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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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stand zu repräsentiren, so war diese Charakteristik meist eben so wahr als bitter.
Am wenigsten traf dieser Tadel die Theologen; sie gingen nach der Studien¬
zeit meistens auf einige Zeit ins Ausland, wo sie eine praktische Schule
durchmachten, andere Verhältnisse kennen lernten und ihren Blick erweiterten.
Während es aber sehr wenige Geistliche gab, die nicht einige Jahre im Aus¬
lande zugebracht hatten, gab es keinen juristischen Beamten, der weiter als bis
Jena oder allenfalls auf eine andere Universität gekommen wäre, wo er in der
Regel seine wissenschaftlichen Bedürfnisse für das ganze Leben befriedigte.
Daß es an Ausnahmen nicht fehlte, versteht sich von selbst; aber es waren
doch nur Ausnahmen.

Neben dem Amte hatten die Beamten keine großen Bedürfnisse; sofern
sich dieselben nicht blos auf die Schätze der Küche und des Kellers oder auf
Frühschoppen und Skat beschränkten, waren es Jagd oder Gartenpflege und
Obstbau; Gegenstände der Wissenschaft oder Kunst und Literatur zogen die
allerwenigsten an. Bezeichnend ist in dieser Beziehung die Antwort, welche in
der zweiten Stadt des Landes 1859 der Bürgermeister auf die Aufforderung
gab, eine Schillerfeier zu veranstalten; er erklärte einfach: "Schiller ist hier
nicht bekannt." Das Niveau allgemeiner Bildung spiegelte sich in der Unter¬
haltung wieder; wenn sich dieselbe nicht blos auf die Qualität des Rindfleisches
und Bieres oder auf das Wetter und die Ernteaussichten beschränkte oder die
gewöhnlichen Tagesereignisse betraf, so wurden höchstens Schnurren in dem
Genre der bekannten "Rudolstädter Klänge" erzählt, welche für alle thüringischen
Staaten typisch sind und einen Gradmesser für die geistigen Bedürfnisse der
sogenannten Gebildeten daselbst abgeben. Es war ja auch nicht anders denk¬
bar; in seiner Selbständigkeit war das Land gegen Einflüsse, die jenseits der
Grenze lagen, so gut wie abgeschlossen, und der Einzelne schloß sich dem Zuge
der Mehrheit an. Und welchem Nachbar sollte man sich auch anschließen?
Preußen und Sachsen waren für einen paritätischen Anschluß zu groß, Reuß
Zu klein; Weimar aber zeigte nicht übel Lust, die Führung Thüringen's zu
übernehmen und als Großmacht aufzutreten. So schloß man sich in sich selbst
ab und kümmerte sich um alles "Auswärtige" wenig oder gar nicht.

Noch eine Eigenthümlichkeit machte sich in unangenehmer Weise insbeson¬
dere bei den Beamten geltend: der persönliche Einfluß. Es ist auch dies sehr
>^ohl erklärlich. In Preußen ist der Einzelne nach der Bevölkerungsziffer gegen¬
über dem ganzen Staate ein Fünfundzwanzigmilliontel, in Altenburg aber ein
Hundertvierzigtausentel, also mehr als hundertmal soviel, und der Beamte
vermöge seiner Stellung erst recht viel mehr als in Preußen. Daß aber die
Einbildung und der Anspruch auf persönliche Bedeutung noch weit über dieses
Verhältniß hinausgingen, und daß die Rücksicht auf eine solche, man möchte


stand zu repräsentiren, so war diese Charakteristik meist eben so wahr als bitter.
Am wenigsten traf dieser Tadel die Theologen; sie gingen nach der Studien¬
zeit meistens auf einige Zeit ins Ausland, wo sie eine praktische Schule
durchmachten, andere Verhältnisse kennen lernten und ihren Blick erweiterten.
Während es aber sehr wenige Geistliche gab, die nicht einige Jahre im Aus¬
lande zugebracht hatten, gab es keinen juristischen Beamten, der weiter als bis
Jena oder allenfalls auf eine andere Universität gekommen wäre, wo er in der
Regel seine wissenschaftlichen Bedürfnisse für das ganze Leben befriedigte.
Daß es an Ausnahmen nicht fehlte, versteht sich von selbst; aber es waren
doch nur Ausnahmen.

Neben dem Amte hatten die Beamten keine großen Bedürfnisse; sofern
sich dieselben nicht blos auf die Schätze der Küche und des Kellers oder auf
Frühschoppen und Skat beschränkten, waren es Jagd oder Gartenpflege und
Obstbau; Gegenstände der Wissenschaft oder Kunst und Literatur zogen die
allerwenigsten an. Bezeichnend ist in dieser Beziehung die Antwort, welche in
der zweiten Stadt des Landes 1859 der Bürgermeister auf die Aufforderung
gab, eine Schillerfeier zu veranstalten; er erklärte einfach: „Schiller ist hier
nicht bekannt." Das Niveau allgemeiner Bildung spiegelte sich in der Unter¬
haltung wieder; wenn sich dieselbe nicht blos auf die Qualität des Rindfleisches
und Bieres oder auf das Wetter und die Ernteaussichten beschränkte oder die
gewöhnlichen Tagesereignisse betraf, so wurden höchstens Schnurren in dem
Genre der bekannten „Rudolstädter Klänge" erzählt, welche für alle thüringischen
Staaten typisch sind und einen Gradmesser für die geistigen Bedürfnisse der
sogenannten Gebildeten daselbst abgeben. Es war ja auch nicht anders denk¬
bar; in seiner Selbständigkeit war das Land gegen Einflüsse, die jenseits der
Grenze lagen, so gut wie abgeschlossen, und der Einzelne schloß sich dem Zuge
der Mehrheit an. Und welchem Nachbar sollte man sich auch anschließen?
Preußen und Sachsen waren für einen paritätischen Anschluß zu groß, Reuß
Zu klein; Weimar aber zeigte nicht übel Lust, die Führung Thüringen's zu
übernehmen und als Großmacht aufzutreten. So schloß man sich in sich selbst
ab und kümmerte sich um alles „Auswärtige" wenig oder gar nicht.

Noch eine Eigenthümlichkeit machte sich in unangenehmer Weise insbeson¬
dere bei den Beamten geltend: der persönliche Einfluß. Es ist auch dies sehr
>^ohl erklärlich. In Preußen ist der Einzelne nach der Bevölkerungsziffer gegen¬
über dem ganzen Staate ein Fünfundzwanzigmilliontel, in Altenburg aber ein
Hundertvierzigtausentel, also mehr als hundertmal soviel, und der Beamte
vermöge seiner Stellung erst recht viel mehr als in Preußen. Daß aber die
Einbildung und der Anspruch auf persönliche Bedeutung noch weit über dieses
Verhältniß hinausgingen, und daß die Rücksicht auf eine solche, man möchte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/481>, abgerufen am 27.11.2024.