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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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ging. Bald nachher berief ihn Said in den Staatsrath und übertrug ihm andere
amtliche Funktionen von Bedeutung. 1861 regierte er während einer längeren
Abwesenheit des Pascha's als dessen Stellvertreter und begab sich dann an der
Spitze einer starken Armee nach dem Sudan, um einen dort ausgebrochenen
Aufstand zu unterdrücken. Am 18. Januar endlich, nach Said's Ableben,
wurde er dessen Nachfolger, als welcher er sich sofort in seiner eigentlichen
Eigenschaft, der eines klugen und rücksichtslosen Spekulanten, bemerklich machte,
dem vor Allem an der Füllung seiner Privatkasse gelegen war. Der amerika¬
nische Bürgerkrieg hatte in England die Baumwollenzufuhr stark beschränkt,
und Ismail ersah die Gelegenheit, er ließ in ganz Aegypten große Baum¬
wollenplantagen anlegen, zwang seine Fellahin zur Bearbeitung derselben um
den denkbar geringsten Lohn und strich den Gewinn in seiue Tasche. Dadurch
und durch Ausschreibung und Eintreibung erhöhter Steuern zu ungeheurem
Reichthum gelangt, ging er an das Unternehmen, seine Stellung zur Pforte
zu verbessern. Dies glückte ihm; denn der verschwenderische Sultan und seine
Rathgeber brauchten Geld, und Ismail kargte damit nicht. Im Mai 1866
erhielt er die Zustimmung der Pforte zur Regelung der Erbfolge in direkter
Linie, einer Maßregel, die ganz gegen das Herkommen war, 1867, als die Türkei
seines Beistandes gegen das empörte Kreta bedürfte, den Titel eines Chediw
und dem entsprechend sehr weitgehende Rechte, u. a. die Befugniß zum Abschluß
von Anleihen und Handelsverträgen.

Anderes mißlang ihm. In Folge seiner Verschwendung und der Opfer,
die er in Stambul bringen mußte, trotz riesiger Einnahmen immer in Geld¬
verlegenheit, versuchte er, Ferdinand v. Lesseps, dem Erbauer des Suezkanals,
mit der Drohung, ihm die zugesagten Arbeiter zu entziehen, Geld abzupressen,
aber ein Machtwort von Paris zwang ihn, davon abzulassen. Als er, von
derselben Stelle her ermuthigt, an völlige Losreißung vou der Türkei dachte,
sich ein starkes Heer bildete, eine Flotte von Panzerschiffen anschasste und 1869
mit den europäischen Mächten selbständige Unterhandlungen über die Neutra-
lisirung des Suezkanals und über die Aufhebung der Konsular-Gerichtsbarkeit
anknüpfte, schritt die Pforte ein, und Ismail sah sich gezwungen, ihr 1870
seine Panzerflotte auszuliefern.

Doch waren dies nur vorübergehende Niederlagen. In den Jahren 1870,
1872 und 1873 erschien er selbst in Konstantinopel und mit ihm in reichlichsten
Maße das Material zu der goldenen Brücke, mit der er hier zu siegen gewöhnt
war, und wieder hatte er sich großer Erfolge zu erfreuen, die seine Unabhängig¬
keit verstärkten. 1875 folgte denselben die Aufhebung der Gerichtsbarkeit der
europäischen Konsuln und die Errichtung eines gemischten Gerichtshofes. Auch
die von ihm angestrebte Ausdehnung seiner Herrschaft über ganz Ostafrika


ging. Bald nachher berief ihn Said in den Staatsrath und übertrug ihm andere
amtliche Funktionen von Bedeutung. 1861 regierte er während einer längeren
Abwesenheit des Pascha's als dessen Stellvertreter und begab sich dann an der
Spitze einer starken Armee nach dem Sudan, um einen dort ausgebrochenen
Aufstand zu unterdrücken. Am 18. Januar endlich, nach Said's Ableben,
wurde er dessen Nachfolger, als welcher er sich sofort in seiner eigentlichen
Eigenschaft, der eines klugen und rücksichtslosen Spekulanten, bemerklich machte,
dem vor Allem an der Füllung seiner Privatkasse gelegen war. Der amerika¬
nische Bürgerkrieg hatte in England die Baumwollenzufuhr stark beschränkt,
und Ismail ersah die Gelegenheit, er ließ in ganz Aegypten große Baum¬
wollenplantagen anlegen, zwang seine Fellahin zur Bearbeitung derselben um
den denkbar geringsten Lohn und strich den Gewinn in seiue Tasche. Dadurch
und durch Ausschreibung und Eintreibung erhöhter Steuern zu ungeheurem
Reichthum gelangt, ging er an das Unternehmen, seine Stellung zur Pforte
zu verbessern. Dies glückte ihm; denn der verschwenderische Sultan und seine
Rathgeber brauchten Geld, und Ismail kargte damit nicht. Im Mai 1866
erhielt er die Zustimmung der Pforte zur Regelung der Erbfolge in direkter
Linie, einer Maßregel, die ganz gegen das Herkommen war, 1867, als die Türkei
seines Beistandes gegen das empörte Kreta bedürfte, den Titel eines Chediw
und dem entsprechend sehr weitgehende Rechte, u. a. die Befugniß zum Abschluß
von Anleihen und Handelsverträgen.

Anderes mißlang ihm. In Folge seiner Verschwendung und der Opfer,
die er in Stambul bringen mußte, trotz riesiger Einnahmen immer in Geld¬
verlegenheit, versuchte er, Ferdinand v. Lesseps, dem Erbauer des Suezkanals,
mit der Drohung, ihm die zugesagten Arbeiter zu entziehen, Geld abzupressen,
aber ein Machtwort von Paris zwang ihn, davon abzulassen. Als er, von
derselben Stelle her ermuthigt, an völlige Losreißung vou der Türkei dachte,
sich ein starkes Heer bildete, eine Flotte von Panzerschiffen anschasste und 1869
mit den europäischen Mächten selbständige Unterhandlungen über die Neutra-
lisirung des Suezkanals und über die Aufhebung der Konsular-Gerichtsbarkeit
anknüpfte, schritt die Pforte ein, und Ismail sah sich gezwungen, ihr 1870
seine Panzerflotte auszuliefern.

Doch waren dies nur vorübergehende Niederlagen. In den Jahren 1870,
1872 und 1873 erschien er selbst in Konstantinopel und mit ihm in reichlichsten
Maße das Material zu der goldenen Brücke, mit der er hier zu siegen gewöhnt
war, und wieder hatte er sich großer Erfolge zu erfreuen, die seine Unabhängig¬
keit verstärkten. 1875 folgte denselben die Aufhebung der Gerichtsbarkeit der
europäischen Konsuln und die Errichtung eines gemischten Gerichtshofes. Auch
die von ihm angestrebte Ausdehnung seiner Herrschaft über ganz Ostafrika


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/8>, abgerufen am 01.09.2024.