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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Windthorst die Deckung des Rückzugs bereits enthüllt. Er kündigte an, das
Zentrum werde auf die Beibehaltung der Matriknlar-Beiträge in vollem Umfange
bestehen. Jedem Politiker -- aber wieviel gibt es deren? -- mußte sofort
klar sein, daß hier ein Wortspiel vorlag. Die bisherigen Matriknlar-Beiträge
bedeutete": daß das Reich abhing von der Fincmzknnst und Finanzkraft der
Einzelstaaten, durch die es gespeist wurde. Was konnten aber die Matrikular-
Beiträge noch bedeuten nach der Errichtung eines zentralen indirekten Steuer¬
systems im größten Stil, der sich Herr Windthorst nicht. widersetzen wollte?
Sie konnten nur noch bedeuten: die Abhängigkeit der Einzelstaaten von der
Finanzkunst und Finanzkraft des Reiches, durch welches die Einzelstaaten von
nun an gespeist werden. Der Name "Matriknlar-Beiträge" oder vielmehr der
Name "Eigenthümer des Neichsfinanzschcches" für die Einzelstaaten, welcher
letztere Name die Beibehaltung des ersteren verständlich machen soll, dieser
Doppelname also thut nicht das Mindeste zur Sache. Wir setzen einen Preis
ans für die Entdeckung des praktischen Unterschiedes zwischen zwei Verfassungs¬
artikeln, die etwa so gefaßt wären: Ur. I. Alle Zolle und indirekten Steuern fließen
in den Reichsschatz. Nachdem das Reich die auf dem gesetzlichen Ausgabeplan
stehenden Summen für jedes Jahr gedeckt, wird der Rest unter die Einzelstaa¬
ten vertheilt. Ur. II. Alle Zölle und indirekten Steuern fließen in den Neichs-
schatz. Der Jahreseingang des Reichsschatzes wird den Einzelstaaten nach der
Kopfzahl ihrer Bevölkerung gutgeschrieben. Alsdann wird das Jahresbedürf¬
niß des Reiches von dem Guthaben der Einzelstaaten ebenfalls nach der Kopf¬
zahl abgezogen. Der Rest wird unter die Einzelstaaten vertheilt.

Ur. II ist der Antrag Frankenstein, den bis jetzt erst die Tarifkommis¬
sion angenommen, den aber vielleicht die Mehrheit des Reichstages ebenfalls
annehmen wird. Ur. I ist das, was die nationalliberale Partei wollte und auch
die deutsche Reichspartei, die erstere aber mit dem Zusätze, einige Reichssteueru
oder -Zölle jährlich nach Ermessen des Reichstages erniedrigen oder erhöhen zu
dürfen. Sieht man von diesem Zusatz ab: welches ist der praktische Unter¬
schied zwischen Ur. I und Ur. II? Das müssen wir nochmals fragen.

Wir haben überdies den Frankenstein'schen Antrag weitergehend dargestellt,
als er ist. Denn nicht den ganzen Jahreseingang will er den Einzelstaaten
gutschreiben lassen, sondern nur den Ueberschuß, welchen die neuen Bewil¬
ligungen über die alten Zölle und Verbrauchssteuern hinaus bringen sollen.
In unseren Augen ist dies aber ganz nebensächlich. Der Antrag ist unschädlich,
wie er ist, und er würde gerade so unschädlich sein, wenn er die harmlose
Manipulation des Gutschreibens für die Einzelstaaten auf die ganze Reichs¬
einnahme ausdehnen wollte.

Der Verfasser dieser Briefe hat die Unschädlichkeit dieser "föderativem"


Windthorst die Deckung des Rückzugs bereits enthüllt. Er kündigte an, das
Zentrum werde auf die Beibehaltung der Matriknlar-Beiträge in vollem Umfange
bestehen. Jedem Politiker — aber wieviel gibt es deren? — mußte sofort
klar sein, daß hier ein Wortspiel vorlag. Die bisherigen Matriknlar-Beiträge
bedeutete«: daß das Reich abhing von der Fincmzknnst und Finanzkraft der
Einzelstaaten, durch die es gespeist wurde. Was konnten aber die Matrikular-
Beiträge noch bedeuten nach der Errichtung eines zentralen indirekten Steuer¬
systems im größten Stil, der sich Herr Windthorst nicht. widersetzen wollte?
Sie konnten nur noch bedeuten: die Abhängigkeit der Einzelstaaten von der
Finanzkunst und Finanzkraft des Reiches, durch welches die Einzelstaaten von
nun an gespeist werden. Der Name „Matriknlar-Beiträge" oder vielmehr der
Name „Eigenthümer des Neichsfinanzschcches" für die Einzelstaaten, welcher
letztere Name die Beibehaltung des ersteren verständlich machen soll, dieser
Doppelname also thut nicht das Mindeste zur Sache. Wir setzen einen Preis
ans für die Entdeckung des praktischen Unterschiedes zwischen zwei Verfassungs¬
artikeln, die etwa so gefaßt wären: Ur. I. Alle Zolle und indirekten Steuern fließen
in den Reichsschatz. Nachdem das Reich die auf dem gesetzlichen Ausgabeplan
stehenden Summen für jedes Jahr gedeckt, wird der Rest unter die Einzelstaa¬
ten vertheilt. Ur. II. Alle Zölle und indirekten Steuern fließen in den Neichs-
schatz. Der Jahreseingang des Reichsschatzes wird den Einzelstaaten nach der
Kopfzahl ihrer Bevölkerung gutgeschrieben. Alsdann wird das Jahresbedürf¬
niß des Reiches von dem Guthaben der Einzelstaaten ebenfalls nach der Kopf¬
zahl abgezogen. Der Rest wird unter die Einzelstaaten vertheilt.

