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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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ohne Hörner. So in der spanischen Kapelle von Se. Maria Novella in Florenz,
die 1320 erbaut und im folgenden Jahre zur Verherrlichung des Dominicaner¬
ordens, besonders seiner beiden höchsten Heiligen, des Dominicus und Thomas
von Aquino, ausgemalt worden ist. Hier erblickt man Thomas als Mittel¬
figur, vou Paulus und den vier Evangelisten nMgeben. Rechts schließt sich noch
der Psalmist und Hiob mit der Beischrift xropdsta an, links Moses, Jesaias
und König Salomo, in der rechten Hand das Szepter, in der linken das Buch
der Proverbien tragend. Auf diesem Bilde, von der Hand des Taddeo Gaddi,
wird Moses durch zwei Strahlenbündel am Kopfe und durch eine Gesetzestafel
in jeder Hand charakterisirt -- von Hörnern keine Spur.

In gleicher Weise, nur noch mit einem Heiligenschein außer den beiden
Strahlenbündeln, stellte ihn auch Francesco Traini 1345 auf seinem Gemälde
des Thomas von Aquino in der Kirche von Sta. Katharina zu Pisa dar, blos mit
einem Heiligenschein Fiesole, etwa 1425, in seiner "Krönung Mariae". Mit
einem Heiligenschein und zwei Strahlenbüscheln finden wir ihn von der Hand
desselben Meisters in dessen "Verklärung Christi", während ihn Perugino, um
1500, auf seiner "Transfiguration" im Cambio zu Perugia wieder nur mit
dem Heiligenschein darstellt.

Betrachten wir ferner die Moses-Figuren auf der linken Seitenwand der
Kapelle, welche Papst Sixtus IV. im Jahre 1473, also zwei Jahre vor Michel
Angelo's Geburt, gegründet und deren Deckengemälde dem Pinsel des bis dahin
nur als Bildhauer hervorragenden Florentiner Meisters unsterblichen Ruhm
verliehen. In allen sechs Bildern, die hier das Leben des Moses darstellen
und ihn selbst in zwanzig Figuren uns vor Augen führen, sehen wir ihn immer
entweder ganz ohne Zeichen am Haupte oder mit Strahlenbündeln, niemals mit
Hörnern. Und alle diese Gemälde sind Schöpfungen bedeutender, älterer Zeit¬
genossen Michel Angelo's.

Einem gehörnten Moses begegnen wir zum ersten Male auf mittelalter¬
lichen kupfernen Medaillen. Diese zeigen auf der einen Seite eine Büste, die
auf einem Halsbande in hebräischen Quadratbuchstaben den Namen "Mose"
trägt; auf der Rückseite steht in hebräischer Sprache das erste Gebot: "Du
sollst keine anderen Götter haben neben mir." Auf einigen dieser Medaillen ist
der Moseskopf mit gekräuseltem Haar und Barte und mit Widderhörnern ver¬
sehen, auf anderen mit ans dem Haare gerade in die Höhe ragenden kleinen
Hörnern', sast genau so, wie sie Michel Angelo an seiner Moses-Statue dar¬
gestellt hat.

Diese Medaillen sind ohne allen Zweifel älter als unsre Statue und sind
von christlicher Hand zu irgend einem frommen Zwecke geschlagen worden. Für
die christliche Hand zeugt unter anderm ein Kreuz, das sich in Form einer


Grenzboten III. 1879. 10

ohne Hörner. So in der spanischen Kapelle von Se. Maria Novella in Florenz,
die 1320 erbaut und im folgenden Jahre zur Verherrlichung des Dominicaner¬
ordens, besonders seiner beiden höchsten Heiligen, des Dominicus und Thomas
von Aquino, ausgemalt worden ist. Hier erblickt man Thomas als Mittel¬
figur, vou Paulus und den vier Evangelisten nMgeben. Rechts schließt sich noch
der Psalmist und Hiob mit der Beischrift xropdsta an, links Moses, Jesaias
und König Salomo, in der rechten Hand das Szepter, in der linken das Buch
der Proverbien tragend. Auf diesem Bilde, von der Hand des Taddeo Gaddi,
wird Moses durch zwei Strahlenbündel am Kopfe und durch eine Gesetzestafel
in jeder Hand charakterisirt — von Hörnern keine Spur.

In gleicher Weise, nur noch mit einem Heiligenschein außer den beiden
Strahlenbündeln, stellte ihn auch Francesco Traini 1345 auf seinem Gemälde
des Thomas von Aquino in der Kirche von Sta. Katharina zu Pisa dar, blos mit
einem Heiligenschein Fiesole, etwa 1425, in seiner „Krönung Mariae". Mit
einem Heiligenschein und zwei Strahlenbüscheln finden wir ihn von der Hand
desselben Meisters in dessen „Verklärung Christi", während ihn Perugino, um
1500, auf seiner „Transfiguration" im Cambio zu Perugia wieder nur mit
dem Heiligenschein darstellt.

