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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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büße. Dennoch schwächte sich, selbst in den Tagen, in denen der Vizekönig,
weil in pekuniäre Bedrängniß gerathen, nicht entfernt mehr die früher gesendeten
Summen nach Stambul schicken konnte, sein Einfluß nicht zur vollkommenen
Unbedeutendheit ab. Im Gegentheil blieb Ismail Pascha, Dank den Anstren¬
gungen und der Geschicklichkeit seines bei leerem Beutel mit Versprechungen um
so freigebigeren Agenten eine Partei im Divan und Serail dauernd gesichert.
Auch begann dieselbe, nachdem der Konflikt zwischen dem Khedive und den
Westmächten zum Ausbruch gekommen war, sich wiederum stärker zu regen.
Namentlich geschah dies, nachdem der in den Zeitungen viel erwähnte Talaat
Pascha im letztvergangenen Frühjahre mit bedeutenden Geldmitteln hier ein¬
getroffen war. Der Effekt, den seine Goldkisten machten, war alsbald ein klar
ersichtlicher. Auch in anderer Beziehung zeigte sich der neu auf der Szene er¬
scheinende Vertraute des Vizekönigs seiner Aufgabe gewachsen. Er trug Sorge
dafür, sich zunächst über den hiesigen Stand der ihn am meisten interessirenden
Dinge aufs allergenaueste zu unterrichten, und strebte deshalb nicht sofort da¬
nach, eine Audienz beim Sultan zu erhalten. Als er endlich dennoch im Jildis-
Kiosk erschien, waren ihm daselbst durch die Bemühungen des rasch von ihm
gewonnenen Anhangs die Wege und Stege zu dem vorgesteckten Ziele bereits
geöffnet und geebnet worden.

Der damalige Moment konnte den sich vorsichtig verborgen haltenden, aber
von seinen Gegnern trotzdem durchschauten, außerdem dem Monarchen gegenüber
zur nothwendigen Aussprache gebrachten Absichten und Plänen des Großwesirs
nicht eben für günstig angesehen werden. Denn mit besonderem Nachdruck hatte
Abd ni Hamid bei seiner ersten Unterredung mit Talaat Pascha betont, daß
von einer demnächstigen Absetzung seines Gebieters nicht die Rede sei, und daß er
ihm hierüber die beruhigendsten Zusicherungen machen dürfe. Der fo wesentlich
von dem späteren Ausgange verschiedene Stand der Angelegenheit um jene Zeit
wurde, neben dem, was der letzterwähnte Sendling des Khedive zu bewirken
gewußt hatte, noch durch die mehr denn je unentschlossene Haltung England's
bedingt. Man bekam es in Konstantinopel um Anfang und Mitte Mai aller
Orten zu hören, daß Ismail Pascha seine Maßnahmen sehr wohl getroffen habe
und, indem er seinen politischen Kalkül auf den Widerstreit der französischen
und englischen Interessen stütze, das Schlupfloch sich offen erhalten werde, durch
welches er zu jeder Stunde einer ernsten Gefahr sich entziehen könne.

Es hat im Laufe der Unterhandlungen zwischen der Pforte und den
Westmächten mehr als einen Augenblick gegeben, und zwar noch in den aller-
jüngsten Tagen, kurz vor der endlichen Entscheidung, in dem es um die Stellung
des schlauen Khereddin Pascha, ungeachtet aller von ihm angewandten Vorsicht,
und obgleich er sich mit seinen eigenen Plänen nicht weiter vorwagte, als noth-


büße. Dennoch schwächte sich, selbst in den Tagen, in denen der Vizekönig,
weil in pekuniäre Bedrängniß gerathen, nicht entfernt mehr die früher gesendeten
Summen nach Stambul schicken konnte, sein Einfluß nicht zur vollkommenen
Unbedeutendheit ab. Im Gegentheil blieb Ismail Pascha, Dank den Anstren¬
gungen und der Geschicklichkeit seines bei leerem Beutel mit Versprechungen um
so freigebigeren Agenten eine Partei im Divan und Serail dauernd gesichert.
Auch begann dieselbe, nachdem der Konflikt zwischen dem Khedive und den
Westmächten zum Ausbruch gekommen war, sich wiederum stärker zu regen.
Namentlich geschah dies, nachdem der in den Zeitungen viel erwähnte Talaat
Pascha im letztvergangenen Frühjahre mit bedeutenden Geldmitteln hier ein¬
getroffen war. Der Effekt, den seine Goldkisten machten, war alsbald ein klar
ersichtlicher. Auch in anderer Beziehung zeigte sich der neu auf der Szene er¬
scheinende Vertraute des Vizekönigs seiner Aufgabe gewachsen. Er trug Sorge
dafür, sich zunächst über den hiesigen Stand der ihn am meisten interessirenden
Dinge aufs allergenaueste zu unterrichten, und strebte deshalb nicht sofort da¬
nach, eine Audienz beim Sultan zu erhalten. Als er endlich dennoch im Jildis-
Kiosk erschien, waren ihm daselbst durch die Bemühungen des rasch von ihm
gewonnenen Anhangs die Wege und Stege zu dem vorgesteckten Ziele bereits
geöffnet und geebnet worden.

Der damalige Moment konnte den sich vorsichtig verborgen haltenden, aber
von seinen Gegnern trotzdem durchschauten, außerdem dem Monarchen gegenüber
zur nothwendigen Aussprache gebrachten Absichten und Plänen des Großwesirs
nicht eben für günstig angesehen werden. Denn mit besonderem Nachdruck hatte
Abd ni Hamid bei seiner ersten Unterredung mit Talaat Pascha betont, daß
von einer demnächstigen Absetzung seines Gebieters nicht die Rede sei, und daß er
ihm hierüber die beruhigendsten Zusicherungen machen dürfe. Der fo wesentlich
von dem späteren Ausgange verschiedene Stand der Angelegenheit um jene Zeit
wurde, neben dem, was der letzterwähnte Sendling des Khedive zu bewirken
gewußt hatte, noch durch die mehr denn je unentschlossene Haltung England's
bedingt. Man bekam es in Konstantinopel um Anfang und Mitte Mai aller
Orten zu hören, daß Ismail Pascha seine Maßnahmen sehr wohl getroffen habe
und, indem er seinen politischen Kalkül auf den Widerstreit der französischen
und englischen Interessen stütze, das Schlupfloch sich offen erhalten werde, durch
welches er zu jeder Stunde einer ernsten Gefahr sich entziehen könne.

Es hat im Laufe der Unterhandlungen zwischen der Pforte und den
Westmächten mehr als einen Augenblick gegeben, und zwar noch in den aller-
jüngsten Tagen, kurz vor der endlichen Entscheidung, in dem es um die Stellung
des schlauen Khereddin Pascha, ungeachtet aller von ihm angewandten Vorsicht,
und obgleich er sich mit seinen eigenen Plänen nicht weiter vorwagte, als noth-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/97>, abgerufen am 27.11.2024.