Ur. II ist der Antrag Frankenstein, den bis jetzt erst die Tarifkommis¬
sion angenommen, den aber vielleicht die Mehrheit des Reichstages ebenfalls
annehmen wird. Ur. I ist das, was die nationalliberale Partei wollte und auch
die deutsche Reichspartei, die erstere aber mit dem Zusätze, einige Reichssteueru
oder -Zölle jährlich nach Ermessen des Reichstages erniedrigen oder erhöhen zu
dürfen. Sieht man von diesem Zusatz ab: welches ist der praktische Unter¬
schied zwischen Ur. I und Ur. II? Das müssen wir nochmals fragen.

Wir haben überdies den Frankenstein'schen Antrag weitergehend dargestellt,
als er ist. Denn nicht den ganzen Jahreseingang will er den Einzelstaaten
gutschreiben lassen, sondern nur den Ueberschuß, welchen die neuen Bewil¬
ligungen über die alten Zölle und Verbrauchssteuern hinaus bringen sollen.
In unseren Augen ist dies aber ganz nebensächlich. Der Antrag ist unschädlich,
wie er ist, und er würde gerade so unschädlich sein, wenn er die harmlose
Manipulation des Gutschreibens für die Einzelstaaten auf die ganze Reichs¬
einnahme ausdehnen wollte.

Der Verfasser dieser Briefe hat die Unschädlichkeit dieser „föderativem"


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[0051] Windthorst die Deckung des Rückzugs bereits enthüllt. Er kündigte an, das Zentrum werde auf die Beibehaltung der Matriknlar-Beiträge in vollem Umfange bestehen. Jedem Politiker — aber wieviel gibt es deren? — mußte sofort klar sein, daß hier ein Wortspiel vorlag. Die bisherigen Matriknlar-Beiträge bedeutete«: daß das Reich abhing von der Fincmzknnst und Finanzkraft der Einzelstaaten, durch die es gespeist wurde. Was konnten aber die Matrikular- Beiträge noch bedeuten nach der Errichtung eines zentralen indirekten Steuer¬ systems im größten Stil, der sich Herr Windthorst nicht. widersetzen wollte? Sie konnten nur noch bedeuten: die Abhängigkeit der Einzelstaaten von der Finanzkunst und Finanzkraft des Reiches, durch welches die Einzelstaaten von nun an gespeist werden. Der Name „Matriknlar-Beiträge" oder vielmehr der Name „Eigenthümer des Neichsfinanzschcches" für die Einzelstaaten, welcher letztere Name die Beibehaltung des ersteren verständlich machen soll, dieser Doppelname also thut nicht das Mindeste zur Sache. Wir setzen einen Preis ans für die Entdeckung des praktischen Unterschiedes zwischen zwei Verfassungs¬ artikeln, die etwa so gefaßt wären: Ur. I. Alle Zolle und indirekten Steuern fließen in den Reichsschatz. Nachdem das Reich die auf dem gesetzlichen Ausgabeplan stehenden Summen für jedes Jahr gedeckt, wird der Rest unter die Einzelstaa¬ ten vertheilt. Ur. II. Alle Zölle und indirekten Steuern fließen in den Neichs- schatz. Der Jahreseingang des Reichsschatzes wird den Einzelstaaten nach der Kopfzahl ihrer Bevölkerung gutgeschrieben. Alsdann wird das Jahresbedürf¬ niß des Reiches von dem Guthaben der Einzelstaaten ebenfalls nach der Kopf¬ zahl abgezogen. Der Rest wird unter die Einzelstaaten vertheilt. Ur. II ist der Antrag Frankenstein, den bis jetzt erst die Tarifkommis¬ sion angenommen, den aber vielleicht die Mehrheit des Reichstages ebenfalls annehmen wird. Ur. I ist das, was die nationalliberale Partei wollte und auch die deutsche Reichspartei, die erstere aber mit dem Zusätze, einige Reichssteueru oder -Zölle jährlich nach Ermessen des Reichstages erniedrigen oder erhöhen zu dürfen. Sieht man von diesem Zusatz ab: welches ist der praktische Unter¬ schied zwischen Ur. I und Ur. II? Das müssen wir nochmals fragen. Wir haben überdies den Frankenstein'schen Antrag weitergehend dargestellt, als er ist. Denn nicht den ganzen Jahreseingang will er den Einzelstaaten gutschreiben lassen, sondern nur den Ueberschuß, welchen die neuen Bewil¬ ligungen über die alten Zölle und Verbrauchssteuern hinaus bringen sollen. In unseren Augen ist dies aber ganz nebensächlich. Der Antrag ist unschädlich, wie er ist, und er würde gerade so unschädlich sein, wenn er die harmlose Manipulation des Gutschreibens für die Einzelstaaten auf die ganze Reichs¬ einnahme ausdehnen wollte. Der Verfasser dieser Briefe hat die Unschädlichkeit dieser „föderativem"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/51>, abgerufen am 06.10.2024.