Betrachten wir ferner die Moses-Figuren auf der linken Seitenwand der
Kapelle, welche Papst Sixtus IV. im Jahre 1473, also zwei Jahre vor Michel
Angelo's Geburt, gegründet und deren Deckengemälde dem Pinsel des bis dahin
nur als Bildhauer hervorragenden Florentiner Meisters unsterblichen Ruhm
verliehen. In allen sechs Bildern, die hier das Leben des Moses darstellen
und ihn selbst in zwanzig Figuren uns vor Augen führen, sehen wir ihn immer
entweder ganz ohne Zeichen am Haupte oder mit Strahlenbündeln, niemals mit
Hörnern. Und alle diese Gemälde sind Schöpfungen bedeutender, älterer Zeit¬
genossen Michel Angelo's.

Einem gehörnten Moses begegnen wir zum ersten Male auf mittelalter¬
lichen kupfernen Medaillen. Diese zeigen auf der einen Seite eine Büste, die
auf einem Halsbande in hebräischen Quadratbuchstaben den Namen „Mose"
trägt; auf der Rückseite steht in hebräischer Sprache das erste Gebot: „Du
sollst keine anderen Götter haben neben mir." Auf einigen dieser Medaillen ist
der Moseskopf mit gekräuseltem Haar und Barte und mit Widderhörnern ver¬
sehen, auf anderen mit ans dem Haare gerade in die Höhe ragenden kleinen
Hörnern', sast genau so, wie sie Michel Angelo an seiner Moses-Statue dar¬
gestellt hat.

Diese Medaillen sind ohne allen Zweifel älter als unsre Statue und sind
von christlicher Hand zu irgend einem frommen Zwecke geschlagen worden. Für
die christliche Hand zeugt unter anderm ein Kreuz, das sich in Form einer


Grenzboten III. 1879. 10
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[0079] ohne Hörner. So in der spanischen Kapelle von Se. Maria Novella in Florenz, die 1320 erbaut und im folgenden Jahre zur Verherrlichung des Dominicaner¬ ordens, besonders seiner beiden höchsten Heiligen, des Dominicus und Thomas von Aquino, ausgemalt worden ist. Hier erblickt man Thomas als Mittel¬ figur, vou Paulus und den vier Evangelisten nMgeben. Rechts schließt sich noch der Psalmist und Hiob mit der Beischrift xropdsta an, links Moses, Jesaias und König Salomo, in der rechten Hand das Szepter, in der linken das Buch der Proverbien tragend. Auf diesem Bilde, von der Hand des Taddeo Gaddi, wird Moses durch zwei Strahlenbündel am Kopfe und durch eine Gesetzestafel in jeder Hand charakterisirt — von Hörnern keine Spur. In gleicher Weise, nur noch mit einem Heiligenschein außer den beiden Strahlenbündeln, stellte ihn auch Francesco Traini 1345 auf seinem Gemälde des Thomas von Aquino in der Kirche von Sta. Katharina zu Pisa dar, blos mit einem Heiligenschein Fiesole, etwa 1425, in seiner „Krönung Mariae". Mit einem Heiligenschein und zwei Strahlenbüscheln finden wir ihn von der Hand desselben Meisters in dessen „Verklärung Christi", während ihn Perugino, um 1500, auf seiner „Transfiguration" im Cambio zu Perugia wieder nur mit dem Heiligenschein darstellt. Betrachten wir ferner die Moses-Figuren auf der linken Seitenwand der Kapelle, welche Papst Sixtus IV. im Jahre 1473, also zwei Jahre vor Michel Angelo's Geburt, gegründet und deren Deckengemälde dem Pinsel des bis dahin nur als Bildhauer hervorragenden Florentiner Meisters unsterblichen Ruhm verliehen. In allen sechs Bildern, die hier das Leben des Moses darstellen und ihn selbst in zwanzig Figuren uns vor Augen führen, sehen wir ihn immer entweder ganz ohne Zeichen am Haupte oder mit Strahlenbündeln, niemals mit Hörnern. Und alle diese Gemälde sind Schöpfungen bedeutender, älterer Zeit¬ genossen Michel Angelo's. Einem gehörnten Moses begegnen wir zum ersten Male auf mittelalter¬ lichen kupfernen Medaillen. Diese zeigen auf der einen Seite eine Büste, die auf einem Halsbande in hebräischen Quadratbuchstaben den Namen „Mose" trägt; auf der Rückseite steht in hebräischer Sprache das erste Gebot: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir." Auf einigen dieser Medaillen ist der Moseskopf mit gekräuseltem Haar und Barte und mit Widderhörnern ver¬ sehen, auf anderen mit ans dem Haare gerade in die Höhe ragenden kleinen Hörnern', sast genau so, wie sie Michel Angelo an seiner Moses-Statue dar¬ gestellt hat. Diese Medaillen sind ohne allen Zweifel älter als unsre Statue und sind von christlicher Hand zu irgend einem frommen Zwecke geschlagen worden. Für die christliche Hand zeugt unter anderm ein Kreuz, das sich in Form einer Grenzboten III. 1879. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/79>, abgerufen am 01.09.2024.