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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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standen und in Folge dessen mächtige und einflußreiche Leute waren, auf
geraden und krummen Wegen bedeutend vergrößert. Zu Anfang des Jahr¬
hunderts aber ging er, inzwischen wieder kleiner geworden, in das Eigenthum
eines Herrn v. Blumenthal über, der 1814 den Grafentitel erhielt. Von einem
Angehörigen dieses Hauses, dem Grafen Adalbert v. Blumenthal, erwarb ihn,
der mittlerweile durch Verkauf des Gutes Chorow, mitten im Herzen der Herr¬
schaft, nochmals beträchtlich an Terrain verloren hatte, der Reichskanzler im
Frühling 1867, als er die Nationalbelohnung bekommen, die ihm für seine
Verdienste um das Gelingen der Umgestaltung der deutschen Verhältnisse auf
Antrag des preußischen Landtags zu Theil geworden war.

Von einer Ausdehnung, die über hunderttausend Morgen umfaßt hatte,
auf etwa ein Fünftel davon zusammengeschmolzen, umschloß die Herrschaft
damals außer Varzin nur noch die Güter Wussow, Pudiger und Misdow
sowie das Vorwerk Charlottenthal. Seitdem ist der Fürst darauf bedacht ge¬
wesen, sie durch Hinzukauf allmählich wieder zu vergrößern. 1868 erwarb er
das Gut Selitz, und 1874 gelangte auch das von seinem Vorbesttzer veräußerte
Chorow wieder in seine Hände, so daß die Gesammtheit seines hiesigen Grund¬
eigenthums gegenwärtig eine Fläche von ungefähr dreißigtausend Morgen
einnimmt.

Der Fürst ist aber nicht blos ein Mehrer seines kleinen Reiches, sondern
zugleich ein thätiger und umsichtiger Verbesserer gewesen. Er war immer ein
tüchtiger Landwirth, und er ist es noch. Ich bin der Meinung, daß die Nei¬
gung zu dieser Beschäftigung und die Befähigung dazu aus einer und derselben
Quelle entspringen wie die Neigung und Befähigung zu politischem Wirken
und Schaffen. Bismarck hat, wie schon seine Verwaltung von Kniephof neben
manchen jugendlichen Ausschreitungen zeigte, es immer verstanden, durch Ver¬
nachlässigung heruntergekommene Güter mit umsichtigen Blick und richtig zu¬
greisender Hand wieder emporzubringen, und er zeigt das in Varzin von
neuem. Wer das kann, der wird unter Umständen, d. h. mit der erforderlichen
politischen Bildung und Kenntniß sowie in der geeigneten Stellung, auch be¬
fähigt sein, heruntergekommene große Güter oder Herrschaften -- ich meine
Länder, Völker, Staaten -- wieder dahin zu bringen, daß sie sich sehen lassen
können. Auf alle Fälle schärft die Landwirthschaft in mindestens ebenso hohem
Grade als die Thätigkeit des Fabrikanten und das kaufmännische Gewerbe den
Blick für die natürlichen Verhältnisse, da sie vorwiegend mit dem nächstliegenden
zu thun hat; sie lehrt Mögliches rasch vom Unmöglichen unterscheiden und in
Folge dessen die Dinge praktisch anfassen. Sie erzieht Realpolitiker im Kleinen, sie
läßt von allen Beschäftigungen am wenigsten jene kosmopolitische Richtung
sich entwickeln, die dem gesunden nationalen Egoismus in den Weg tritt, welcher


Grenzboten 1379. 63

standen und in Folge dessen mächtige und einflußreiche Leute waren, auf
geraden und krummen Wegen bedeutend vergrößert. Zu Anfang des Jahr¬
hunderts aber ging er, inzwischen wieder kleiner geworden, in das Eigenthum
eines Herrn v. Blumenthal über, der 1814 den Grafentitel erhielt. Von einem
Angehörigen dieses Hauses, dem Grafen Adalbert v. Blumenthal, erwarb ihn,
der mittlerweile durch Verkauf des Gutes Chorow, mitten im Herzen der Herr¬
schaft, nochmals beträchtlich an Terrain verloren hatte, der Reichskanzler im
Frühling 1867, als er die Nationalbelohnung bekommen, die ihm für seine
Verdienste um das Gelingen der Umgestaltung der deutschen Verhältnisse auf
Antrag des preußischen Landtags zu Theil geworden war.

Von einer Ausdehnung, die über hunderttausend Morgen umfaßt hatte,
auf etwa ein Fünftel davon zusammengeschmolzen, umschloß die Herrschaft
damals außer Varzin nur noch die Güter Wussow, Pudiger und Misdow
sowie das Vorwerk Charlottenthal. Seitdem ist der Fürst darauf bedacht ge¬
wesen, sie durch Hinzukauf allmählich wieder zu vergrößern. 1868 erwarb er
das Gut Selitz, und 1874 gelangte auch das von seinem Vorbesttzer veräußerte
Chorow wieder in seine Hände, so daß die Gesammtheit seines hiesigen Grund¬
eigenthums gegenwärtig eine Fläche von ungefähr dreißigtausend Morgen
einnimmt.

Der Fürst ist aber nicht blos ein Mehrer seines kleinen Reiches, sondern
zugleich ein thätiger und umsichtiger Verbesserer gewesen. Er war immer ein
tüchtiger Landwirth, und er ist es noch. Ich bin der Meinung, daß die Nei¬
gung zu dieser Beschäftigung und die Befähigung dazu aus einer und derselben
Quelle entspringen wie die Neigung und Befähigung zu politischem Wirken
und Schaffen. Bismarck hat, wie schon seine Verwaltung von Kniephof neben
manchen jugendlichen Ausschreitungen zeigte, es immer verstanden, durch Ver¬
nachlässigung heruntergekommene Güter mit umsichtigen Blick und richtig zu¬
greisender Hand wieder emporzubringen, und er zeigt das in Varzin von
neuem. Wer das kann, der wird unter Umständen, d. h. mit der erforderlichen
politischen Bildung und Kenntniß sowie in der geeigneten Stellung, auch be¬
fähigt sein, heruntergekommene große Güter oder Herrschaften — ich meine
Länder, Völker, Staaten — wieder dahin zu bringen, daß sie sich sehen lassen
können. Auf alle Fälle schärft die Landwirthschaft in mindestens ebenso hohem
Grade als die Thätigkeit des Fabrikanten und das kaufmännische Gewerbe den
Blick für die natürlichen Verhältnisse, da sie vorwiegend mit dem nächstliegenden
zu thun hat; sie lehrt Mögliches rasch vom Unmöglichen unterscheiden und in
Folge dessen die Dinge praktisch anfassen. Sie erzieht Realpolitiker im Kleinen, sie
läßt von allen Beschäftigungen am wenigsten jene kosmopolitische Richtung
sich entwickeln, die dem gesunden nationalen Egoismus in den Weg tritt, welcher


Grenzboten 1379. 63
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/535>, abgerufen am 01.09.2024.