkt des Johannes ein,
ohne sich zuvor mit Paulus auseinandergesetzt zu haben."**)

Dieser Werthbestimmung unterliegt auch die Theologie des Johann v. Goes,
nur ist in ihm das mystische Element gedämpfter, das praktische überwiegend.
So erklärt es sich, daß er das spezifische Priesterthum hoch, das Mönchthum
dagegen gering schützt. Es mag dies wohl damit zusammenhängen, daß das
Klosterleben damals — im 15. Jahrhundert — sehr darniederlag und die sich
ihm widmenden in schlechtem moralischen Rufe standen. So zitirt Goes ein
Sprichwort: Was ein Mönch zu thun wagt, würde der Teufel sich schämen
zu denken. Daher sieht er denn auch im Stande der Religiösen nicht sowohl
den Weg der Vollkommenheit, sondern vielmehr ein Erziehungsinstitut sür die




*) Vgl. C. Schmidt, Johannes Tauler von Straßburg. Hamburg, F. Perthes, 1841.
Vgl, K. Hirsche, unter „Brüder des gemeinsamen Lebens" in der Herzogscheu Rcal-
Eneyklopädie für Protest. Theologie Bd. S, S. 759.
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[0103] Wenden wir uns von der romanischen zu der germanischen Mystik, so ist das Bild, welches sich uns zeigt, ein wesentlich anderes. Jene schließt sich enger an die kirchliche Lehre an und ist gebundener, diese folgt eignen Bahnen und ist freier, aber freilich auch nicht so nüchtern und gesund wie jene. Pantheistische Spekulationen hat sie mehr oder weniger in sich zugelassen. Von Meister Eckart, bei dem dies offen zu Tage tritt, sehen wir ab. Allein auch Tauler ist nicht frei davon. Steht er der reformatorischen Lehrweise nahe? Insofern gewiß, als die Werkgerechtigkeit hier keinen Raum findet, als es der Grundgedanke seiner Lehre ist, daß der Mensch von sich selbst ausgehen müsse, damit er ein leeres Gefäß für die alles in ihm wirkende Gnade werde; insofern gewiß, als die äußere, sichtbar erscheinende Kirche für ihn nur einen geringen Werth hat; aber die Losung der Reformation, daß der Mensch auf das Ver¬ dienst Christi bauen müsse, wird, wenn sie ihm auch uicht völlig fehlt, doch nur selten von ihm ausgesprochen und nimmt ans keinen Fall eine wesentliche, bedeutungsvolle Stelle in seinem Ideenkreise ein.*) Die deutsche Theologie, von der Luther soviel gelernt zu haben überzeugt ist, steht wesentlich auf demselben Boden. Dieser pantheistische Zug verliert sich, vielleicht Ruysbroek ausgenommen, bei den Mystikern der Niederlande und des Niederrheins, ohne daß sie indessen darum mehr, als es die germanische Mystik gethan hat, der Linie des refor¬ matorischen Bewußtseins sich nähern. Von den Brüdern des gemeinsamen Lebens dürfte dies jetzt fest stehen. Der gründlichste Kenner der hier waltenden Bestrebungen sagt sehr richtig: „Es ist der Standpunkt des Johannes-Evange¬ liums, auf dem sie stehen; aber — und dies ist die Schranke und das Stück¬ werk ihres Lehrbegriffs — sie nehmen diesen Standpunkt des Johannes ein, ohne sich zuvor mit Paulus auseinandergesetzt zu haben."**) Dieser Werthbestimmung unterliegt auch die Theologie des Johann v. Goes, nur ist in ihm das mystische Element gedämpfter, das praktische überwiegend. So erklärt es sich, daß er das spezifische Priesterthum hoch, das Mönchthum dagegen gering schützt. Es mag dies wohl damit zusammenhängen, daß das Klosterleben damals — im 15. Jahrhundert — sehr darniederlag und die sich ihm widmenden in schlechtem moralischen Rufe standen. So zitirt Goes ein Sprichwort: Was ein Mönch zu thun wagt, würde der Teufel sich schämen zu denken. Daher sieht er denn auch im Stande der Religiösen nicht sowohl den Weg der Vollkommenheit, sondern vielmehr ein Erziehungsinstitut sür die *) Vgl. C. Schmidt, Johannes Tauler von Straßburg. Hamburg, F. Perthes, 1841. Vgl, K. Hirsche, unter „Brüder des gemeinsamen Lebens" in der Herzogscheu Rcal- Eneyklopädie für Protest. Theologie Bd. S, S. 759.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/103>, abgerufen am 23.07.2024.