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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Artikel für Zeitungen. Erst eine glückliche Kur, an einer vornehmen Dame voll¬
zogen, schuf ihm eine glänzende Stellung. Mit einem Schlage gewann er das
bisher fehlende Zutrauen; die besten Häuser der Provinz öffneten sich ihm,
er wurde "gleichsam der Modearzt des holsteinischen Adels". Jene Patientin
war die Gemahlin des Grafen Schack Karl von Rantzau-Ascheberg, eines Mannes,
der dazu bestimmt war, den verhänglnßvollsten Einfluß auf Struensee's ganzes
Leben zu üben. Graf Nantzau, ein Abkömmling eines alten holsteinischen
Geschlechts, war.zwanzig Jahre älter als Struensee, ein,-Kavalier "von noblen
Manieren und noblen Passionen", reich an Geist und Kenntnissen, aber von
bodenloser Unsittlichkeit und Gemeinheit des Charakters. Er hatte erst in der
französischen, dann in der dänischen Armee gedient und es hier schon in jungen
Jahren zur Würde eines Regimentsinhabers und Generalmajors gebracht.
Nachdem er aus uicht ganz aufgeklärten Gründen seinen Abschied erhalten, hatte
er sich abenteuernd in verschiedenen Ländern Herunigetrieben, zuletzt in Rußland,
wo er, wie ein weit verbreitetes Gerücht wissen wollte, ein Haupttheilnehmer
an jener Verschwörung gewesen war, die den unglücklichen Kaiser Peter III.,
den Gemahl Katharina's II., um Thron und Leben brachte. Voll Haß gegen
die neue Kaiserin, die, wie es scheint, ihn für geleistete Dienste nicht genügend
belohnt hatte, war er nach Holstein zurückgekehrt und hatte hier in Altona die
Bekanntschaft Struensee's gemacht, aus der sich bald eine auf Seiten des jungen
Arztes völlig aufrichtig gemeinte Freundschaft entwickelte. Struensee war ent¬
zückt über die Herablassung des sonst so adelsstolzen und hochmüthigen Grafen,
der fo geistreich zu plaudern und so fein zu schmeicheln verstand. Dem ehr¬
geizigen Streber that es in innerster Seele wohl, wenn der erfahrene Menschen¬
kenner ihm versicherte, daß er viel zu gut zum Arzte sei, daß er das Zeug habe,
einmal Minister eines großen Reiches zu werden oder, wie Struensee sich später
selbst ausdrückte, "daß sein Verstand so groß sei, daß er Alles, was je durch
einen Menschen möglich, zu Stande bringen könne". Bei seiner Unerfahrenheit
und feinem von Natur ehrlichen und aufrichtigen Charakter hatte er kein Arg,
daß sein Freund weit davon entfernt war, ihn auch nur als gleichberechtigt
anzuerkennen, daß derselbe ihn lediglich als Mittel für seine Zwecke benutzen
wollte. Den Grafen zog das leichtlebige, Vorurtheilsfreie Wesen des jungen
Arztes an, der stets bereit war, ihn zu seinen geheimen Orgien zu begleite::;
er theilte mit ihm die Neigung, phantastische Zukunftspläne zu entwerfen, die
darauf hinausliefen, daß sie beide hofften, einmal zur Regierung Dänemark's
berufen zu werden, um Staat und Gesellschaft nach ihren doktrinären Anschau¬
ungen von Grund aus umzugestalten; vor allem aber bedürfte der finanziell
ruinirte und tief verschuldete Rantzcm der Börse Struensee's, und diese wurde
ihm mit solcher Liberalität zur Verfügung gestellt, daß er, wie es heißt, die


Grenzboten Hi. 1879. L

Artikel für Zeitungen. Erst eine glückliche Kur, an einer vornehmen Dame voll¬
zogen, schuf ihm eine glänzende Stellung. Mit einem Schlage gewann er das
bisher fehlende Zutrauen; die besten Häuser der Provinz öffneten sich ihm,
er wurde „gleichsam der Modearzt des holsteinischen Adels". Jene Patientin
war die Gemahlin des Grafen Schack Karl von Rantzau-Ascheberg, eines Mannes,
der dazu bestimmt war, den verhänglnßvollsten Einfluß auf Struensee's ganzes
Leben zu üben. Graf Nantzau, ein Abkömmling eines alten holsteinischen
Geschlechts, war.zwanzig Jahre älter als Struensee, ein,-Kavalier „von noblen
Manieren und noblen Passionen", reich an Geist und Kenntnissen, aber von
bodenloser Unsittlichkeit und Gemeinheit des Charakters. Er hatte erst in der
französischen, dann in der dänischen Armee gedient und es hier schon in jungen
Jahren zur Würde eines Regimentsinhabers und Generalmajors gebracht.
Nachdem er aus uicht ganz aufgeklärten Gründen seinen Abschied erhalten, hatte
er sich abenteuernd in verschiedenen Ländern Herunigetrieben, zuletzt in Rußland,
wo er, wie ein weit verbreitetes Gerücht wissen wollte, ein Haupttheilnehmer
an jener Verschwörung gewesen war, die den unglücklichen Kaiser Peter III.,
den Gemahl Katharina's II., um Thron und Leben brachte. Voll Haß gegen
die neue Kaiserin, die, wie es scheint, ihn für geleistete Dienste nicht genügend
belohnt hatte, war er nach Holstein zurückgekehrt und hatte hier in Altona die
Bekanntschaft Struensee's gemacht, aus der sich bald eine auf Seiten des jungen
Arztes völlig aufrichtig gemeinte Freundschaft entwickelte. Struensee war ent¬
zückt über die Herablassung des sonst so adelsstolzen und hochmüthigen Grafen,
der fo geistreich zu plaudern und so fein zu schmeicheln verstand. Dem ehr¬
geizigen Streber that es in innerster Seele wohl, wenn der erfahrene Menschen¬
kenner ihm versicherte, daß er viel zu gut zum Arzte sei, daß er das Zeug habe,
einmal Minister eines großen Reiches zu werden oder, wie Struensee sich später
selbst ausdrückte, „daß sein Verstand so groß sei, daß er Alles, was je durch
einen Menschen möglich, zu Stande bringen könne". Bei seiner Unerfahrenheit
und feinem von Natur ehrlichen und aufrichtigen Charakter hatte er kein Arg,
daß sein Freund weit davon entfernt war, ihn auch nur als gleichberechtigt
anzuerkennen, daß derselbe ihn lediglich als Mittel für seine Zwecke benutzen
wollte. Den Grafen zog das leichtlebige, Vorurtheilsfreie Wesen des jungen
Arztes an, der stets bereit war, ihn zu seinen geheimen Orgien zu begleite::;
er theilte mit ihm die Neigung, phantastische Zukunftspläne zu entwerfen, die
darauf hinausliefen, daß sie beide hofften, einmal zur Regierung Dänemark's
berufen zu werden, um Staat und Gesellschaft nach ihren doktrinären Anschau¬
ungen von Grund aus umzugestalten; vor allem aber bedürfte der finanziell
ruinirte und tief verschuldete Rantzcm der Börse Struensee's, und diese wurde
ihm mit solcher Liberalität zur Verfügung gestellt, daß er, wie es heißt, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/63>, abgerufen am 27.07.2024.